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Er sagte gerade zu Niamh:»Du siehst zum Anbeißen aus!«

Sie kicherte.»Das hoffe ich doch. Hast du denn auch Appetit mitgebracht?«

Sie lachten beide. Dann schloss sich die Tür hinter Manette.

Blanke Wut überkam sie. Irgendwie, dachte sie, musste Ians Witwe zur Vernunft gebracht werden. Manette war klug genug zu wissen, dass das außerhalb ihrer Macht stand. Aber sie konnte sehr wohl dafür sorgen, dass sich für Tim und Gracie etwas änderte.

WINDERMERE — CUMBRIA

Die Berichte des Gerichtsmediziners zu beschaffen, war nicht schwierig gewesen, und das lag vor allem an St. James’ gutem Ruf als Gerichtssachverständigem. Natürlich wurde seine Sachkenntnis in diesem Fall gar nicht gebraucht, da der Coroner seinen Bericht längst abgegeben hatte, aber ein Anruf und eine Fantasiegeschichte über einen Vortrag für Medizinstudenten hatten ausgereicht, um alle entscheidenden Dokumente in die Hände zu bekommen. Die Unterlagen bestätigten, was Lynley ihm bereits über den Tod von Ian Cresswell berichtet hatte, und sie enthielten darüber hinaus einige zusätzliche, interessante Details. Der Mann hatte einen heftigen Schlag gegen den Kopf erlitten — in der Nähe der linken Schläfe —, der ihm das Bewusstsein geraubt und eine Schädelfraktur verursacht hatte. Die Kopfverletzung hatte Cresswell sich an dem gemauerten Steg zugezogen, und obwohl seine Leiche fast neunzehn Stunden lang im Wasser gelegen hatte, bis sie gefunden wurde, war es — zumindest laut Bericht des Gerichtsmediziners — angeblich möglich gewesen, einen Bezug zwischen der Kopfwunde und der Form des Steins herzustellen, auf den er aufgeschlagen war.

St. James runzelte die Stirn. Er fragte sich, wie das möglich war. Neunzehn Stunden im Wasser waren eine lange Zeit, in der eine Wunde sich normalerweise so stark veränderte, dass man nichts mehr an ihr ablesen konnte, es sei denn, man fertigte eine Rekonstruktion an. Er suchte nach einem entsprechenden Bericht, fand jedoch keinen. Er machte sich eine Notiz und las weiter.

Ian Cresswell war ertrunken, wie die Untersuchung der Lunge ergeben hatte. Hämatome am rechten Bein legten die Vermutung nahe, dass er beim Fallen mit dem Fuß im Schuh des Stemmbretts hängen geblieben war, was das Boot zum Kentern gebracht hatte. Cresswell war so lange unter Wasser gehalten worden, bis sich der Fuß — vielleicht durch die sanften Wellen des Sees — irgendwann gelöst hatte. Erst dann war die Leiche des Mannes an die Oberfläche getrieben.

Der toxikologische Bericht hatte nichts Auffälliges ergeben. Cresswell hatte Alkohol im Blut gehabt, war aber nicht betrunken gewesen. Ansonsten besagte der Bericht des Gerichtsmediziners, dass der Mann vollkommen gesund und für sein Alter — Anfang vierzig — außerordentlich fit gewesen war.

Da es sich um einen nicht beobachteten Tod durch Ertrinken gehandelt hatte, war die Kriminalpolizei eingeschaltet worden. Der Gerichtsmediziner hatte die Leiche begutachtet, und es hatte eine gerichtliche Untersuchung des Todesfalles stattgefunden. Als Zeugen hatten ausgesagt: die Kriminalpolizisten, Valerie Fairclough, der Gerichtsmediziner, der Polizist, der als Erster am Ort des Geschehens eingetroffen war, sowie dessen Kollege, der zur Unterstützung herbeigerufen worden war. Beide waren der Meinung gewesen, dass keine Tatortspezialisten angefordert zu werden brauchten, da es sich um kein Verbrechen handelte. Und am Ende entschied der Coroner dann auf Unfalltod durch Ertrinken.

Soweit St. James das beurteilen konnte, enthielt der Bericht nichts Fragwürdiges. Aber falls Fehler begangen worden waren, dann musste das ganz zu Anfang passiert sein, und zwar durch den Polizisten, der als Erster am Ort des Geschehens eingetroffen war. Also fuhr St. James nach Windermere, um sich mit dem Mann zu unterhalten.

Der Polizist hieß PC William Schlicht, und er holte St. James in Windermere am Bahnhof ab. Er sah aus, dachte St. James, als käme er gerade frisch von der Polizeischule. Das würde auch erklären, warum er einen Kollegen herbeigerufen hatte, der seine Schlussfolgerung bestätigen sollte. Wahrscheinlich war es Schlichts erste Leiche gewesen, und er hatte seine berufliche Laufbahn nicht mit einem groben Schnitzer beginnen wollen. Abgesehen davon war der Tote auf dem Grund und Boden eines bekannten Industriellen gefunden worden. Das war ein gefundenes Fressen für die örtliche Presse gewesen, und PC Schlicht hatte gewusst, dass aller Augen auf ihn gerichtet sein würden.

Schlicht war schmächtig, aber zugleich drahtig und muskulös, und seine Uniform sah aus, als würde er sie jeden Morgen stärken und bügeln und die Knöpfe an der Jacke polieren. St. James schätzte ihn auf Anfang zwanzig, und der Mann machte auf ihn den Eindruck, als wolle er es allen recht machen. Nicht gerade die beste Charaktereigenschaft für einen Polizisten, dachte St. James. Solche Typen waren leicht zu manipulieren.

«Ah, Sie geben also ein Seminar über forensische Untersuchungsmethoden?«, fragte PC Schlicht, nachdem sie einander begrüßt hatten. Er führte St. James in eine Art Bahnhofscafé, wo auf einem Kühlschrank ein Zettel klebte mit der Aufschrift: Schreibt euren *#%*# Namen auf eure Butterbrottüte! Eine uralte Kaffeemaschine verströmte einen Duft, der an Kohlebergwerke aus dem 19. Jahrhundert erinnerte. Schlicht hatte offenbar sein Mittagessen unterbrochen. Der Rest seiner Hähnchenpastete lag noch in einem Plastikbehälter. Daneben stand ein kleinerer Behälter mit Himbeercreme.

St. James brummte irgendetwas Zustimmendes, als Schlicht das Seminar erwähnte. Er hielt hin und wieder Vorlesungen an der University of London. Falls PC Schlicht sich bemüßigt fühlen sollte, Erkundigungen über ihn einzuziehen, so war alles, was er in Bezug auf seinen Besuch in Cumbria behauptete, verifizierbar. Er solle sein Mittagessen getrost fortsetzen, sagte St. James zu PC Schlicht, er wolle lediglich ein paar Details bestätigt haben.

«Jemand wie Sie hätte wahrscheinlich lieber einen interessanteren Fall für so einen Vortrag«, bemerkte Schlicht, stieg mit einem Bein über die Rückenlehne eines Stuhls und setzte sich. Dann nahm er sein Besteck und machte sich über sein Essen her.»Der Fall Cresswell war von Anfang an eine ganz klare Sache.«

«Aber Sie müssen doch zunächst einige Zweifel gehabt haben«, entgegnete St. James.»Schließlich haben Sie einen Kollegen hinzugezogen.«

«Ach so, das. «Schlicht wedelte zustimmend mit seiner Gabel. Dann bestätigte er, was St. James vermutet hatte: Es war sein erster Toter gewesen, er habe sich keinen Schnitzer erlauben wollen, außerdem sei die Familie in der Gegend ziemlich bekannt.»Noch dazu steinreich«, fügte er hinzu,»wenn Sie wissen, was ich meine. «Er grinste, als verlangte der Reichtum der Faircloughs, dass die örtliche Polizei zu ganz bestimmten Schlussfolgerungen gelangte. Als St. James ihn fragend anschaute, sagte er:»Die Reichen haben ihre Eigenheiten, wissen Sie? Die sind nicht wie Sie und ich. Meine Frau zum Beispieclass="underline" Wenn die in unserem Bootshaus eine Leiche finden würde — also, nicht dass wir ein Bootshaus hätten —, dann würde die schreien wie am Spieß, die würde komplett durchdrehen, und selbst wenn sie es schaffen würde, bei der Polizei anzurufen, würde am Telefon kein Mensch ein Wort verstehen. Aber die …«St. James nahm an, dass damit Valerie Fairclough gemeint war.»… war absolut obercool. ›In meinem Bootshaus schwimmt ein Toter im Wasser‹, hat sie zu unserem Wachhabenden gesagt und ihm gleich auch noch unaufgefordert ihre Adresse gegeben, was ziemlich merkwürdig ist. Denn man sollte doch meinen, dass sie unter den Umständen nicht von allein auf so was kommt. Und als ich ankam, hat sie nicht etwa in der Einfahrt auf mich gewartet, und sie ist auch nicht nervös im Garten auf und ab gelaufen, wie man es in einer solchen Situation von einer Frau erwarten würde. O nein. Sie war im Haus, und als sie rauskam, war sie angezogen, als wär sie auf dem Weg zu irgendeinem vornehmen Nachmittagstee, und da hab ich mich natürlich gefragt, was sie in dem Aufzug unten am Bootshaus zu suchen gehabt hatte. Aber ohne dass ich sie danach gefragt hab, hat sie mir sofort erklärt, sie wär zum Bootshaus gegangen, weil sie zum Angeln hatte rausfahren wollen. So feingemacht, wie die war, das muss man sich mal vorstellen. Sie meinte, das würde sie regelmäßig machen — zwei-, drei-, manchmal viermal die Woche. Und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sie wär gern auf dem Wasser, hat sie mir erzählt. Natürlich hätte sie nicht damit gerechnet, einen Toten in ihrem Bootshaus vorzufinden. Aber sie wusste sogar, wer der Tote war: der Neffe ihres Mannes. Dann sind wir zum Bootshaus gegangen, damit ich mir die Leiche ansehen konnte. Wir waren noch nicht weit gekommen, da kam auch schon der Krankenwagen, und wir haben auf die Sanitäter gewartet.«