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«Letztendlich scheint es mal wieder ums Geld zu gehen«, sagte Lynley.

«Das tut es doch in den meisten Fällen, oder?«, bemerkte St. James.

Diesmal brauchten sie keine zusätzliche Lampe, denn für das, was St. James im Bootshaus vorhatte, reichte das Tageslicht aus, das von der Wasseroberfläche reflektiert wurde. St. James wollte die Steine untersuchen, aus denen der Steg gemauert war. Wenn sich außer den beiden Steinen, die Lynley aus dem Wasser geholt hatte, noch mehr Steine gelockert hatten, dann musste das, was Ian Cresswell zugestoßen war, reiner Zufall gewesen sein.

Das Skullboot war da, aber nicht das Ruderboot. Anscheinend war Valerie draußen auf dem See. St. James ging zu der Stelle, an der ihr Boot vertäut gewesen war. Es schien ihm vernünftig, dort als Erstes nachzusehen.

Mühsam ging er auf die Knie.»Geht schon«, sagte er, als Lynley ihm behilflich sein wollte, dann arbeitete er sich vorsichtig auf allen vieren vor. Alles wirkte stabil, bis er den fünften großen Stein erreichte, der so locker saß wie der Schneidezahn eines Fünfjährigen. Auch der sechste und siebte Stein waren locker. Die nächsten vier saßen fest, während Nummer zwölf kaum noch Halt hatte. Dem zwölften Stein rückte St. James mit dem Filetiermesser zuleibe, das er in Grange-over-Sands gekauft hatte. Den Mörtel herauszukratzen, bis der Stein so locker saß, dass er bei der geringsten Berührung ins Wasser fallen würde, war ganz einfach. Die Klinge ließ sich problemlos in den Zwischenraum schieben, und nachdem St. James ein bisschen damit herumgeruckelt hatte, reichte eine leichte Berührung mit dem Fuß — Lynley stellte seinen zur Verfügung —, um den Stein ins Wasser zu befördern. Man konnte sich gut vorstellen, was mit jemandem passieren würde, der aus einem Boot stieg und mit seinem ganzen Gewicht auf einen solchen Stein trat. Die Frage war, ob die anderen lockeren Steine, die St. James nicht mit dem Messer bearbeitet hatte, ebenfalls ins Wasser fallen würden, wenn Lynley einen Fuß daraufsetzte. Einer fiel hinein, drei nicht. Lynley seufzte, schüttelte den Kopf und sagte:»Ich bin offen für Vorschläge. Falls meine Rückkehr nach London einer davon ist, werde ich nicht widersprechen.«

«Wir brauchen direktes Licht.«

«Wozu?«

«Nicht hier drin. Komm mit.«

Sie verließen das Bootshaus. St. James hielt das Filetiermesser hoch. Sie betrachteten es beide, doch um zu sehen, worauf es ankam, brauchte man kein Mikroskop in einem forensischen Labor: Vom Lösen des Mörtels war die Klinge völlig zerkratzt und eingekerbt. Das Messer dagegen, das Lynley aus dem Wasser geholt hatte, hatte keinerlei Gebrauchsspuren aufgewiesen.

«Ah, verstehe«, sagte Lynley.

«Ich denke, damit haben wir Klarheit, Tommy. Es wird Zeit, dass Deborah und ich nach London zurückkehren. Ich will nicht behaupten, dass diese Steine nicht auf andere Weise gelockert worden sein könnten, aber die Tatsache, dass das Messer, das du aus dem Wasser geholt hast, keine Kratzspuren aufweist, legt meiner Meinung nach den Schluss nahe, dass es sich bei Ian Cresswells Tod um einen Unfall gehandelt hat. Es sei denn, die Steine wurden mit Hilfe eines anderen Werkzeugs gelockert. Und falls du nicht vorhast, jeden beweglichen Gegenstand auf dem Grundstück ins Labor zu schaffen …«

«Muss ich einen anderen Weg einschlagen«, beendete Lynley den Satz für ihn.»Oder ich schließe den Fall ab und fahre nach London zurück.«

«Es sei denn, Barbara Havers liefert dir noch irgendetwas. Und es ist ja nicht einmal ein schlechtes Ergebnis, oder? Es ist immerhin ein Ergebnis.«

«Da hast du recht.«

Eine Weile schauten sie schweigend auf den See hinaus. Ein Boot mit einer geschickten Ruderin näherte sich. Valerie Fairclough hatte Anglerkleidung an, aber offenbar kein Glück gehabt. Als sie nahe genug war, hielt sie ihnen ihren leeren Eimer hin und rief gutgelaunt:»Zum Glück hungern wir hier nicht. In den letzten Tagen hab ich überhaupt nichts gefangen.«

«Am Steg im Bootshaus sind noch mehr Steine locker«, rief Lynley.»Und ein paar haben wir zusätzlich gelockert. Seien Sie vorsichtig beim Aussteigen. Wir helfen Ihnen.«

Sie gingen zurück ins Bootshaus. Das Boot glitt hinein, und Valerie vertäute es genau an der Stelle, wo die Steine locker waren.»Sie haben die allerschlimmste Stelle erwischt«, sagte Lynley.»Lag das Boot hier, als Sie losgefahren sind?«

«Ja«, sagte Valerie.»Mir ist gar nichts aufgefallen. Ist es wirklich so schlimm?«

«Die halten nicht mehr lange.«

«Wie die anderen?«

«Wie die anderen.«

Sie entspannte sich. Sie lächelte nicht, aber ihre Erleichterung war deutlich spürbar, dachte St. James, und er wusste, dass es Lynley, der Valerie Fairclough ihre Angelausrüstung abnahm, auch nicht entgangen war. Lynley stellte das Angelzeug ab und reichte dann Valerie Fairclough eine Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Dann stellte er die beiden einander vor.

«Sie haben Ian Cresswells Leiche gefunden, wie ich höre«, sagte St. James.

«Ja, das ist richtig. «Valerie nahm die Baseballmütze ab, die ihr feines, graues Haar bedeckt hatte.

«Und Sie haben auch die Polizei verständigt«, fuhr St. James fort.

«Ganz recht.«

«Ich hätte dazu einige Fragen«, sagte St. James.»Wollten Sie gerade ins Haus gehen? Dürfen wir mitkommen?«

Valerie warf Lynley einen kurzen Blick zu. Sie wirkte nicht argwöhnisch, das würde sie sich nicht anmerken lassen. Aber wahrscheinlich fragte sie sich, warum Lynleys Freund, ein Gerichtssachverständiger aus London, mit ihr reden wollte, und sie wusste garantiert, dass es nicht um ihr derzeitiges Pech beim Angeln gehen dürfte.

«Selbstverständlich«, sagte sie huldvoll. Ein kurzes Flackern in ihren blauen Augen verriet jedoch, dass es ihr durchaus nicht recht war.

Sie machten sich auf den Weg. Nach einer Weile fragte St. James:»Sind Sie an dem Tag auch zum Angeln rausgefahren?«

«An dem Tag, als ich ihn gefunden habe? Nein.«

«Weswegen sind Sie dann im Bootshaus gewesen?«

«Ich habe einen Spaziergang gemacht. Das tue ich fast jeden Nachmittag. Wenn der Winter erst einmal angefangen hat, verbringe ich viel mehr Zeit im Haus, als mir lieb ist, deswegen versuche ich, so viel wie möglich draußen zu sein, solange das Wetter es noch zulässt.«

«Auf dem Anwesen? Im Wald? Auf den Felsen?«

«Ich bin hier geboren und aufgewachsen, Mr. St. James. Ich gehe überall hin, wo es mir gefällt.«

«Und an dem Tag?«

Valerie Fairclough schaute Lynley an.»Würden Sie mir das erklären?«, was eine höfliche Art und Weise war zu fragen, was es zu bedeuten hatte, dass sein Freund sie einem Verhör unterzog.

«Es ist eher mein Interesse als das von Mr. Lynley«, sagte St. James.»Ich habe mit Constable Schlicht über den Tag gesprochen, an dem Ian Cresswells Leiche gefunden wurde. Er hat mir zwei merkwürdige Dinge über den Anruf bei der Polizei erzählt, und seitdem versuche ich, mir einen Reim darauf zu machen. Das heißt, eigentlich bezog sich nur eine seiner Bemerkungen auf den Anruf. Die andere bezog sich auf Sie.«

Jetzt konnte Valerie Fairclough ihren Argwohn nicht länger verbergen. Sie blieb stehen und fuhr sich mit den Händen über ihre Hosenbeine, eine Geste, mit der sie sich zu beruhigen versuchte, so schien es St. James. Lynley, der es ebenfalls bemerkt hatte, warf ihm einen Blick zu, der besagte, er solle nicht lockerlassen.

«Und was hat der Constable Ihnen gesagt?«, wollte Valerie wissen.

«Er hat mit dem Mann in der Telefonzentrale gesprochen, der Ihren Anruf entgegengenommen hat. Und der meinte, die Person, die angerufen hat, sei in Anbetracht der Umstände erstaunlich gelassen gewesen.«