Tommy betrachtete das Foto.»Das ist der Journalist von der Source«, sagte er.»Barbara hat ihn mir beschrieben. Groß, rothaarig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass zwei Männer, auf die diese Beschreibung passt, hier in Cumbria herumschleichen und sich für Nicholas Fairclough interessieren.«
Das wird ja immer besser, hatte Deborah gedacht.»Tommy, wir können diesen Mann benutzen«, sagte sie.»Irgendetwas stimmt doch nicht mit diesen Leuten hier, und er hat Wind davon bekommen, sonst wäre er nicht hergekommen. Ich nehme Kontakt mit ihm auf. Dann wird er denken, er hätte einen direkten Draht zur Polizei. Wir können …«
«Deborah«, hatte Simon gesagt. Es war sein Ton, der sie wahnsinnig machte, dieser Ton, der sagte, wir müssen sie beruhigen.
«Ich weiß nicht, Deb«, hatte Tommy gesagt und weggesehen. Sie fragte sich, ob er über das nachdachte, was sie eben gesagt hatte, oder ob er überlegte, wie er vom Parkplatz verschwinden konnte, bevor sie und Simon sich in die Wolle gerieten. Denn niemand kannte Simon so gut wie Tommy. Er wusste genau, was Deborah bedeutete, wenn Simon ihren Namen in diesem Ton aussprach. Zugegeben, manchmal hatte Simon ja recht, wenn er sich um sie sorgte, aber diesmal sah sie überhaupt keine Veranlassung dazu.
«Das ist doch die Gelegenheit für uns, Tommy«, hatte sie gesagt.
Worauf er entgegnet hatte:»Barbara hat mir mitgeteilt, dass der Journalist drei Tage vor Cresswells Tod schon einmal hier war, Deb. Er wurde hierhergeschickt, um eine Geschichte über Nicholas Fairclough ein bisschen aufzupeppen.«
«Und?«
«Das ist doch offensichtlich, Deborah«, hatte Simon sich eingeschaltet.»Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass der Mann …«
«Also, ihr könnt doch nicht allen Ernstes annehmen, dass er, um seiner Story ein bisschen Pfeffer zu verleihen, auf die Idee gekommen ist, einen Verwandten seiner Hauptfigur um die Ecke zu bringen. Das ist doch vollkommen absurd. «Als beide gleichzeitig ansetzten, etwas darauf zu entgegnen, hatte sie abwehrend eine Hand gehoben.»Nein. Moment. Hört mir zu. Ich habe über diese Sache nachgedacht. Es gibt einiges, was ihr nicht wisst. Und zwar über Nicholas Faircloughs Frau.«
Zum Glück kannten die beiden weder Alatea noch Nicholas Fairclough.
«Barbara ist gerade dabei, Alatea Fairclough zu überprüfen, Deb«, sagte Tommy.
«Das mag ja sein«, entgegnete sie,»aber sie weiß nicht alles. «Dann berichtete sie, was Alatea Fairclough zu verbergen hatte.»Nicholas sagt, es müssen irgendwo Fotos von ihr existieren. Sie hat mal eine Zeitlang als Model gearbeitet, aber sie möchte nicht, dass jemand davon erfährt. Nicholas hat sie natürlich alles erzählt, sonst weiß jedoch niemand in der Familie davon. Nicholas hat von ›sexy Dessous‹ gesprochen, und ich denke, wir wissen alle, was damit gemeint ist.«
«Und zwar?«, fragte Simon. Er bedachte sie mit diesem Blick — ernst und wissend und sorgenvoll.
Verflixt und zugenäht, dachte Deborah.»Das kann alles von Lack und Leder für die Sado-Maso-Szene bis hin zu Pornografie bedeuten, Simon. Da sind wir uns doch sicher einig, oder?«
«Da hast du natürlich recht«, sagte Tommy.»Barbara kümmert sich darum, Deb. Die kriegt das schon hin.«
«Aber das ist noch nicht alles, Tommy. «Deborah wusste, dass Simon nicht begeistert sein würde, wenn sie das Thema anschnitt, doch es musste sein, denn es hatte garantiert etwas mit Ian Cresswell zu tun.»Es geht um das Thema Leihmutterschaft.«
Daraufhin war Simon tatsächlich erblasst. Wahrscheinlich dachte er, sie wolle dieses äußerst sensible und persönliche Thema, das für Streit und Kummer zwischen ihnen sorgte, aufbringen, solange Tommy dabei war und als Schiedsrichter fungieren konnte.»Nicht das«, sagte sie zu ihm.»Ich halte es für möglich, dass Alatea kein Kind austragen kann. Oder dass sie sonst irgendwelche Probleme damit hat, schwanger zu werden. Ich glaube jedenfalls, dass sie auf der Suche nach einer Leihmutter ist und dass es sich bei der Leihmutter um Ian Cresswells Frau Niamh handeln könnte.«
Simon und Tommy sahen einander an. Aber sie hatten Niamh Cresswell noch nie gesehen, und deswegen erklärte Deborah es ihnen: Nicholas Fairclough wünschte sich ein Kind, Alatea besaß eine Ausgabe der Zeitschrift Conception, aus der die Seiten mit den Anzeigen herausgerissen waren, Niamh Cresswell, die ihren Mann verloren hatte und auf der Suche nach einem Neuen war, hatte sich offensichtlich diversen Schönheitsoperationen unterzogen.»Brustvergrößerung wird nicht von der Krankenkasse bezahlt«, sagte Deborah.»Irgendwie muss sie das also finanzieren. Und für Alatea ein Kind auszutragen, wäre die perfekte Lösung. Es ist zwar verboten, sich gegen Bezahlung als Leihmutter zur Verfügung zu stellen, aber da es sich um eine Familienangelegenheit handelt, wird niemand erfahren, ob Geld im Spiel war. Nicholas und Alatea werden es bestimmt niemandem auf die Nase binden. Niamh kriegt also das Kind der beiden, übergibt es ihnen, erhält ein hübsches Sümmchen dafür, und das war’s.«
Simon und Tommy schwiegen. Tommy betrachtete seine Schuhe. Als Nächstes würden sie ihr erklären, sie sei nicht ganz bei Trost — Gott, wie gut sie die beiden kannte —, aber sie kam ihnen zuvor.»Oder vielleicht ist es ja noch viel besser. Vielleicht weiß Nicholas Faiclough ja gar nichts von der Vereinbarung, und Alatea hat vor, die ganze Schwangerschaft vorzutäuschen. Sie ist ziemlich groß, und bei ihrer Figur ist es gut möglich, dass sie erst ganz spät einen dicken Bauch bekommt. Niamh verschwindet für ein paar Monate, und kurz vor der Geburt fährt Alatea zu ihr. Sie denken sich irgendeinen Vorwand aus und …«
«Gott, Deborah. «Simon rieb sich die Stirn, während Tommy von einem Fuß auf den anderen trat.
Tommy trug immer Lobbs-Schuhe, dachte Deborah. Die mussten ein Vermögen gekostet haben, aber die hielten natürlich auch ewig, und wahrscheinlich besaß er die, die er anhatte, schon seit er fünfundzwanzig war. Sie hatten natürlich keinerlei Schrammen. Charlie Denton, Tommys Butler oder Kammerdiener oder Stallmeister oder was auch immer der Mann in Tommys Leben darstellte, würde schon dafür sorgen, dass die Schuhe makellos blieben. Aber sie waren eingetragen und bequem, wie zwei alte Freunde …
Sie merkte, dass Simon mit ihr redete, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie absichtlich die Ohren zugeklappt hatte. Er dachte bestimmt, dass das alles mit ihr zu tun hatte, mit ihnen beiden, mit der Diskussion um das bescheuerte Thema offene Adoption, denn er konnte ja nicht ahnen, dass dieses Thema für sie längst beendet war, und deswegen entschloss sie sich kurzerhand, ihn jetzt gleich darüber aufzuklären.
«Ich habe übrigens David angerufen«, sagte sie.»Ich habe ihm abgesagt. Endgültig. Ich kann damit nicht umgehen, Simon.«
Simons Kiefermuskeln bewegten sich. Das war alles.
Deborah wandte sich an Tommy.»Nehmen wir also mal an, Ian Cresswell hat irgendwie von dem Arrangement erfahren. Er protestiert. Er sagt, dass es schon genug gibt, woran ihre Kinder zu knabbern haben, und er findet, man kann ihnen nicht auch noch zumuten, dass ihre Mutter ein Kind für die Frau des Vetters ihres Vaters austrägt. Er ist davon überzeugt, dass das zu viel Verwirrung stiftet, und spricht ein Machtwort.«
«Die beiden sind geschieden«, gab Tommy vorsichtig zu bedenken.
«Seit wann bedeutet das, dass zwei Menschen aufhören, einander zu kontrollieren? Nehmen wir mal an, er geht zu Nicholas. Er redet auf ihn ein. Nicholas weiß Bescheid oder auch nicht, egal, auf jeden Fall nützt all sein Reden nichts, und er kündigt an, dass er mit Nicholas’ Vater sprechen wird. Aber dass Bernard Fairclough in die Sache hineingezogen wird, ist das Allerletzte, was alle Beteiligten wollen. Er hat Nicholas von Anfang an für einen Versager gehalten. Und jetzt das, ein Streit, der die Familie entzweit …«