«Ah, die wirtschaftliche Lage«, sagte Mignon.»Immer diese Schwankungen.«
«Spar dir den Sarkasmus. Kloschüsseln und Waschbecken werden immer gebraucht, so oder so. Aber es dürfte dich interessieren, dass Freddie seit Ians Tod dabei ist, die Bücher zu überprüfen. Wir wissen, was Dad dir jeden Monat zahlt. Das muss aufhören.«
«Ach ja? Und warum? Hast du Angst, dass ich alles Geld verschleudere, bis nichts mehr für dich übrig ist?«
«Ich glaube, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt, Mignon. Ich weiß, dass Dad deine Unterhaltszahlungen erhöht hat — es steht schwarz auf weiß in den Büchern. Das ist lächerlich. Du brauchst das Geld überhaupt nicht. Du bist rundherum versorgt. Du musst ihn von dieser Pflicht entbinden.«
«Hast du auch schon mit Nick geredet, dem Augenstern unseres Vaters, seit er das Licht der Welt erblickt hat?«
«Herrgott noch mal, ich war ebenso wenig der heiß ersehnte Sohn wie du! Kannst du eigentlich an nichts anderes denken? Willst du bis in alle Ewigkeit darüber lamentieren, dass Dad dich nicht genug geliebt hat? Seit Nick auf der Welt ist, bist du eifersüchtig auf ihn.«
«Während du nicht mal weißt, wie man Eifersucht schreibt?«Mignon kam zurück in den Wohnbereich, suchte sich ihren Weg zwischen all den Kisten und Kartons mit Dingen, die sie online bestellt hatte, und setzte sich wieder in ihren Sessel.»Ich weiß meine Eifersucht, wie du es nennst, wenigstens gewinnbringend zu nutzen.«
«Wovon redest du?«Manette bemerkte die Falle zu spät.
Mignon lächelte wie eine erfolgreiche schwarze Witwe, die auf das Männchen wartet.»Von Ian natürlich. Du hast immer nur Ian geliebt, und alle haben es gewusst. Und jahrelang haben alle hinter deinem Rücken getuschelt. Freddie war nur ein Ersatz, und auch das haben alle gewusst, der arme Freddie eingeschlossen. Der Mann ist ein Heiliger. Oder sonst was.«
«Dummes Zeug.«
«Was? Dass er ein Heiliger ist? Oder dass er sonst was ist? Dass du Ian geliebt hast oder dass Freddie es gewusst hat? Also, du wirst doch wohl nicht bestreiten, dass du Ian geliebt hast, Manette. Gott, es muss dich vollkommen umgehauen haben, als Niamh aufgekreuzt ist. Wahrscheinlich bist du selbst jetzt noch davon überzeugt, dass dieses Miststück Ian in die Arme von Männern getrieben hat.«
«Wenn du dein Gedächtnis ein bisschen bemühst«, sagte Manette ruhig, obwohl sie innerlich kochte,»wirst du auf einen kleinen Fehler in deiner Rechnung stoßen.«
«Und der wäre?«
«Als Ian sich für Niamh entschieden hat, war ich bereits mit Freddie verheiratet.«
«Wir sollten uns nicht an belanglosen Details aufhalten«, sagte Mignon.»Du wolltest Ian schließlich nicht heiraten. Du wolltest nur ein bisschen mit ihm … na ja, heimlich pimpern.«
«Das ist absolut lächerlich.«
«Wie du meinst. «Mignon gähnte.»War’s das dann? Ich würde mich nämlich gern ein bisschen hinlegen. So eine Massage ist ganz schön anstrengend. Wenn es also weiter nichts gibt …«
«Hör auf, Dad auszunehmen. Ich schwöre dir, Mignon, wenn du nicht …«
«Also wirklich, ich bitte dich. Ich nehme mir nur, was mir zusteht. Das machen doch alle. Ich weiß gar nicht, warum du es nicht auch tust.«
«Alle? Wie Vivienne Tully zum Beispiel?«
Mignons Gesicht versteinerte, aber nur so lange, wie es dauerte, bis ihr eine passende Antwort einfieclass="underline" »Wenn du etwas über Vivienne wissen willst, musst du dich an Dad wenden.«
«Was weißt du über sie?«
«Was ich weiß, spielt keine Rolle. Es geht um das, was Ian gewusst hat, Schätzchen. Wie gesagt: Die Leute nehmen sich, was ihnen zusteht. Das wusste Ian besser als jeder andere. Wahrscheinlich hat er sich selbst auch ordentlich bedient. Würde mich jedenfalls nicht wundern. Es wäre ein Kinderspiel für ihn gewesen. Schließlich hatte er den Geldbeutel in der Hand, da hätte er doch nur reinzugreifen brauchen. Aber dann wird Dad ihm auf die Schliche gekommen sein. Mit solchen Tricksereien kommt man nicht ewig davon. Irgendwann fliegt alles auf, und dann ist Schluss mit lustig.«
«Klingt wie eine Warnung, die du selbst beherzigen solltest«, sagte Manette.
Mignon lächelte.»Ach was, ich bin die berühmte Ausnahme von der Regel.«
Was Mignon gesagt hatte, enthielt tatsächlich ein Körnchen Wahrheit. Manette war einmal in Ian verliebt gewesen, aber es war eine Jungmädchenschwärmerei gewesen, ohne Tiefe und ohne Aussicht auf Erfüllung, trotz der sehnsüchtigen Blicke, die sie ihm beim Abendessen mit der Familie zugeworfen hatte, und trotz der verzweifelten Briefe, die sie ihm in die Hand gedrückt hatte, wenn er am Ende der Semesterferien zurück an die Uni fuhr.
Leider hatte Ian ihre Gefühle nicht erwidert. Sicher, er hatte Manette gemocht, doch dann war der schreckliche, unvergessliche Augenblick gekommen, als er sie beiseitegenommen, ihr den Schuhkarton mit all ihren ungeöffneten Briefen gegeben und gesagt hatte:»Bitte, Manette, verbrenn die Briefe. Ich weiß, was sie enthalten, aber es geht einfach nicht. «Er hatte es nicht lieblos gesagt, denn das war nicht seine Art gewesen, trotzdem war es unmissverständlich gewesen.
Tja, irgendwann kommt man über alles weg, hatte Manette sich schließlich gesagt. Doch jetzt fragte sie sich, ob das vielleicht für manche Frauen nicht galt. Sie machte sich auf die Suche nach ihrem Vater und fand ihn unten auf dem Rasen in der Nähe des Sees. Er telefonierte gerade auf seinem Handy, den Kopf konzentriert geneigt. Sie überlegte, ob sie sich anschleichen sollte, um zu hören, was er sagte, aber gerade in dem Moment beendete er sein Gespräch. Er drehte sich um und wollte gerade in Richtung Haus gehen, als er sie auf sich zukommen sah.
Manette versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu interpretieren. Es war merkwürdig, dass er zum Telefonieren nach draußen gegangen war. Natürlich war es möglich, dass er einen Spaziergang gemacht und einen Anruf erhalten hatte, aber das bezweifelte sie, denn für ihren Geschmack hatte er sein Handy allzu hastig in seiner Tasche verschwinden lassen.
«Warum hast du das alles zugelassen?«, fragte sie ihn, als sie bei ihm war. Ebenso wie ihre Mutter war sie größer als er.
«Was meinst du mit alles?«, wollte Fairclough wissen.
«Freddie hat Ians Bücher. Er hat die Kalkulationstabellen ausgedruckt. Er hat die Kalkulationsprogramme. Du musst doch damit gerechnet haben, dass er nach Ians Tod Ordnung schaffen würde.«
«Ich glaube, es geht ihm darum, seine Kompetenz unter Beweis zu stellen. Er will die Firmenleitung übernehmen.«
«Das ist nicht seine Art, Dad. Er würde die Firma leiten, wenn du ihn darum bitten würdest, aber mehr auch nicht. Freddie führt nichts im Schilde.«
«Bist du sicher?«
«Ich kenne Freddie.«
«Wir glauben immer, wir würden unsere Ehepartner kennen. Aber in Wirklichkeit kennen wir sie nicht gut genug.«
«Ich hoffe, du willst damit nicht sagen, dass du Freddie irgendetwas unterstellst. Das lasse ich nicht zu.«
Bernard deutete ein Lächeln an.»Keine Sorge. Ich halte Freddie für einen anständigen Kerl.«
«Das ist er auch.«
«Dass ihr euch habt scheiden lassen … Ich habe es nie verstanden. Nick und Mignon …«Er machte eine vage Geste in Richtung des Turms.»… haben ihre Dämonen, aber ich dachte immer, du wärst anders. Ich habe mich gefreut, als ihr geheiratet habt, du und Freddie. Sie hat eine gute Wahl getroffen, dachte ich. Dass deine Ehe kaputtgeht, dass ihr euch trennt, das war … Du hast sehr wenige Fehler gemacht in deinem Leben, Manette, aber Freddie gehen zu lassen war einer davon.«
«So was kommt vor«, antwortete sie knapp.
«Wenn wir es zulassen«, entgegnete ihr Vater.
Das war wirklich die Höhe, dachte Manette.»So wie du Vivienne Tully zugelassen hast?«, fragte sie.
Bernard wich ihrem Blick nicht aus. Manette wusste, was sich in seinem Innern abspielte. Er ging blitzschnell alle Möglichkeiten durch, die seine Tochter auf diese Frage gebracht haben könnten. Und er fragte sich, wie viel genau Manette wusste.