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Lynley widersprach nicht, denn er vermutete, dass Fairclough die Zeit brauchte, um sich für das bevorstehende Gespräch zu wappnen. Sie betraten den Garten durch einen Torbogen in einer von Flechten überzogenen Steinmauer. Fairclough plauderte über das Anwesen. Er wirkte ziemlich entspannt, aber zweifellos hatte er schon zahllose Besucher hierhergeführt und ihnen voller Stolz gezeigt, wie viel Liebe und Mühe seine Frau in den Garten gesteckt hatte, um ihm seine alte Pracht zurückzugeben.

Lynley hörte kommentarlos zu. Er fand den Garten auf seltsame Weise schön. Im Allgemeinen bevorzugte er natürlich gewachsene Sträucher, doch hier waren Buchsbaum, Ilex, Myrte und Eiben zu bizarren Gebilden zurechtgeschnitten, einige davon waren fast zehn Meter hoch. Es gab Würfel, Pyramiden, Spiralen, doppelte Spiralen, Pilze, Bögen, Fässer und Kegel. Mit Kies aus gebleichtem Sandstein bestreute Wege führten zwischen den Gebilden hindurch, und die Zwischenräume waren mit Parterren aus winzigen Buchsbaumsträuchern ausgefüllt. In diesen Parterren bildeten die gelben Blüten der Kapuzinerkresse einen hübschen Kontrast zu violetten Stiefmütterchen.

Der Garten sei über zweihundert Jahre alt, und Valerie habe davon geträumt, ihn zu restaurieren, seit sie Ireleth Hall geerbt hatte, erklärte Bernard Fairclough. Anhand von Fotos von Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und mit der Unterstützung zweier Gärtner habe sie sich in jahrelanger Arbeit ihren Traum erfüllt.»Großartig, nicht wahr?«, sagte Fairclough voller Bewunderung.»Meine Frau ist einfach unglaublich.«

Lynley war beeindruckt. Das wäre zweifellos jedem so gegangen. Aber irgendetwas in Faircloughs Ton stimmte nicht, und Lynley sagte zu ihm:»Wollen wir hier reden oder lieber woanders?«

Fairclough, dem klar zu sein schien, dass kein Weg mehr an dem Gespräch vorbeiführte, erwiderte:»Kommen Sie mit. Valerie ist zu Mignon gegangen, es wird eine Weile dauern, bis sie zurückkommt. Wir können uns in der Bibliothek unterhalten.«

Die Bezeichnung war irreführend, denn in dem Raum gab es kein einziges Buch. Es handelte sich um ein kleines, gemütliches Zimmer gleich neben der großen Eingangshalle, mit Wandvertäfelungen aus dunklem Holz und Porträts längst verstorbener Faircloughs. In der Mitte stand ein Schreibtisch, und vor einem reich verzierten offenen Kamin waren zwei Sessel angeordnet. Ein Kohlefeuer war vorbereitet, und auf dem Kaminsims standen antike Keramikvasen. Fairclough zündete das Feuer an, denn es war kühl in dem Zimmer. Dann öffnete er die schweren Vorhänge. Der Regen hatte zugenommen und schlug gegen die bleiverglasten Fenster.

Fairclough bot Lynley einen Drink an, den dieser in Anbetracht der frühen Stunde ablehnte. Fairclough schenkte sich einen Sherry ein. Er deutete auf die Sessel, und sie nahmen Platz.»Sie bekommen mehr schmutzige Wäsche zu sehen, als ich erwartet hatte«, sagte er zu Lynley.»Das tut mir leid.«

«In jeder Familie gibt es schmutzige Wäsche«, erwiderte Lynley.»Auch in meiner.«

«Nicht so schmutzige wie in meiner, darauf möchte ich wetten.«

Lynley zuckte die Achseln. Dann stellte er die unumgängliche Frage:»Wollen Sie, dass ich mit meinen Ermittlungen fortfahre, Bernard?«

«Warum fragen Sie?«

Lynley legte die Fingerspitzen aneinander, stützte das Kinn darauf und schaute nachdenklich ins Kaminfeuer. Von Kerzenstummeln entzündet, kam es langsam in Fahrt. Bald würde es angenehm warm im Zimmer sein. Er sagte:»Wenn der Coroner auf Unfall entschieden hat, möchten Sie es vielleicht gern dabei belassen.«

«Und jemanden mit Mord davonkommen lassen?«

«Meiner Erfahrung nach kommt letztlich niemand mit etwas davon.«

«Was haben Sie entdeckt?«

«Es geht nicht um das, was ich entdeckt habe. Das ist bisher ohnehin ziemlich wenig, da mir aufgrund der Scharade, die wir hier spielen, gewissermaßen die Hände gebunden sind. Es geht eher um das, was ich entdecken könnte, und das ist ein Mordmotiv. Was ich sagen will, ist: Es könnte sich durchaus um einen Unfall handeln, aber wenn ich weiterermittle, könnte es sein, dass Sie Dinge über Ihren Sohn, Ihre Töchter, selbst über Ihre Frau erfahren, die Sie vielleicht lieber nicht wissen wollen, egal, auf welche Weise Ihr Neffe gestorben ist. Das bringen polizeiliche Ermittlungen so mit sich.«

Fairclough schien darüber nachzudenken. Wie Lynley schaute er eine Weile in die Flammen, dann betrachtete er die Keramikvasen auf dem Kaminsims. Lynley fiel auf, dass eine davon einmal zerbrochen und wieder zusammengeklebt worden war. Das war wohl schon lange her, dachte er, denn die Scherben waren ungeschickt zusammengesetzt worden, nicht so perfekt wie es mit modernen Klebern möglich war, die die Bruchstellen unsichtbar machten.

Lynley sagte:»Andererseits könnte es sich tatsächlich um Mord handeln. Und der Täter könnte jemand sein, den Sie lieben. Wollen Sie sich dieser Möglichkeit stellen?«

Fairclough sah ihn an. Er sagte nichts, aber Lynley sah ihm an, dass er über etwas nachdachte.

«Überlegen Sie es sich gut«, sagte Lynley.»Sie wollten wissen, ob Nicholas irgendetwas mit dem Tod seines Vetters zu tun hat. Deswegen sind Sie nach London gekommen. Doch was ist, wenn nicht Nicholas, sondern jemand anders in die Sache verwickelt ist? Ein anderes Mitglied Ihrer Familie? Und was ist, wenn der Mordanschlag gar nicht Ian galt? Möchten Sie auch das erfahren?«

Sie wussten beide, wem der Mordanschlag sonst gegolten hätte, und Fairclough sagte, ohne zu zögern:»Niemand hätte einen Grund, Valerie etwas zuleide zu tun. Sie ist der Mittelpunkt, um den sich unsere Welt hier dreht. Meine und ihre. «Er zeigte nach draußen, woraus Lynley schloss, dass er seine Kinder meinte, und eins davon im Besonderen.

«Bernard«, sagte Lynley.»Wir müssen auch Mignon überprüfen, es geht nicht anders. Sie hat Zugang zum Bootshaus. Und zwar jeden Tag.«

«Auf keinen Fall Mignon«, entgegnete Fairclough.»Sie hätte Ian nie etwas antun können, und ihrer Mutter schon zweimal nicht.«

«Warum nicht?«

«Sie ist kränklich, Tommy. Und das war sie schon immer. Sie hat als Kind eine Kopfverletzung erlitten und seitdem … Na ja, sie ist behindert. Ihre Knie, die Operationen … Egal … Sie wäre jedenfalls nicht dazu in der Lage gewesen.«

«Wenn sie irgendwie dazu in der Lage gewesen wäre«, sagte Lynley,»hätte sie denn ein Motiv gehabt? Gibt es etwas, das ich über Mignons Beziehung zu ihrer Mutter wissen sollte? Oder über ihre Beziehung zu ihrem Vetter? Haben die beiden sich nahegestanden? Waren sie Feinde?«

«Anders ausgedrückt: Hätte sie einen Grund gehabt, sich Ians Tod zu wünschen?«

«Das ist meine Frage.«

Fairclough nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen.»Ian hat mich in Finanzdingen beraten, wie Sie wissen. Er war für alle meine finanziellen Angelegenheiten verantwortlich. Das war sein Job. Er war sehr gut darin, und ich brauchte ihn.«

«Verstehe«, sagte Lynley.

«Eine Zeitlang — vielleicht drei Jahre — hat er von mir verlangt, dass ich die monatlichen Zahlungen an Mignon einstelle. Er hat nie begriffen, dass das Mädchen einfach nicht arbeiten kann. Das konnte sie noch nie. Doch Ian meinte, ich würde sie durch meine Unterhaltszahlungen nur in Abhängigkeit halten, und sie könnte ganz gut für sich selbst sorgen. Das Thema war ein Zankapfel zwischen uns. Kein großer, und wir stritten uns nur ein-, zweimal im Jahr darüber. Aber ich hatte nie die Absicht … Ich konnte es einfach nicht. Wenn ein Kind eine schlimme Verletzung davonträgt … Wenn Sie irgendwann mal Kinder haben, werden Sie das verstehen, Tommy.«

«Weiß Mignon, dass Ian von Ihnen verlangt hat, die Unterhaltszahlungen einzustellen?«

Fairclough nickte widerstrebend.»Er hat mit ihr darüber gesprochen. Als ich mich geweigert habe, ist er zu ihr gegangen. Er hat ihr vorgeworfen, sie würde ihrem Vater ›auf der Tasche liegen‹. Mignon hat’s mir erzählt. Sie fühlte sich natürlich gekränkt. Sie hat mir gesagt, ich könnte die Zahlungen an sie sofort einstellen. Sie hat mich sogar darum gebeten.«