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«Ich schätze, sie wusste genau, dass Sie es nicht tun würden.«

«Sie ist meine Tochter«, sagte Fairclough.

«Und Ihre anderen Kinder? Hatte Manette einen Grund, Ians Tod zu wünschen?«

«Manette hat Ian geliebt. Ich glaube, es gab eine Zeit, da hätte sie ihn gern geheiratet. Das war natürlich lange, bevor Kaveh aufgetaucht ist.«

«Und wie stand er zu ihr?«

Fairclough trank seinen Sherry aus und stand auf, um sich nachzuschenken. Er hielt die Flasche hoch und sah Lynley fragend an. Der lehnte erneut ab.»Er mochte Manette«, sagte Fairclough.»Aber mehr auch nicht.«

«Sie ist geschieden, nicht wahr?«

«Ja. Ihr Exmann arbeitet für mich. Freddie McGhie. Sie übrigens auch.«

«Könnte es einen Grund geben, warum Freddie McGhie Ians Tod gewünscht hätte? Sie haben mir gesagt, dass Sie noch keinen Nachfolger als Firmenleiter bei Fairclough Industries bestimmt haben. Wer käme dafür in Frage, jetzt wo Ian nicht mehr da ist?«

Fairclough schaute ihn an, sagte jedoch nichts. Lynley hatte den Eindruck, dass sie sich einem Thema näherten, an das Fairclough lieber nicht rühren wollte. Er hob eine Braue. Fairclough räusperte sich.»Wie gesagt. Ich habe mich noch nicht entschieden. Manette oder Freddie könnten übernehmen. Beide arbeiten für mich, seit sie ins Berufsleben eingestiegen sind. Vor allem Freddie wäre ein geeigneter Kandidat, auch wenn Manette sich von ihm hat scheiden lassen. Er kennt jede Abteilung, und er hat in jeder einzelnen gearbeitet. Eigentlich würde ich jemanden aus der Familie bevorzugen, genau wie Valerie, aber wenn niemand über die entsprechende Erfahrung und Einstellung verfügt, wäre es nur logisch, dass Freddie die Zügel übernimmt.«

«Würden Sie Ihren Sohn Nicholas als Nachfolger in Erwägung ziehen?«

«Das wäre der reine Wahnsinn, bei seiner Vorgeschichte. Aber er gibt sich große Mühe, mir zu beweisen, dass er sein altes Leben endgültig hinter sich gelassen hat.«

«Was hat Ian davon gehalten?«

«Er war davon überzeugt, dass Nick scheitern würde. Aber Nick hatte mir geschworen, er sei ein anderer Mensch geworden, und ich wollte ihm eine Chance geben. Er arbeitet sich von der Pike auf nach oben. Dafür bewundere ich ihn.«

«Ist das eine Abmachung zwischen Ihnen?«

«Ganz und gar nicht. Es war allein seine Idee. Ich nehme an, dass Alatea ihm dazu geraten hat.«

«Es wäre also denkbar, dass er irgendwann die Firma übernimmt?«

«Alles ist möglich«, antwortete Fairclough.»Wie gesagt, es ist noch keine Entscheidung gefallen.«

«Aber Sie müssen es zumindest in Erwägung gezogen haben. Warum sonst hätten Sie mich hierherbitten sollen, damit ich Nicholas unter die Lupe nehme?«

Fairclough schwieg. Das reichte Lynley als Antwort. Schließlich war Nicholas sein Sohn. Und normalerweise wurde ein Geschäft vom Vater auf den Sohn vererbt und nicht auf den Neffen.

«Sonst noch jemand mit einem Motiv, Ian umzubringen?«, fuhr Lynley fort.»Fällt Ihnen noch irgendjemand ein, der mit Ian ein Hühnchen zu rupfen, ein gemeinsames Geheimnis, eine Sache zu klären hatte?«

«Nein, niemand. «Fairclough nippte an seinem Sherry und schaute Lynley dabei über das Glas hinweg an.

Lynley war sich ganz sicher, dass der Mann log, aber er wusste nicht, warum. Außerdem hatte er das Gefühl, dass sie immer noch nicht zu dem eigentlichen Grund für seine Anwesenheit in Ireleth Hall vorgedrungen waren. Lynley sagte:»Bernard, bis auf diejenigen, die keinen Zugang zum Bootshaus haben, stehen alle unter Verdacht. Sie werden eine Entscheidung fällen müssen, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, wie auch immer die lauten mag.«

«Was für eine Entscheidung?«

«Wenn Sie dieser Sache wirklich auf den Grund gehen wollen, werden Sie mich als das akzeptieren müssen, was ich bin.«

«Und was sind Sie?«

«Polizist.«

FLEET STREET — LONDON

Barbara Havers ging in einen Pub in der Nähe der Fleet Street, der zu Hochzeiten des Zeitungsgeschäfts, als noch alle angesehenen Zeitungen und Boulevardblätter ihre Zentrale in der Gegend gehabt hatten, der Treffpunkt aller Journalisten gewesen war. Die Zeiten hatten sich geändert, und die Canary Wharf-Bürotürme hatten mehr als ein Zeitungshaus in den Osten der Stadt gelockt. Aber nicht alle waren den Sirenengesängen von niedrigen Mieten gefolgt, und vor allem ein Verlag war stur geblieben, entschlossen, dicht am Geschehen auszuharren. Das war die Source, und Barbara wartete in dem Pub auf ihren Informanten bei der Source. Sie hatte den Mann angerufen und um ein Treffen gebeten. Als er sich geziert hatte, hatte sie ihm ein Mittagessen in Aussicht gestellt. Er hatte immer noch gezögert, bis sie den Namen Lynley fallen gelassen hatte. Das hatte ihn hellhörig gemacht.»Wie geht es ihm?«, hatte er gefragt, offenbar in der Hoffnung auf ein saftiges Häppchen für die Leser der Sparte Persönliche Tragödien und ihre Folgen. Es würde nicht für eine Schlagzeile reichen, aber wenn die Einzelheiten interessant waren, wäre es vielleicht etwas für die Seite drei.

Sie hatte geantwortet:»Am Telefon sag ich überhaupt nichts. Können wir uns sehen?«

Das hatte funktioniert. Es widerstrebte ihr, Lynley auf diese Weise zu benutzen — na ja, eigentlich widerstrebte es ihr grundsätzlich, ihn zu benutzen —, aber da er derjenige war, der sie um Informationen gebeten hatte, fiel das ihrer Meinung nach so gerade noch unter die Rubrik» zwischen Freunden erlaubt«.

Isabelle Ardery war ein härterer Brocken gewesen. Als sie im Yard angerufen und um den freien Tag gebeten hatte, der ihr zustand, war ihre Chefin sofort misstrauisch geworden.»Warum?«, hatte sie gefragt.»Wo fahren Sie hin?«Aber da Barbara damit gerechnet hatte, dass die Ardery das größte Problem sein würde, war sie vorbereitet gewesen.

«Zum Frisör«, hatte sie geantwortet.»Zu einem Salon in Knightsbridge.«

«Sie brauchen also nur diesen einen Tag«, hatte Ardery nachgehakt.

«Vorerst«, hatte Barbara geantwortet.

«Was soll das denn heißen, Sergeant?«Schon wieder dieses Misstrauen. Die Ardery würde lernen müssen, sich zu beherrschen, wenn sie nicht wollte, dass man ihr ihre Paranoia anmerkte, dachte Barbara.

«Seien Sie gnädig, Chefin«, sagte sie.»Wenn ich nachher nicht mehr in den Spiegel schauen mag, muss ich wohl oder übel jemanden auftreiben, der das wieder in Ordnung bringt. Ich melde mich. Ich muss sowieso Überstunden abfeiern.«

Das war die Wahrheit, und das wusste die Ardery. Außerdem hatte sie ihr persönlich den Befehl erteilt, ihre äußere Erscheinung aufzupeppen. Und so hatte ihre Chefin widerwillig zugestimmt, allerdings hinzugefügt:»Nicht mehr als zwei Tage«, damit Barbara nicht vergaß, wer von ihnen beiden das Sagen hatte.

Auf dem Weg zum Pub hatte Barbara bereits einen von Lynleys Aufträgen erledigt und die neueste Ausgabe von Conception gekauft. Ausfindig gemacht hatte sie die Zeitschrift in einem Bahnhofsbuchladen, der alle erdenklichen Presseerzeugnisse führte, und zwar im U-Bahnhof King’s Cross, der praktischerweise sowieso auf ihrem Weg von Chalk Farm ins Zentrum lag. Es war also ein Klacks gewesen, wenn man davon absah, dass sie den abschätzigen Blick des jungen Mannes hatte über sich ergehen lassen müssen, der die Kasse bediente. An seinen Augen und dem kaum merklichen Zucken der Mundwinkel hatte sie genau ablesen können, was er dachte: Empfängnis? Du? Da lachen ja die Hühner. Am liebsten hätte sie ihn an seinem weißen Hemd gepackt und über den Tresen gezogen, aber der Schmutzrand am Kragen hatte sie davon abgehalten. Jemandem, dessen persönliche Hygiene nicht einmal dazu ausreichte, dass er seine Klamotten wusch, musste man nicht unbedingt so nahe kommen, hatte sie sich gesagt.

Während sie im Pub auf ihren Informanten wartete, blätterte sie in der Zeitschrift. Sie fragte sich, wo die all die perfekten Säuglinge für ihre Fotos auftrieben und all die frischgebackenen Mütter, die rosig und ausgeruht aussahen und nicht wie echte Mütter mit eingefallenen Wangen und dunklen Ringen unter den Augen vom permanenten Schlafmangel. Sie hatte sich eine Ofenkartoffel mit Chili con carne bestellt, die sie sich gerade zu Gemüte führte, als ihr Kontaktmann von der Source auftauchte.