Deborah sagte:»Wir wünschen uns beide ein Kind. Ihr Mann hat es mir erzählt. Ihm war aufgefallen, dass ich die Zeitschrift Conception auf Ihrem Tisch gesehen hatte. Ich lese sie schon ewig«, log sie.»Na ja, seit fünf Jahren. Seit Simon — mein Mann — und ich versuchen, ein Baby zu bekommen.«
Alatea sagte nichts dazu, aber Deborah sah, wie sie schluckte und wie ihr Blick zu dem Tisch wanderte, auf dem die Zeitschrift gelegen hatte. Deborah fragte sich, ob Alatea oder Nicholas das Heft weggenommen hatte. Und sie fragte sich, ob Nicholas sich genauso große Sorgen um den Seelenzustand seiner Frau machte, wie Simon um sie besorgt war.
Während sie eine weitere Aufnahme machte, sagte sie:»Anfangs haben wir uns einfach darauf verlassen, dass die Natur es schon richten würde. Dann haben wir es mit dem Eisprungkalender versucht, mit der Temperaturmethode, mit Mondphasen. «Sie rang sich ein Lachen ab. Es fiel ihr nicht leicht, solche Dinge einer Fremden anzuvertrauen, aber sie wusste, wie wichtig es war, Vertrauen aufzubauen, und zudem hatte sie das Gefühl, dass ihr Geständnis tröstend wirken könnte.»Und dann haben wir uns untersuchen lassen, was Simon alles andere als angenehm fand, das kann ich Ihnen flüstern. Und schließlich die endlosen Diskussionen über Alternativen, Besuche bei Spezialisten. «Sie ließ ihre Kamera sinken und zuckte die Achseln.»Es hat sich herausgestellt, dass ich kein Kind werde austragen können. Konstruktionsfehler. Jetzt denken wir über eine Adoption nach. Ich würde eine Leihmutter bevorzugen, doch davon will Simon nichts wissen.«
Die Argentinierin hielt sich immer noch auf Distanz. Deborah fiel auf, dass sie etwas blasser wirkte und dass sie ihre eleganten Hände immer wieder zu Fäusten ballte. In ihren Augen glänzten unvergossene Tränen.
Deborah begriff, was in der Frau vorging. Jahrelang hatte sie sich genauso gefühlt.»Verzeihen Sie«, sagte sie hastig.»Es tut mir leid. Wie gesagt, ich habe bei meinem ersten Besuch die Zeitschrift hier liegen sehen. Ihr Mann hat mir gesagt, dass Sie versuchen, schwanger zu werden. Dass Sie seit zwei Jahren verheiratet sind und … Mrs. Fairclough, es tut mir wirklich leid. Ich wollte Sie nicht verletzen. Bitte, setzen Sie sich doch.«
Alatea setzte sich, aber nicht dahin, wo Deborah es gern gehabt hätte, sondern auf die Bank neben dem offenen Kamin. Ihr krauses Haar glänzte im Licht, das durch das Bleiglasfenster fiel. Deborah ging zu ihr, achtete jedoch darauf, eine gewisse Distanz zu wahren.»Es ist schwer, ich weiß. Ich hatte sechs Fehlgeburten, bis ich erfahren habe, was mit meinem Körper nicht stimmt. Vielleicht kann man irgendwann etwas daran machen, bei all der Forschung, die auf dem Gebiet betrieben wird, aber bis dahin bin ich bestimmt zu alt.«
Eine Träne lief über Alateas Wange. Sie änderte ihre Körperhaltung, als könnte das verhindern, dass sie vor einer Fremden noch mehr Tränen vergoss.
«Merkwürdig, nicht wahr«, sagte Deborah,»dass etwas für die einen das Natürlichste auf der Welt und für die anderen ein Ding der Unmöglichkeit sein soll.«
Deborah hoffte die ganze Zeit, dass Alatea nicht nur mit Tränen reagierte, sondern irgendwie zu erkennen gab, dass es ihr ähnlich erging. Aber sie tat es nicht. Deborah hätte jetzt noch darauf eingehen können, warum sie sich so dringend ein Kind wünschte. Es hatte teilweise damit zu tun, dass ihr Mann behindert war — er selbst bezeichnete sich als Krüppel —, und teilweise damit, dass diese Behinderung sein Selbstwertgefühl als Mann beeinträchtigte. Doch über dieses Thema wollte sie eigentlich nicht mit Alatea Fairclough reden. Es fiel ihr schwer genug, sich das alles selbst einzugestehen.
Deswegen schnitt sie ein ganz neues Thema an.»Ich glaube, dass dieses Zimmer besser geeignet ist für ein gefilmtes Interview als alles, was ich draußen gesehen habe. Und da, wo Sie gerade sitzen, ist das Licht besonders gut. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern ein Foto von Ihnen machen, um dem Produzenten zu zeigen …«
«Nein!«Alatea sprang auf.
Deborah wich einen Schritt zurück.»Es ist für …«
«Nein! Nein! Sagen Sie mir, wer Sie sind!«, schrie Alatea.»Sagen Sie mir, warum Sie wirklich hier sind! Sagen Sie es mir endlich!«
7. November
Hoffentlich Toy4You, dachte Tim, als sein Handy klingelte, denn er hatte das Warten satt. Aber es war die bescheuerte Manette. Benahm sich, als hätte er ihr überhaupt nichts getan. Sagte, es gehe um das Campingabenteuer. Sie nannte es tatsächlich Abenteuer, als würden sie nach Afrika fahren oder so was, und nicht auf die Viehweide von irgendeinem Bauern, zwischen Massen von Urlaubern aus Manchester.»Ich dachte, wir legen mal einen Termin fest«, sagte sie fröhlich.»Wir sollten nicht mehr allzu lange warten. Regen ist nicht so schlimm. Wenn es allerdings anfängt zu schneien, ist es vorbei. Was meinst du?«
«Lass mich einfach in Ruhe!«, fauchte er.
«Tim …«, sagte sie in diesem geduldigen Ton, den Erwachsene anschlugen, wenn sie fanden, dass er aggressiv wurde, was meistens der Fall war.
«Hör zu«, sagte er.»Vergiss es einfach. Und hör auf, so zu tun, als wär ich dir wichtig.«
«Aber du bist mir wichtig, Tim. Du bist uns allen wichtig. Meine Güte, Tim, du bist …«
«Erzähl mir keinen Scheiß! Der Einzige, für den du dich jemals interessiert hast, war mein Vater. Glaub ja nicht, ich wüsste das nicht! Alle haben sich nur für diesen perversen Dreckskerl interessiert, und jetzt ist er tot, und ich bin froh darüber. Also lasst mich endlich alle in Frieden!«
«Du weißt nicht, was du da redest.«
«O doch.«
«Nein, tust du nicht. Du hast deinen Vater geliebt. Er hat dir wehgetan, das weiß ich, aber was er getan hat, hatte nichts mit dir zu tun, mein Lieber. «Sie wartete auf eine Antwort, doch die Genugtuung würde er ihr nicht geben.»Tim«, fuhr sie fort.»Was passiert ist, tut mir leid. Aber er hätte es nicht getan, wenn er eine andere Möglichkeit gesehen hätte. Eines Tages wirst du es verstehen. Wirklich. Da bin ich mir ganz sicher.«
«Du hast doch keine blasse Ahnung.«
«Ich weiß, dass das alles schwer für dich ist, Tim. Das ist ganz normal. Aber dein Vater hat dich geliebt. Wir alle haben dich lieb. Wir möchten, dass es dir …«
«Halt die Klappe!«, schrie er.»Lasst mich endlich in Frieden!«
Zitternd vor Wut trennte er die Verbindung. Es war ihr ekelhaft sanfter, mütterlicher Ton. Der Scheißdreck, den sie ihm verzapfte. Sein ganzes, beschissenes Leben.
Er warf sein Handy aufs Bett. Sein ganzer Körper war zum Bersten angespannt. Er brauchte frische Luft. Er beugte sich zum Fenster vor und riss es auf. Draußen war es eiskalt, aber das war ihm egal.
George und Dan Cowley kamen gerade aus ihrem Cottage. Sie unterhielten sich, die Köpfe gesenkt, als hätten sie irgendwas Gott weiß wie Wichtiges zu bereden. Sie gingen auf Georges Schrotthaufen von Auto zu, einen schlammverkrusteten alten Land Rover, an dessen Reifen jede Menge Schafscheiße klebte.
George öffnete die Fahrertür und stieg ein, aber anstatt um das Auto herumzugehen und auf der anderen Seite einzusteigen, hockte Dan sich hin und betrachtete Kupplung, Gas- und das Bremspedal sowie die Füße seines Vaters. George sagte irgendwas, gestikulierte und trat auf den Pedalen rum. Dann stieg er aus, und Dan stieg ein. Trat auf den Pedalen rum, während George nickte, gestikulierte und noch nachdrücklicher nickte.
Dann ließ Dan den Motor an, während sein Vater weiter auf ihn einredete. George schlug die Tür zu, und Dan kurbelte das Fenster runter. Der Wagen war so geparkt, dass Dan nicht erst zurücksetzen musste, um loszufahren. George gestikulierte wie wild, anscheinend bedeutete er Dan, er solle eine Runde um den dreieckigen Dorfplatz drehen. Dan fuhr los. Der Wagen hoppelte und schlingerte. George rannte schreiend und mit den Armen fuchtelnd neben dem Auto her, bis Dan den Motor abwürgte.