Und da war ihr der Kragen geplatzt. Er ließ sich einfach nicht provozieren, weil das nicht in sein Selbstbild passte. Das hatte sie schon immer in den Wahnsinn getrieben. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es jemals anders gewesen wäre.
Von da an hatte eins das andere ergeben. War es anfangs darum gegangen, wie sie die ganze Sache mit der jungen Frau in Southampton eigenmächtig abgeblasen hatte, hatten sie sich später darüber gestritten, wie oft sie angeblich schon froh gewesen war, dass er sich in ihr Leben eingemischt hatte. Denn mit ihrer verdammten Sturheit, betonte Simon, habe sie sich immer wieder selbst in Gefahr gebracht.
Das heißt, so hatte Simon sich natürlich nicht ausgedrückt, das war nicht sein Stil. Er hatte gesagt:»Es kommt vor, dass du eine Situation nicht klar erfasst und auch nicht bereit bist, dich belehren zu lassen. «Dann hatte er eine Braue gehoben und hinzugefügt:»Das musst du zugeben. «Womit er darauf angespielt hatte, dass sie sich darauf versteift hatte, für die Ermittlung sei es von entscheidender Bedeutung, dass Alatea im Besitz einer Zeitschrift namens Conception war.
«Tommy hat mich gebeten …«
«Ah ja, Tommy. Er hat gesagt, dass deine Aufgabe hier erledigt ist und dass du dich in Gefahr bringst, falls du weitermachst.«
«Wer oder was sollte mir denn gefährlich werden? Das ist doch vollkommen absurd.«
«Da gebe ich dir recht«, erwiderte er.»Fakt ist jedoch, dass wir hier fertig sind, Deborah. Wir müssen zurück nach London. Ich werde mich darum kümmern.«
Damit hatte er das Maß vollgemacht, was ihm natürlich bewusst gewesen war. Er hatte das Zimmer verlassen, um die nötigen Vorkehrungen für ihre Abreise zu treffen, und als er zurückkam, hatte sie ihm die kalte Schulter gezeigt und kein Wort mehr mit ihm gesprochen.
Am nächsten Morgen hatte er gepackt. Aber anstatt ebenfalls ihre Sachen zu packen, hatte sie ihm erklärt, sie werde in Cumbria bleiben.»Die Sache ist für mich noch nicht beendet«, sagte sie, und als er entgegnete:»Wirklich nicht?«, wusste sie, dass er nicht nur die Ermittlungen im Fall Ian Cresswells meinte.
«Ich möchte das hier zu Ende bringen«, sagte sie.»Kannst du nicht wenigstens versuchen zu verstehen, dass mir das wichtig ist? Ich weiß einfach, dass es irgendeine Verbindung zu dieser Frau gibt …«
Das war ein Fehler gewesen. Wenn sie Alatea Fairclough erwähnte, würde das Simon nur in seiner Überzeugung bestärken, dass Deborah sich von ihren eigenen Wünschen blenden ließ.»Dann sehen wir uns in London«, hatte er ruhig entgegnet.»Wann auch immer du zurückkommst. «Er schenkte ihr ein halbherziges Lächeln, das sich anfühlte wie ein Pfeil, der ihr Herz durchbohrte.»Waidmanns Heil.«
Deborah hätte ihm erzählen können, was sie mit diesem Journalisten von der Source vereinbart hatte. Aber wenn sie das getan hätte, wäre herausgekommen, dass sie und Zed Benjamin die weiteren Ermittlungen gemeinsam durchführen wollten. Das hätte Simon unterbunden, indem er sich an Tommy gewandt hätte. Dadurch, dass sie Simon die Wahrheit vorenthielt, verhinderte sie, dass Tommys Identität als Scotland Yard Detective aufflog. Auf diese Weise sorgte sie dafür, dass er mehr Zeit hatte, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wenn Simon nicht einsehen konnte, dass sie jetzt eine entscheidende Rolle bei den Ermittlungen spielte, dann konnte sie daran nichts ändern.
Während Deborah und Simon sich in der Pension in Milnthorpe voneinander verabschiedeten, hatte Zed Benjamin bereits seinen Posten auf der Straße nach Arnside bezogen, von dem aus er sehen konnte, wer bei den Faircloughs aus und ein ging. Sobald Alatea das Haus verließ, würde er Deborah eine SMS schicken. Los bedeutete, dass Alatea mit dem Auto irgendwohin unterwegs war, MT bedeutete, dass sie auf dem Weg nach Milnthorpe war.
Das war das Schöne an Arnside, hatten Deborah und Zed Benjamin am Vortag festgestellt: Es gab zwar mehrere schmale Straßen, die auf die andere Seite des Arnside Knott und zu den dahinterliegenden Dörfern führten, aber wenn man schnell aus dem Dorf hinauswollte, kam nur eine Straße in Frage, nämlich die nach Milnthorpe. Und diese Straße führte am Crow & Eagle vorbei.
Als die SMS kam, war Simon bereits seit einer halben Stunde weg. Aufgeregt las Deborah die Nachricht: Los MT stand da.
Die Sachen, die sie brauchen würde, hatte sie bereits zusammengepackt. In weniger als einer Minute war Deborah unten und postierte sich so am Eingang der Pension, dass sie die Straße im Blick hatte. Durch das Fenster in der Tür sah sie Alatea Fairclough vorbeifahren und nach rechts Richtung A 6 abbiegen. Kurz darauf folgte Zed Benjamin. Deborah stieg ein, als er am Straßenrand hielt.
«Nach Süden«, sagte sie.
«Alles klar. Nick ist kurz nach ihr aufgebrochen. Er wirkte ziemlich niedergeschlagen. Ich nehme an, er ist in die Firma gefahren und leistet seinen Beitrag dazu, das Land mit ausreichend Klos zu versorgen.«
«Was meinen Sie? Hätte einer von uns beiden ihm folgen sollen?«
Er schüttelte den Kopf.»Nein. Ich glaube, Sie haben recht. Die kleine Argentinierin ist der Schlüssel zu allem.«
Der Mann war riesig, dachte Deborah. Er passte nur so gerade in sein Auto. Er war nicht fett, einfach hünenhaft. Sein Sitz war bis zum Anschlag nach hinten geschoben, und dennoch stieß er mit den Knien ans Lenkrad. Aber trotz seiner Größe wirkte er in keiner Weise einschüchternd. Im Gegenteil, er wirkte seltsam sanft, was ihm in seinem Beruf wahrscheinlich eher hinderlich war.
Sie wollte gerade eine Bemerkung dazu machen, als er, den Blick auf Alateas Auto geheftet, unvermittelt sagte:»Ich hätte Sie nie im Leben für eine Polizistin gehalten. Und ich wäre auch nie draufgekommen, wenn ich nicht zufällig gesehen hätte, wie Sie um das Haus der Faircloughs herumgeschlichen sind.«
«Und womit genau habe ich mich verraten, wenn ich fragen darf?«
«Für solche Dinge habe ich einen Riecher. «Er tippte sich mit dem Finger an die Nase.»Das bringt mein Job so mit sich, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
«Wie meinen Sie das?«
«Na ja«, sagte er,»als Journalist darf man sich nicht vom Schein trügen lassen. Investigativer Journalismus erfordert mehr, als am Schreibtisch zu sitzen und darauf zu warten, dass irgendjemandes Erzfeind anruft und einem eine Story serviert, mit der man eine Regierung zu Fall bringt. Da muss man schon ein bisschen gewieft sein, einen guten Jagdinstinkt besitzen.«
Deborah konnte nicht widerstehen.»Investigativer Journalismus«, wiederholte sie nachdenklich.»Ist es das, was Sie bei der Source machen? Dieses Blatt bringt aber nur selten investigative Artikel über die Regierung, oder? Wenn überhaupt.«
«Na ja, das war halt ein Beispiel«, erwiderte er.
«Ach so.«
«Hören Sie, das ist ein Job wie jeder andere«, erwiderte er auf ihren ironischen Unterton.»Eigentlich bin ich Dichter, und die Poesie ist nach wie vor eine brotlose Kunst.«
«Allerdings«, sagte Deborah.
«Hören Sie, ich weiß, die Source ist ein Käseblatt, aber mit irgendwas muss ich schließlich meine Brötchen verdienen, Sergeant Cotter. Ich nehme an, Ihr Job ist auch nicht viel besser, oder? Unter Pflastersteinen nicht den Strand, sondern den Abschaum der Gesellschaft suchen zu müssen.«
Ein ziemlich schiefes Bild. Ein bisschen merkwürdig für einen Dichter, dachte Deborah.»Tja, so kann man das auch sehen«, sagte sie.
«Alles hat seine guten und seine schlechten Seiten.«
Alatea nahm die Abfahrt nach Lancaster. In der Stadt würden sie aufpassen müssen, dass sie sie nicht entdeckte. Sie ließen sich zurückfallen, bis fünf Autos zwischen ihnen waren.
Es war nicht zu übersehen, dass Alatea sich auskannte und wusste, wo sie hinwollte. Im Zentrum von Lancaster bog sie auf den Parkplatz eines niedrigen Backsteinbaus. Deborah und Zed Benjamin fuhren weiter. Zed hielt an der nächsten Straßenecke, und Deborah drehte sich um. Im selben Augenblick kam Alatea auch schon um die Ecke und ging in das Gebäude hinein.