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«Und wie passt Alatea da hinein?«

«So wie ich das sehe, könnte sie die Frau von einem der Söhne sein.«

«Eine Ehefrau auf der Flucht?«

«Klingt doch plausibel, oder?«

«Könnte sie nicht auch eine Verwandte sein?«, fragte St. James.»Eine Nichte, eine Kusine?«

«Auch möglich.«

«Haben Sie diese Möglichkeit überprüft?«

«Bisher noch nicht, kann ich aber machen. Leider kann ich nicht sehr tief in die Materie eindringen, weil das Zeug alles auf Spanisch ist, wie gesagt«, erinnerte sie ihn.»Im Yard gibt’s natürlich ein Übersetzungsprogramm. Sie wissen schon: irgendwo gut im Computer versteckt, wo Leute wie wir, die es tatsächlich brauchen könnten, es unmöglich finden. Ich könnte mal mit Winston reden, der kriegt bestimmt raus, wie das geht. Soll ich das machen?«

Lynley überlegte. Erneut fragte er sich, wie Isabelle Ardery reagieren würde, falls sie herausbekam, dass er ein weiteres Mitglied ihres Teams für seine Zwecke abgeworben hatte. Die Situation würde wahrscheinlich für alle Beteiligten unerfreulich ausfallen. Es musste eine andere Möglichkeit geben, die spanischen Texte übersetzen zu lassen. Warum es ihn überhaupt beschäftigte, wie Isabelle Ardery reagieren könnte, darüber wollte er lieber nicht weiter nachdenken. Früher hätte es ihn nicht im Geringsten interessiert, was ein Vorgesetzter über seine Vorgehensweise zu sagen hatte. Die Tatsache, dass er sich diesmal den Kopf darüber zerbrach, brachte ihn an den Rand eines Abgrunds, an den er sich in der derzeitigen Situation nicht heranwagen konnte.

«Es muss eine andere Möglichkeit geben, Barbara«, sagte Lynley.»Ich kann Winston nicht auch noch einweihen, dazu bin ich nicht befugt.«

Havers machte ihn nicht darauf aufmerksam, dass er auch nicht befugt gewesen war, sie einzuweihen, sondern sagte nur:»Hm … Ich könnte Azhar fragen.«

«Ihren Nachbarn? Spricht der Spanisch?«

«Das nicht, aber er kann fast alles andere«, antwortete Havers.»Er kann bestimmt jemanden an der Uni für mich organisieren, der Spanisch spricht, einen Professor oder einen Studenten. Schlimmstenfalls kann ich immer noch einen Spaziergang zum Camden Lock Market machen, mich unter die Touristen mischen — falls um diese Jahreszeit welche da sind —, die Ohren spitzen und ein spanischsprechendes Individuum ins nächste Internetcafé zerren, um mir das Zeug übersetzen zu lassen. Ich meine, es gibt Mittel und Wege, Sir. Wozu brauchen wir Winston?«

«Fragen Sie Azhar«, sagte Lynley und fügte hinzu:»Falls es Sie nicht in eine unangenehme Lage bringt.«

«Warum sollte mich das in eine unangenehme Lage bringen?«, fragte sie argwöhnisch.

Lynley antwortete nicht. Es gab Dinge, über die er und Havers nicht diskutierten, und dazu gehörte Barbaras Beziehung zu Taymullah Azhar.»Sonst noch etwas?«, fragte er.

«Bernard Fairclough. Er hat einen Schlüssel zu der Wohnung einer Frau namens Vivienne Tully. Ich war da, hab sie aber bisher noch nicht erwischt. Auf einem Foto, das ich aufgetrieben hab, sieht sie eher jung aus. Kleidet sich modisch, gute Haut, gute Figur, freche Frisur. Der Alptraum jeder Ehefrau, würd ich sagen. Bisher weiß ich nur, dass sie mal für ihn gearbeitet hat. Jetzt hat sie einen anderen Job in London, und sie steht auf Ballett, denn da war sie gestern Abend. Sie war entweder beim Ballettunterricht, oder sie hat sich eine Ballettaufführung angesehen. So genau weiß ich das leider nicht. Die Putzfrau sprach kein Englisch, und wir mussten uns mit Händen und Füßen verständigen. Ist Ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, Sir, wie viele Leute in London heutzutage kein Englisch sprechen? Oder Ihnen, Simon? Ich komm mir allmählich so vor, als würd ich in der verdammten Lobby der Vereinten Nationen wohnen.«

«Fairclough hat einen Schlüssel zur Wohnung dieser Frau?«

«Romantisch, oder? Ich fahr heute noch mal nach Kensington und werd ihr ein bisschen auf den Zahn fühlen. Cresswells Testament muss ich mir auch noch vornehmen, dazu bin ich noch nicht gekommen.«

Das sei kein Problem, sagte Lynley. Sie seien bereits im Besitz der wichtigsten Informationen zu dem Thema. Es gebe eine Lebensversicherung, und die Witwe sei die Begünstigte. Und laut Aussage von Cresswells Lebensgefährten habe dieser das Haus geerbt. Es wäre jedoch sehr hilfreich, fuhr Lynley fort, wenn Havers diese Angaben auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen könne. Außerdem würde ihn interessieren, wann genau das Testament verfasst wurde. Ob sie sich darum kümmern könne?

Sie könne und sie werde, versicherte sie ihm.»Was ist mit den Kindern?«

«Cresswell ist offenbar davon ausgegangen, dass die von der Lebensversicherung profitieren. Was allerdings nicht der Fall zu sein scheint.«

Havers pfiff durch die Zähne.»Es lohnt sich immer, der Spur des Geldes zu folgen.«

«Genau.«

«Apropos«, sagte sie.»Dieser Typ von der Source — sind Sie dem schon über den Weg gelaufen?«

«Noch nicht«, sagte Lynley.»Warum?«

«Weil der auch nicht ganz koscher ist. Der war nämlich schon mehrmals da oben, und zwar zum ersten Mal drei Tage bevor Ian Cresswell ertrunken ist. So wie der unter Druck steht, seine Story aufzupeppen, könnte er doch auf die Idee kommen, einen Mord zu begehen.«

«Wir werden dem nachgehen«, sagte Lynley.»Aber um Cresswell umzubringen, hätte er unbemerkt aufs Grundstück gelangen, ins Bootshaus eindringen, die Steine lockern und wieder verschwinden müssen. Sagten Sie nicht, der Mann ist auffällig groß?«

«Fast zwei Meter. Eine Schnapsidee also?«

«Zumindest äußerst zweifelhaft, allerdings müssen wir im Moment alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. «Lynley überlegte, wie wahrscheinlich es war, dass ein zwei Meter großer rothaariger Reporter den scharfen Augen von Mignon Fairclough entging. Das hätte nur in einer mondlosen Nacht passieren können, dachte er.

«Tja, wir haben also alle Hände voll zu tun«, sagte er. Aber bevor er das Gespräch beendete, musste er noch eine Frage stellen, auch wenn er nicht wusste, warum sie ihm auf den Nägeln brannte.»Schaffen Sie das eigentlich alles ohne Wissen von Superintendent Ardery? Glaubt sie immer noch, Sie seien in Urlaub? Sie sind ihr doch nicht in die Arme gelaufen, oder?«

Das Schweigen am anderen Ende der Leitung war ihm Antwort genug. Er wich St. James’ Blick aus und sagte:»Verdammt. Das macht alles komplizierter, als es ohnehin schon ist. Für Sie, meine ich. Tut mir leid, Barbara.«

«Die Chefin ist ein bisschen verspannt«, sagte sie leichthin.»Aber Sie kennen mich ja, Sir. Das bin ich gewöhnt.«

MILNTHORPE — CUMBRIA

Deborah konnte es überhaupt nicht leiden, mit ihrem Mann uneins zu sein. Das hatte einerseits mit dem großen Altersunterschied zwischen ihnen zu tun und andererseits mit seiner Behinderung und allem, was damit zusammenhing. Aber vor allem hatte es mit ihren unterschiedlichen Charakteren und ihrer unterschiedlichen Weltsicht zu tun. Simon ging Probleme mit Logik und bemerkenswerter Distanziertheit an, weshalb es nahezu unmöglich war, sich mit ihm zu streiten. Im Gegensatz zu ihm ließ sie sich nämlich von ihren Gefühlen leiten, und Schlachten zwischen Armeen unter dem Kommando von Kopf und Herz wurden immer von den Armeen gewonnen, deren Anführer der Kopf war. Häufig blieb ihr nichts anderes übrig, als ein Gespräch mit dem sinnlosen Satz zu beenden: Das verstehst du nicht.

Nachdem Simon gegangen war, setzte sie sich aufs Bett und tat, was getan werden musste. Sie rief seinen Bruder David an und teilte ihm ihre gemeinsame Entscheidung mit, wie sie sich ausdrückte.»Trotzdem bin ich dir sehr dankbar dafür, dass du dich so für uns eingesetzt hast, David«, sagte sie, und sie meinte es ernst.»Aber ich kann mich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen, ein Kind mit seinen leiblichen Eltern zu teilen. Das ist der Grund, warum wir uns dagegen entschieden haben.«