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Es war ein sonniger Tag, nachdem es die ganze Nacht wie aus Eimern geschüttet hatte. Die Luft war sauber und klar, und am Himmel türmten sich herrliche Gebirge aus grauen Kumuluswolken. Draußen im Watt suchten die Nachzügler der Vogelschwärme, die den Winter in Afrika oder dem Mittelmeerraum verbrachten, immer noch nach Ringelwürmern, Krebsen und Muscheln. St. James sah Regenpfeifer und Strandläufer in dem Gewimmel, aber die anderen Vögel hätte er nicht benennen können. Eine Zeitlang beobachtete er sie und beneidete sie um ihr einfaches Leben. Dann drehte er sich um und ging zurück in den Ort.

Als er das Gasthaus erreichte, fuhr Lynley gerade auf den Parkplatz. St. James ging seinem Freund entgegen, der aus dem Healey Elliott stieg. Einen Moment lang betrachteten sie voller Bewunderung die gefällige Linienführung und die schöne Lackierung des Wagens. Dann sagte St. James:»Aber ich nehme nicht an, dass du hergekommen bist, um dich an meinem Neid auf dein Auto zu weiden.«

«Mir ist jede Gelegenheit willkommen, dich auf dem Gebiet der modernen Beförderungsmittel alt aussehen zu lassen. Aber in diesem Fall muss ich dir recht geben. Ich bin gekommen, um mit dir zu reden.«

«Dafür hast du eine ziemlich lange Fahrt auf dich genommen. Ein Anruf hätte genügt.«

«Hm, ja. Aber meine Tarnung ist teilweise aufgeflogen. Ich hatte das Gefühl, es wäre nicht verkehrt, mich ein bisschen rar zu machen. «Er berichtete St. James von seiner Begegnung mit Valerie, Bernard und Mignon Fairclough.»Mignon weiß also, dass Scotland Yard an der Sache dran ist, und wird dafür sorgen, dass alle anderen es ebenfalls erfahren.«

«Das könnte doch auch sein Gutes haben.«

«Ja, so hätte ich es am liebsten von Anfang an gehalten.«

«Trotzdem bist du beunruhigt?«

«Ja.«

«Warum?«

«Weil Fairclough Fairclough ist und weil Hillier Hillier ist und weil Hillier die verdammte Gabe besitzt, mich für seine Zwecke zu benutzen.«

St. James wartete. Er kannte die Geschichte von Lynleys Verhältnis zu seinem Chef. Dazu gehörte mindestens ein Versuch, ein lange zurückliegendes Verbrechen zu vertuschen. Er würde es Hillier durchaus zutrauen, Lynley erneut auf ähnliche Weise zu benutzen, wenn» einer der Ihren«— wozu Hillier zweifellos Fairclough, Lynley und sich selbst zählte — ein ernstes Problem hatte, das er unter den Teppich zu kehren wünschte; und Lynley sollte den Besen führen. Alles war möglich, das wussten sie beide.

Lynley sagte:»Vielleicht ist das Ganze ja auch eine Vernebelungsaktion.«

«Welcher Teil davon?«

«Dass Fairclough mich gebeten hat, den Tod von Ian Cresswell zu untersuchen. So etwas in der Art hat Mignon jedenfalls gestern Abend angedeutet. Sie hat mir durch die Blume zu verstehen gegeben, dass ich mich auf den konzentrieren soll, der mich angeheuert hat. Ich hatte tatsächlich schon selbst daran gedacht, den Gedanken aber wieder verworfen.«

«Warum?«

«Weil es einfach keinen Sinn ergibt, Simon. «Lynley lehnte sich an den Healey Elliott und verschränkte die Arme vor der Brust.»Ich könnte mir vorstellen, dass er Scotland Yard um Hilfe bitten würde, wenn ein Mord verübt worden wäre, man ihn für den Täter hielte und er seinen Namen reinwaschen wollte. Oder wenn man eines seiner Kinder für den Täter hielte und Bernard dessen oder deren Namen reinwaschen wollte. Aber Ian Cresswells Tod galt von Anfang an als Unfall. Warum also sollte er jemanden herbitten, der die Sache noch einmal untersucht, wenn er schuldig ist oder wenn er befürchtet, dass jemand aus seiner Familie schuldig sein könnte?«

«Das würde eher darauf schließen lassen, dass Mignon den Nebel streut, meinst du nicht?«

«Und es würde erklären, warum sie gestern Abend versucht hat, die Aufmerksamkeit auf ihren Vater zu lenken. Offenbar wollte Cresswell Bernard überreden, dass er ihr den Unterhalt streicht. «Lynley klärte St. James über das Arrangement zwischen Vater und Tochter auf.»Damit war sie garantiert nicht einverstanden. Und da Cresswell die Bücher geführt hat und über Bernards Transaktionen im Bilde war, wäre es durchaus möglich, dass er noch jemandem den Unterhalt streichen wollte.«

«Dem Sohn?«

«Das wäre doch naheliegend, oder? Bei Nicholas’ Geschichte hat Cresswell Bernard wahrscheinlich geraten, ihm nicht einen Penny anzuvertrauen, was ja durchaus verständlich ist. Nicholas Fairclough mag ja vielleicht ein Exjunkie sein, aber es ist ja bekannt, dass Süchtige nie wirklich geheilt werden. Jeder Tag ist für sie eine neue Herausforderung.«

Was dieses Thema anging, kannte Lynley sich aus, weil sein eigener Bruder betroffen war, das wusste St. James.»Und? Hat Fairclough seinem Sohn Geld gegeben?«

«Das muss ich noch überprüfen. Die Information bekomme ich über die andere Tochter und deren Mann.«

St. James wandte sich ab. Aus der offenen Hintertür des Hotels drangen Lärm und Gerüche: das Klappern von Töpfen und Pfannen und der Geruch nach gebratenem Speck und verbranntem Toastbrot.»Was ist mit Valerie, Tommy?«

«Du meinst, ob sie als Mörderin in Frage kommt?«

«Ian Cresswell war nicht blutsverwandt mit ihr. Er war der Neffe ihres Mannes, und er stellte eine potentielle Gefahr für ihre Kinder dar. Wenn er Mignon die Unterhaltszahlungen streichen wollte und nicht daran glaubte, dass Nicholas dauerhaft clean war, dann hätte er Bernard Fairclough unter Umständen dazu bringen können, dass er seine Kinder nicht länger finanziell unterstützte. Und Valerie Fairclough hat sich laut Aussage von Constable Schlicht an dem Abend äußerst merkwürdig verhalten: wie aus dem Ei gepellt, vollkommen ruhig, ein Anruf bei der Polizei und die lapidare Aussage: In meinem Bootshaus schwimmt ein Toter.«

«Stimmt«, räumte Lynley ein.»Aber der Anschlag könnte auch ihr gegolten haben.«

«Wo wäre das Motiv?«

«Mignon sagt, ihr Vater ist fast nie da. Meistens hält er sich in London auf. Havers kümmert sich darum. Falls mit der Ehe der Faircloughs jedoch irgendetwas nicht stimmt, könnte Bernard doch Gründe haben, sich seine Frau vom Hals zu schaffen.«

«Und warum lässt er sich nicht einfach scheiden?«

«Wegen der Firma. Er leitet Fairclough Industries seit Ewigkeiten, und er würde sicher eine enorme Abfindung bekommen, falls das vertraglich so geregelt ist — es sei denn, es gibt irgendeinen Ehevertrag, von dem wir noch nichts wissen. Aber noch gehört die Firma ihr, und ich nehme an, dass sie jedwede Entscheidung, die die Firma betrifft, beeinflussen kann, wenn sie will.«

«Ein Grund mehr, warum sie Ians Tod gewünscht haben könnte, Tommy, falls er auf Entscheidungen gedrungen hat, die ihr nicht gefielen.«

«Möglich. Aber wäre es aus ihrer Sicht nicht sinnvoller gewesen, dafür zu sorgen, dass Ian gefeuert wurde? Warum hätte sie ihn umbringen sollen, wenn sie die Macht besaß, ihn einfach an die Luft zu setzen?«

«Also gut, was haben wir?«St. James erinnerte Lynley daran, dass das Filetiermesser, das sie aus dem Wasser geborgen hatten, keinen einzigen Kratzer aufwies und auf den ersten Blick vollkommen harmlos aussah. Auch an den Steinen, die sie aus dem Wasser geholt hatten, waren keine Kratzspuren zu erkennen, die darauf hingedeutet hätten, dass jemand sie herausgelöst hatte. Sie konnten Constable Schlicht noch einmal zum Bootshaus bitten und auch die an der Untersuchung beteiligten Tatortspezialisten, doch dazu müssten sie erst den Coroner überreden, den Fall wieder aufzurollen. Nur hatten sie ihm so gut wie nichts zu bieten, was ihn dazu animieren könnte, Ian Cresswells Tod noch einmal zu untersuchen.