«Sag ihr, ich hätte dich aufgefordert, dein Höschen auszuziehen oder so was«, sagte Zed.
«Zedekiah Benjamin! Deine Mutter steht direkt neben mir. «Dann:»Er ist sehr ungezogen. «Einen Augenblick später sagte sie in einem ganz anderen Ton zu Zed:»Sie ist weg. Aber sie ist wirklich sehr nett, deine Mum. Neuerdings bringt sie mir abends immer heiße Milch und Kekse, wenn ich in meinem Zimmer sitze und lerne.«
«Sie weiß, was sie will, und sie arbeitet schon seit Jahren daran. Aber dann scheint ja alles gut zu laufen, oder?«
«Ja, alles prima. Micah hat angerufen, und ich habe deiner Mutter von ihm erzählt. Er spielt jetzt meinen Bruder Ari, der ab und zu aus Israel anruft, um sich zu erkundigen, wie seine kleine Schwester mit dem Studium vorankommt.«
«Aha. Okay. Gut. «Und damit hätte das Gespräch beendet sein müssen, denn sie hatten lediglich vereinbart, zweimal täglich in Hörweite seiner Mutter miteinander zu telefonieren.
Doch Yaffa kam noch einmal auf das zurück, was sie zu Beginn des Gesprächs gesagt hatte:»Was, wenn alles ganz anders ist, als es auf den ersten Blick aussieht?«
«Wie bei uns, meinst du?«
«Na ja, ich rede nicht von uns, aber es kann doch sein, oder?«
«Dieser Typ von Scotland Yard …«
«Abgesehen von dem Typen von Scotland Yard. Bisher hast du mir Folgendes erzählt: Ein Mann ist tot, ein anderer Mann will das Haus haben, in dem der Tote gewohnt hat, und noch ein anderer Mann wohnt zusammen mit den Kindern des Toten in ebendiesem Haus. Was schließt du daraus?«
Eigentlich schloss er überhaupt nichts daraus, aber plötzlich wurde ihm bewusst, dass Yaffa ihm gedanklich voraus war. Er sagte:»Äh …«, und räusperte sich.
Sie erlöste ihn von seinem Elend.»Auf jeden Fall ist an der Sache mehr dran, als man auf den ersten Blick erkennt, Zed. Hat der Tote ein Testament hinterlassen?«
«Ein Testament?«Was zum Teufel hatte das mit der Sache zu tun? Was war an einem Testament sexy?
«Ja, ein Testament. Da liegt Potential für einen Konflikt, siehst du das denn nicht? Dieser George Cowley glaubt, dass er das Haus kriegt, weil es jetzt versteigert wird. Aber was ist, wenn er sich irrt? Was ist, wenn das Haus längst abbezahlt ist und Ian Cresswell es jemandem vermacht hat? Oder wenn nicht nur sein Name im Grundbuch steht? Das wäre doch eine Ironie des Schicksals, oder? Dann würde George Cowley nämlich schon wieder in die Röhre kucken. Und die Ironie wäre noch viel größer, wenn der gute alte Cowley etwas mit Ian Cresswells Tod zu tun gehabt hätte, oder?«
Zed musste zugeben, dass sie recht hatte. Und er musste zugeben, dass sie ganz schön clever war und außerdem auf seiner Seite stand. Und deswegen begann er, nachdem sie aufgelegt hatten, der Frage nachzugehen, ob Ian Cresswell ein Testament hinterlassen hatte. Er brauchte nicht lange, um in Erfahrung zu bringen, dass tatsächlich ein Testament existierte, denn Cresswell hatte es klugerweise online registrieren lassen: Eine Kopie des Dokuments lag bei Cresswells Anwalt in Windermere. Eine weitere Kopie — da der Mann tot war — müsste beim zuständigen Gericht zu bekommen sein, aber dort Einsicht in das Testament zu beantragen, würde wertvolle Zeit kosten, ganz abgesehen davon, dass Zed dafür nach York fahren müsste. Also musste er sich die Informationen, die er brauchte, auf andere Weise beschaffen. Und er wusste auch schon, wer ihm dabei helfen könnte, an das Dokument heranzukommen.
«Ein Testament«, sagte Rodney Aronson, als Zed ihn in London anrief.»Sie wollen also einen Blick auf das Testament des Toten werfen. Ich bin gerade in einer Besprechung, Zed. Wir müssen eine Zeitung herstellen. Das wissen Sie doch, oder?«
Zed vermutete, dass sein Chefredakteur außerdem gerade dabei war, einen Schokoriegel zu vernichten, denn er hörte das Papier knistern.
Er sagte:»Die Situation ist komplizierter, als sie aussieht, Rod. Hier gibt’s einen Typen, der sich Ian Cresswells Haus unter den Nagel reißen will. Er rechnet damit, dass die Hütte demnächst versteigert wird. Ich finde, der hätte doch auf jeden Fall ein Motiv gehabt, unseren Knaben …«
«Unser Knabe, wie Sie sich ausdrücken, ist Nick Fairclough. Die Story, die Sie schreiben, handelt von ihm, wenn ich mich recht erinnere. Und um diese Story sexy zu machen, sind Sie nach Cumbria gefahren, und sexy wird sie durch Scotland Yard. Und das auch nur dann, wenn der Typ von Scotland Yard gegen Fairclough ermittelt. Zed, mein Junge, muss ich die Arbeit für Sie erledigen, oder kriegen Sie das alleine geregelt?«
«Ich kriege das geregelt, keine Sorge. Aber da bisher immer noch kein Detective von Scotland Yard hier aufgetaucht ist …«
«Das ist es, was Sie da oben machen? Sie warten darauf, dass irgendein Detective von Scotland Yard auftaucht? Herrgott noch mal, Zed. Was für ein Reporter sind Sie eigentlich? Ich sag Ihnen eins: Wenn dieser Credwell …«
«Cresswell. Ian Cresswell. Er hat hier ein Haus, und in dem Haus wohnen seine Kinder, zusammen mit irgendeinem Kerl, soweit ich weiß. Wenn dieser Typ also das Haus erbt, oder die Kinder, und …«
«Es interessiert mich einen Scheißdreck, wer das Haus erbt, wem es gehört oder ob es Tango tanzt, wenn keiner kuckt. Und es interessiert mich einen Scheißdreck, ob dieser Cresswell ermordet wurde. Ich will wissen, was Scotland Yard da oben zu suchen hat. Und wenn die nicht hinter Nicholas Fairclough her sind, dann ist Ihre Story tot, und Sie machen, dass Sie auf schnellstem Weg nach London zurückkommen. Haben wir uns verstanden?«
«Ich habe verstanden, aber …«
«Gut. Dann kümmern Sie sich jetzt um Fairclough, und gehen Sie mir nicht auf die Nerven. Oder kommen Sie zurück nach London, hängen Ihren Job an den Nagel und verdienen Ihre Brötchen mit dem Verfassen von Texten für Grußkarten. Solche, die sich reimen.«
Das war ein Schlag unter die Gürtellinie. Trotzdem sagte Zed:»Okay.«
Also gut, dachte Zed. Er würde sich dem Thema Nicholas Fairclough und Scotland Yard widmen. Aber zuerst wollte er herausfinden, was in dem verfluchten Testament stand, denn sein Bauch sagte ihm, dass dieses Testament für verschiedene Personen in Cumbria von entscheidender Bedeutung war.
Lynley traf sich mit St. James in der Hotelbar. Bei ein paar Gläsern mittelmäßigen Portweins gingen sie die Informationen durch, die sie bisher gesammelt hatten. St. James, stellte Lynley fest, war derselben Meinung wie er. Sie mussten die fehlenden Steine des Anlegers bergen, und St. James musste sie untersuchen. Das Bootshaus selbst würde er sich auch gern einmal genauer ansehen, sagte er Lynley, aber er wusste nicht, wie sie das bewerkstelligen sollten, ohne ihre Tarnung aufzugeben.
«Ich schätze, die fliegt irgendwann sowieso auf«, bemerkte Lynley.»Ich weiß wirklich nicht, wie lange ich glaubwürdig den neugierigen Besucher mimen kann. Faircloughs Frau weiß übrigens inzwischen Bescheid. Er hat sie eingeweiht.«
«Das erleichtert die Sache ein wenig.«
«In gewisser Weise, da gebe ich dir recht, Simon. Denn es gibt mehr als einen Grund, warum du dir das Bootshaus ansehen musst.«
«Was meinst du damit?«, fragte Deborah. Sie hatte ihre Digitalkamera auf dem Tisch neben ihrem Portweinglas abgestellt und ein kleines Notizbuch aus ihrer Handtasche genommen. Sie nahm ihre Rolle bei dieser kleinen Ermittlung sehr ernst, dachte Lynley. Er lächelte sie an, dankbar für die Gesellschaft seiner alten Freunde.
«Ian Cresswell ist nicht regelmäßig mit dem Skullboot rausgefahren«, sagte Lynley zu Deborah.»Aber Valerie Fairclough geht mehrmals die Woche rudern. Das Skullboot war zwar an der Stelle vertäut, wo die beiden Steine sich gelockert hatten, allerdings hatte es dort nicht seinen festen Platz. Offenbar vertäut jeder sein Boot dort, wo gerade eine Stelle frei ist.«