«Ihr lasst euch scheiden?«, hatte Mignon ungläubig gesagt.»Du und Freddie? Ehe du dich zu diesem Schritt entschließt, solltest du dich vielleicht mal gründlich umsehen …«
Es war nicht darum gegangen, Freddie gegen einen anderen Mann einzutauschen. Das interessierte Manette nicht. Es war darum gegangen, realistisch zu sein, sich ihr Leben anzusehen und sich zu fragen, ob es das war, was sie auf Dauer wollte. Sie waren gute Freunde gewesen, die ab und zu sich ein bisschen unter der Bettdecke vergnügten, und das hatte ihr nicht gereicht. So hatte das nicht weitergehen können, das war ihnen beiden klar gewesen. Also hatten sie die logischen Konsequenzen gezogen, und sie hatten sich beide befreit gefühlt. Oder nicht?
«Ach hier bist du! Was machst du denn hier draußen, Kleine?«
Sie riss sich aus ihren Gedanken. Freddie stand mit zwei Henkeltassen vor ihr. Er hockte sich hin und reichte ihr eine Tasse. Sie wollte hinauskrabbeln, aber er sagte:»Nein, bleib da. Ich bin schon seit Jahren nicht mehr in einem Zelt gewesen. «Er kroch ins Zelt und setzte sich neben sie.»Das wird aber nicht lange halten, fürchte ich«, sagte er mit einer Kinnbewegung in Richtung der schiefen Zeltstange.
«Ja, ich weiß. Ein Windstoß, und alles bricht zusammen. Aber es ist ein guter Platz zum Nachdenken, und ich wollte es mal ausprobieren.«
«Überhaupt nicht nötig«, sagte er. Er saß im Schneidersitz neben ihr, und ihr fiel auf, dass er noch genauso beweglich war wie sie: Seine Knie berührten beide den Boden, nicht wie bei manchen Leuten, deren Knie in der Position nach oben zeigten, weil sie viel zu steif waren.
Sie trank einen Schluck von der Hühnerbouillon, die er ihr mitgebracht hatte. Interessant. Als wäre sie krank.»Nicht nötig?«, wiederholte sie.
«Zelten«, sagte er.»Für den Fall der Fälle ins Zelt umzuziehen.«
Sie runzelte die Stirn.»Wovon redest du, Freddie?«
Er legte den Kopf schief. In seinen braunen Augen lag ein Funkeln, an dem sie erkannte, dass er sie auf den Arm nahm.»Na ja, du weißt schon, neulich diese Sache mit Holly. Das war ein einmaliger Ausrutscher. Wird nicht wieder vorkommen.«
«Soll das heißen, du gibst es auf?«
«Das Internet-Dating? Um Gottes willen, nein. «Und dann errötete er.»Ich meine, das macht mir ziemlich viel Spaß. Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Frauen so … so direkt geworden sind, seit ich nicht mehr in Aktion bin. Nicht dass ich je in Aktion gewesen wäre.«
«Vielen Dank auch.«
«Nein, nein, so war das nicht gemeint. Ich meinte, du und ich, na ja, wir waren so jung, als wir uns kennengelernt haben … Du warst meine Allererste, weißt du. Meine Erste und meine Einzige. Und jetzt zu erleben, was so alles los ist in der Welt … Das ist echt ein Aha-Erlebnis, das kann ich dir sagen. Na ja, du wirst es ja demnächst selbst erleben.«
«Ich weiß nicht, ob ich das möchte«, sagte sie.
«Ach so. «Er schwieg. Nippte an seiner Bouillon. Es gefiel ihr, dass er nie laut schlürfte. Sie konnte lautes Schlürfen nicht ausstehen.»Na ja.«
«Zurück zu dir«, sagte sie.»Ich will dir nicht verbieten, Frauen mit nach Hause zu bringen, Freddie. Keine Sorge. Es wäre nur nett, wenn du mir vorher Bescheid sagen könntest. Ein kurzer Anruf, wenn sie sich die Nase pudern geht. Aber auch das ist keine Verpflichtung.«
«Das weiß ich«, sagte er.»Wer welche Rechte hat und so weiter. Ich weiß auch, wie ich mich fühlen würde, wenn ich morgens in die Küche käme und da säße ein Typ am Frühstückstisch. Irgendwie komisch. Also werde ich mich mit den Frauen woanders treffen, nicht hier zu Hause.«
«Wie mit Sarah.«
«Wie mit Sarah.«
Manette versuchte, etwas aus seinem Ton herauszuhören, aber es gelang ihr nicht. Sie fragte sich, ob ihr das je bei ihm gelungen war. Merkwürdiger Gedanke — konnte man überhaupt jemals behaupten, seinen Ehemann zu kennen? Dann fiel ihr ein, dass Freddie schon lange nicht mehr ihr Ehemann war.
Eine Weile gaben sie sich der abendlichen Stille hin, die nur unterbrochen wurde vom Geschrei einiger Enten, die über sie hinwegflogen. Schließlich fragte Freddie:»Wo kommt das Zelt überhaupt her? Das ist doch neu, oder?«
Sie erzählte ihm von ihren Plänen: dass sie mit Tim ein paar Tage in die Berge fahren wollte, um auf den Scout’s Scar zu wandern.»Aber er ist nicht gerade begeistert von meinem Vorschlag.«
«Der arme Junge«, sagte Freddie.»Dem hat das Leben wirklich übel mitgespielt.«
Allerdings, dachte Manette.
Auf dem See waren Schwäne aufgetaucht. Majestätisch und still glitten sie scheinbar ohne Anstrengung über das Wasser. Manette schaute ihnen zu und spürte, dass Freddie neben ihr das ebenfalls tat. Nach einer Weile sagte Freddie nachdenklich:»Manette, ich habe angefangen, mich in Ians Buchhaltungsprogramm einzuarbeiten.«
«Ja, ich weiß.«
«Hm. Ja. Mir ist da etwas aufgefallen. Eigentlich sind mir mehrere Dinge aufgefallen, und ich weiß noch nicht so recht, was ich von alldem halten soll. Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht mal sicher, dass es sich um etwas Wichtiges handelt, aber trotzdem möchte ich der Sache auf den Grund gehen.«
«Worum geht es denn?«
Freddie schaute sie an. Er schien zu zögern. Dann sagte er:»Wusstest du, dass dein Vater alles finanziert, was mit Arnside House zu tun hat?«
«Er hat das Haus Nicholas und Alatea zur Hochzeit geschenkt.«
«Ja, sicher. Aber er kommt auch für die gesamten Restaurationskosten auf. Und die sind beträchtlich. Hast du eine Ahnung, warum er das tut?«
Sie schüttelte den Kopf.»Ist das denn wichtig? Dad hat doch Geld genug.«
«Stimmt. Ian hat deinen Vater garantiert dazu gedrängt, Nicholas das Geld nur als Kredit zur Verfügung zu stellen, und sei es zinslos und rückzahlbar in hundert Jahren. Und wie ich Ian kenne, hat er das alles irgendwo dokumentiert. Und denk doch bloß mal an Nicks Vergangenheit. Einem Junkie so viel Geld in die Hand zu drücken, das ist doch …«
«Ich glaube kaum, dass Dad ihm das Geld in die Hand gedrückt hat, Freddie. Wahrscheinlich bezahlt er einfach die Rechnungen. Außerdem ist Nick kein Junkie, sondern ein Exjunkie.«
«Ian hätte nicht gesagt Exjunkie. Nicht bei Nicks Geschichte.«
«Kann sein. Trotzdem … Nicholas wird irgendetwas von Dad erben. Vielleicht haben sie sich ja darauf geeinigt, dass Dad ihm sein Erbe schon jetzt auszahlt, damit Dad sich mit ihm daran freuen kann.«
Freddie wirkte nicht überzeugt.»Wusstest du, dass dein Vater Mignon seit Jahren Unterhalt zahlt?«
«Was bleibt ihm denn anderes übrig? Seit dem Sturz in Launchy Gill hat sie ihn doch in der Hand. Man sollte meinen, Dad hätte sie geschubst. Wahrscheinlich hätte er es tun sollen.«
«Die monatlichen Unterhaltszahlungen sind neuerdings gestiegen.«
«Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten?«
«Was hat sie denn schon für Lebenshaltungskosten? Und er hat den Unterhalt nicht nur erhöht, er hat ihn verdoppelt. Das hätte Ian niemals zugelassen. Dagegen hätte er protestiert. Wahrscheinlich hat er sogar versucht, deinen Vater dazu zu überreden, dass er die Unterhaltszahlungen ganz einstellt.«
Manette überlegte. Sie wusste, dass Freddie recht hatte. Aber einige Dinge, die Mignon betrafen, hatte er noch nie verstanden.»Sie hatte doch vor Kurzem diese Operation«, sagte sie.»Die Kosten dafür hat der National Health Service bestimmt nicht übernommen. Also muss jemand anders die Operation bezahlt haben, und das kann ja wohl nur Dad gewesen sein.«
«Dann hätte er das Geld aber direkt an die Klinik überwiesen.«
«Vielleicht hat er es an Mignon überwiesen, damit sie die Rechnung selbst bezahlen konnte.«
«Aber warum überweist er ihr diese Summe jeden Monat? Warum zahlt er ihr überhaupt immer noch Unterhalt?«
Manette schüttelte den Kopf. Die Wahrheit war: Sie wusste es nicht.