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«Mrs. Fairclough wusste also mit Sicherheit, dass der Mann im Wasser tot war?«

Schlicht, der sich gerade eine weitere Portion von seiner Pastete in den Mund schieben wollte, hielt mitten in der Bewegung inne.»Aber sicher. Der lag ja mit dem Gesicht nach unten im Wasser, und zwar schon ziemlich lange. Aber ihre Kleider. Die sprechen doch auch für sich, oder?«

Als sie am Bootshaus eintrafen, so Schlicht, sei die Situation eindeutig gewesen, so merkwürdig ihm die Kleidung und das Verhalten von Valerie Fairclough auch erschienen sein mochte. Das Skullboot war gekentert, der Tote lag daneben im Wasser, und die fehlenden Steine in dem Anleger erklärten, was vorgefallen war. Aber zur Sicherheit hatte er darum gebeten, dass ein Detective Inspector sich die Sache ansah, und daraufhin war die Kollegin Dankanics gekommen und hatte ihm in seiner Einschätzung der Lage beigepflichtet. Der Rest war mehr oder weniger Routine gewesen: Er hatte den Papierkram erledigt, einen Bericht geschrieben, vor dem Coroner ausgesagt, et cetera.

«Hat DI Dankanics sich mit Ihnen zusammen den Ort des Geschehens angesehen?«

«Ja, natürlich. Wir alle.«

«Alle?«

«Die Sanitäter, Mrs. Fairclough, die Tochter.«

«Die Tochter? Wo war die denn?«Das war allerdings merkwürdig. Das Bootshaus hätte abgesichert werden müssen. Es war absolut ordnungswidrig, dass dies nicht erfolgt war, und St. James fragte sich, worauf diese Ordnungswidrigkeit zurückzuführen sein mochte — auf Schlichts Unerfahrenheit, auf DI Dankanics’ Gleichgültigkeit oder auf etwas ganz anderes.

«Ich weiß nicht genau, wo sie sich vorher aufgehalten hat«, sagte Schlicht,»aber der Lärm war ja nicht zu überhören. Der Krankenwagen ist mit eingeschalteter Sirene bis zum Haus gefahren — die Jungs fahren auf ihre Sirene ab, sag ich Ihnen —, und sie ist mit ihrem Rollator runter an den See gekommen.«

«Ist sie behindert?«

«Sieht so aus. Jedenfalls wurde die Leiche zur Obduktion abtransportiert, DI Dankanics und ich haben Zeugenaussagen aufgenommen und …«Er runzelte die Stirn.

«Ja?«

«Tut mir leid. Ich hab vergessen, den Freund zu erwähnen.«

«Freund?«

«Der Tote war ’ne Schwuchtel. Sein Freund hat auf dem Anwesen gearbeitet. Nicht zu dem Zeitpunkt, das nicht, aber er kam, als der Krankenwagen grade wegfuhr. Natürlich wollte er wissen, was passiert war — ist ja nur menschlich, oder? Und Mrs. Fairclough hat ihn zur Seite genommen und es ihm gesagt, und er ist prompt umgekippt.«

«Er ist ohnmächtig geworden?«

«Ist der Länge nach auf den Boden geschlagen. Wir wussten erst nicht, wer er war, und fanden es ziemlich übertrieben, dass ein Typ, der ankommt und erfährt, dass einer ertrunken ist, gleich aus den Latschen kippt. Also hat uns Mrs. Fairclough erklärt, dass er der Gartenarchitekt war und dass der andere — also, der Tote im Bootshaus — sein Partner war. Und mit Partner meinte sie Lebensgefährte, wohlgemerkt. Jedenfalls ist der Bursche ziemlich schnell wieder zu sich gekommen, und dann hat er angefangen zu heulen. Meinte, es wäre seine Schuld, dass der andere ertrunken war, was uns natürlich hellhörig gemacht hat — also, mich und Dankanics —, aber dann kam raus, dass die zwei sich am Vorabend gestritten hatten. Ian Cresswell wollte heiraten mit großem Fest und allem Drum und Dran, aber der andere fand alles ganz prima, so wie’s war. Gott, hat der geheult. Da denkt man sich doch sein Teil, oder? Wenn Sie verstehen, was ich meine.«

St. James verstand nicht, was er meinte, fand allerdings die Informationen, die er bekam, verquerer und verquerer, wie Alice im Wunderland sich ausgedrückt hätte. Er sagte:»Und das Bootshaus selbst …?«

«Hmm?«

«War dort alles in Ordnung? Abgesehen von den fehlenden Steinen natürlich.«

«Nach Aussage von Mrs. Fairclough jedenfalls ja.«

«Und die Boote?«

«Die waren alle drinnen.«

«Wie üblich?«

Schlicht zog die Brauen zusammen. Er hatte seine Pastete aufgegessen und öffnete den Behälter mit der Himbeercreme.»Ich versteh nicht, was Sie meinen.«

«Lagen die Boote immer in der gleichen Anordnung in dem Bootshaus? Oder wurde darauf nicht geachtet?«

Schlichts Lippen kräuselten sich, als wollte er pfeifen, doch er gab keinen Laut von sich. Er antwortete auch nicht gleich, aber trotz seiner ungezwungenen Art zu reden war der Mann nicht dumm, dachte St. James.»Das ist ja ein Ding«, sagte Schlicht.»Dass wir danach nicht gefragt haben. Verflucht, Mr. St. James, ich hoffe, das bedeutet nicht, was ich befürchte.«

Denn wenn auf die Anordnung nicht geachtet wurde, legte das einen Unfall nahe. Alles andere ließ auf einen Mord schließen.

MIDDLEBARROW FARM — CUMBRIA

Das Wehrturmprojekt von Middlebarrow befand sich östlich des Arnside Knott, eines riesigen Hügels, der als Naturschutzgebiet ausgewiesen war. Deborah St. James und Nicholas Fairclough fuhren erst durch Arnside und folgten dann den Schildern nach Silverdale. Während der Fahrt plauderte Nicholas Fairclough freundlich mit Deborah, wie es seine natürliche Art zu sein schien. Er wirkte offen und geradeheraus, ganz und gar nicht wie ein Mensch, der in der Lage war, den kaltblütigen Mord an seinem eigenen Vetter zu planen, falls es denn Mord gewesen war. Natürlich erwähnte er Ian Cresswells Tod mit keinem Wort. Der Tod des Mannes hatte schließlich nichts mit dem zu tun, warum Deborah angeblich den Wehrturm besuchen wollte. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie es dabei belassen sollte. Sie hatte den Eindruck, dass sie Cresswell auf die eine oder andere Weise ins Gespräch bringen musste.

Leider war das nicht gerade ihre Stärke. Munter drauflos zu plaudern war ihr noch nie leichtgefallen, allerdings hatte sie mit den Jahren dazugelernt, denn es zahlte sich aus, wenn die Personen, die sie fotografierte, sich entspannten. Die dazu notwendige Plauderei war zumindest irgendwie ehrlich. Aber sich für jemanden auszugeben, der sie nicht war, brachte sie in eine Situation, in der sie sich extrem unwohl fühlte.

Zum Glück schien Nicholas nichts davon zu bemerken. Er war viel zu sehr bemüht, ihr zu versichern, wie sehr seine Frau ihn in seinen Bemühungen unterstützte.

«Am Anfang ist sie immer ziemlich reserviert, aber das ändert sich, wenn sie einen besser kennenlernt«, erklärte er Deborah, als sie durch die enge Straße rasten.»So ist sie nun mal. Das dürfen Sie nicht persönlich nehmen. Allie ist erst mal jedem gegenüber misstrauisch. Das hat mit ihrer Familie zu tun. «Er lächelte sie an. Er hatte ein seltsam jungenhaftes Gesicht, wahrscheinlich würde er bis ins hohe Alter jung wirken, dachte Deborah. Manche Menschen hatten in der Hinsicht einfach Glück.»Ihr Vater ist Bürgermeister der Stadt, in der sie geboren wurde. In Argentinien. Er ist schon ewig Bürgermeister, und sie ist aufgewachsen in dem Bewusstsein, ständig im Rampenlicht zu stehen und aufpassen zu müssen, was sie tut. Sie lebt also bis heute mit dem Gefühl, dass irgendjemand sie beobachtet und sie bei … irgendwas erwischt, weiß der Teufel, wobei. Deswegen ist sie anfangs immer so scheu. Man muss ihr Vertrauen erst gewinnen.«