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«Ganz einfach: in einem Einkaufskorb«, sagte St. James. Er zeigte auf einen Tisch, an dem niemand saß, und Lynley holte sich dort einen Stuhl.

«Und?«, fragte St. James.

Lynley wusste, dass sein Freund nicht wissen wollte, ob er ihm etwas zu trinken oder zu essen bestellen sollte.»Ich fange an, Motive zu entdecken. Und zwar unter fast jedem Stein, den ich umdrehe. «Er zählte sie an den Fingern ab: eine Versicherungspolice mit Niamh Cresswell als Begünstigter, ein Testament, das Kaveh Mehran zum Erben von Haus und Grundstück bestimmte, die mögliche Einstellung der Unterhaltszahlungen an Mignon Fairclough, die Aussicht auf den höchsten Posten in der Firma Fairclough Industries für Manette oder Freddie McGhie oder womöglich auch für Nicholas Fairclough, und nicht zuletzt Niamh Cresswells Rachegelüste.»Außerdem stimmt irgendetwas nicht mit Cresswells Sohn Tim. Er ist externer Schüler an einem Internat namens Margaret Fox School, einer Sonderschule für Jugendliche mit schweren Problemen. So viel habe ich durch einen Anruf in Erfahrung gebracht, aber mehr wollte mir niemand über den Jungen sagen.«

«Mit schweren Problemen kann ja alles Mögliche heißen«, meinte St. James.

«Richtig. «Lynley berichtete den beiden, dass Niamh Cresswell ihre Kinder kurzerhand dem Vater überlassen habe und sie jetzt bei dessen Lebensgefährten lebten.»Die Schwester, Manette McGhie, war heute Nachmittag bei Fairclough und hat sich fürchterlich aufgeregt deswegen.«

«Absolut verständlich«, sagte Deborah.»Das ist ja auch wirklich schrecklich.«

«Ja, das stimmt. Die Einzigen, die bisher kein Motiv zu haben scheinen, sind Fairclough selbst und seine Frau. Allerdings«, fügte Lynley nachdenklich hinzu,»habe ich den Eindruck, dass Fairclough mir etwas verheimlicht. Deswegen habe ich Barbara gebeten, sich ein bisschen umzuhören, was er in London so treibt.«

«Aber warum sollte er dich bitten, die Sache zu untersuchen, wenn er etwas zu verbergen hätte?«, gab Deborah zu bedenken.

«Tja, das ist die Frage, nicht wahr?«, sagte Lynley.»Warum sollte jemand, der mit einem Mord davongekommen ist, die Polizei bitten, den Fall noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen?«

«Apropos …«Er habe mit dem Coroner gesprochen, berichtete St. James. Offenbar sei bei der Obduktion kein Test ausgelassen worden. Er habe die Berichte gelesen und sich die Röntgenaufnahmen angesehen, auf denen klar zu sehen war, dass Ian Cresswell eine Schädelfraktur erlitten hatte. Wie Lynley wisse, gebe eine Schädelfraktur in der Regel keine Auskunft über den Gegenstand, mit dem sie herbeigeführt wurde. Entweder platze der Schädel wie eine Eierschale, oder es stelle sich ein quer verlaufender halbkreisförmiger Bruch an der Oberfläche ein. In jedem Fall aber müsse man alle Gegenstände untersuchen, die die Schädelfraktur verursacht haben könnten.

«Und?«, fragte Lynley.

Und die entsprechende Untersuchung sei erfolgt, antwortete St. James. Neben den beiden herausgebrochenen Steinen am Anleger habe man Blut nachgewiesen. Und das stamme laut DNS-Analyse von Ian Cresswell. Außerdem habe man Haare, Hautpartikel und Fasern gefunden — laut Laborbericht ebenfalls von Ian Cresswell.

«Ich habe mit den Männern gesprochen, die die ersten Ermittlungen für den Coroner durchgeführt haben«, fuhr St. James fort.»Der eine war ein ehemaliger Polizist aus Barrow-in-Furness und der andere ein Rettungssanitäter, der sich nebenher mit diesem Job ein Zubrot verdient. Sie hatten beide den Eindruck, dass es sich nicht um Mord, sondern um einen Unfall handelte, haben aber sicherheitshalber alle Alibis überprüft.«

St. James nahm einen Notizblock aus seiner Brusttasche und zählte die Alibis wie zuvor Lynley an den Fingern ab: Kaveh Mehran war zu Hause gewesen, was Cresswells Kinder hätten bestätigen können, aber man hatte sie nicht befragt, um sie nicht noch mehr zu traumatisieren; Valerie Fairclough war zu Hause gewesen — sie war gegen siebzehn Uhr vom Angeln zurückgekommen und hatte das Haus erst am nächsten Morgen wieder verlassen, um mit den Gärtnern zu sprechen, die im Formschnittgarten arbeiteten; Mignon Fairclough war ebenfalls zu Hause gewesen und hatte E-Mails abgerufen und verschickt, was jedoch kein hieb-und stichfestes Alibi war, da jeder, der Zugang zu ihrem Computer habe und ihr Passwort kenne, das für sie habe tun können; Niamh Cresswell hatte im Auto gesessen — sie hatte die Kinder zu Ian gebracht und war dann nach Grange-over-Sands zurückgefahren, wofür es jedoch keine Zeugen gab.

«Was bedeutet, dass sowohl Niamh als auch Mignon für einen bestimmten Zeitraum kein Alibi haben«, unterbrach ihn Lynley.

«So ist es. «St. James fuhr fort: Manette und Freddie McGhie waren beide den ganzen Abend zu Hause gewesen; Nicholas und seine Frau Alatea waren ebenfalls zu Hause gewesen; Lord Fairclough war in London gewesen, beim Abendessen mit einem Vorstandsmitglied seiner Stiftung, einer Frau namens Vivienne Tully, die Faircloughs Angaben bestätigt hatte.»Unser Hauptproblem ist also nach wie vor«, schloss er,»die Art und Weise, wie der Mann ums Leben gekommen ist.«

«Richtig«, stimmte Lynley ihm zu.»Wenn jemand die Steine manipuliert hat, kann das zu jedwedem Zeitpunkt erfolgt sein. Wir sind also wieder bei der Frage, wer Zugang zum Bootshaus hat, was bedeutet, dass fast alle in Frage kommen.«

«Wir müssen uns den Anleger noch einmal genauer ansehen und die Steine aus dem Wasser holen. Oder wir akzeptieren, dass es ein Unfall war, und legen den Fall zu den Akten. Falls Fairclough Gewissheit haben will, schlage ich Ersteres vor.«

«Das will er.«

«Das heißt also, wir müssen mit starken Scheinwerfern ins Bootshaus, und wir brauchen jemanden, der die Steine für uns aus dem See holt.«

«Wenn es mir nicht gelingt, Fairclough dazu zu überreden, eine Ermittlung offiziell zu beantragen, werden wir das wohl selbst übernehmen müssen«, sagte Lynley.

«Hast du eine Ahnung, warum er sich nicht in die Karten kucken lässt?«

Lynley schüttelte den Kopf.»Es hat mit seinem Sohn zu tun, aber ich weiß nicht was — abgesehen vom Naheliegenden natürlich.«

«Und das wäre?«

«Na ja, ich kann mir nicht vorstellen, dass er seinen einzigen Sohn wissen lassen möchte, dass er ihn des Mordes verdächtigt. Schließlich hat der junge Mann ein neues Leben angefangen. Und anscheinend wurde er zu Hause mit offenen Armen empfangen.«

«Und er hat ein Alibi, wie du sagst.«

«Er war mit seiner Frau zusammen«, sagte Lynley.

Deborah hatte bisher nur zugehört, aber als das Gespräch auf Nicholas Fairclough zurückkam, hatte sie einen Stapel Papiere aus ihrer Tasche genommen.»Barbara hat mir die Seiten aus der Zeitschrift Conception zugefaxt, Tommy«, sagte sie.»Sie hat die Zeitschrift per Eilpost aufgegeben, aber bis sie hier eintrifft …«Deborah reichte ihm die Seiten.

«Steht da was Relevantes drin?«Lynley sah, dass es sich vor allem um Anzeigen handelte, sowohl private als auch geschäftliche.

«Es passt zu Nicholas’ Aussage, dass sie sich ein Kind wünschen«, sagte sie.

Lynley warf St. James einen kurzen Blick zu. Er wusste, dass sein Freund dasselbe dachte wie er: Wie objektiv konnte Deborah sein, wenn sie und Nicholas’ Frau dasselbe Problem hatten?

Deborah war der kurze Blickkontakt zwischen den beiden nicht entgangen.»Also wirklich«, sagte sie.»Habt ihr nicht gelernt, dass man in Gegenwart eines Verdächtigen keine Miene verzieht?«

Lynley lächelte.»Sorry. Macht der Gewohnheit. Bitte fahr fort.«

Sie schnaubte verächtlich, kam seiner Bitte aber nach.»Seht euch das an und bedenkt dabei, dass Alatea — oder jemand anders — diese Seiten aus der Zeitschrift herausgerissen hat.«

«Falls es jemand anders war, könnte das eine wichtige Rolle spielen«, bemerkte St. James.

«Ich halte es aber für ziemlich unwahrscheinlich. Seht mal. Hier wird für so ziemlich alles geworben, was mit dem Thema Fortpflanzung zu tun hat. Es gibt Anzeigen von Anwälten, die sich auf Adoptionen spezialisiert haben, Werbeanzeigen von Samenbanken, Anzeigen von lesbischen Paaren, die nach einem Samenspender suchen, von Adoptionsagenturen, von Anwälten die sich auf Leihmutterschaft spezialisiert haben. Anzeigen, in denen Studentinnen gesucht werden, die bereit sind, Eier zu spenden, und nach Studenten, die bereit sind, gegen ein Entgelt regelmäßig Samen zu spenden. Dank der modernen Wissenschaft hat sich das zu einem richtigen Industriezweig entwickelt.«