»Im Blue Goat«, sagte Trencher. »Im Hinterzimmer.«
»Und Black Eye ist in der Farrow Street?«
»Ich glaube ja. Den Juden wollt Ihr auch, oder?«
»Ich vertraue deiner Zunge«, sagte Hunter. »Halte sie im Zaum.«
»Nehmt Ihr mich mit, Captain?«
»Wenn du alles richtig erledigst.«
»Das schwöre ich bei Gottes Wunden, Captain.«
»Dann spute dich«, sagte Hunter und trat wieder hinaus auf die matschige Straße. Die nächtliche Luft war warm und still, wie schon den ganzen Tag über. Er hörte das leise Klimpern einer Gitarre und irgendwo trunkenes Gelächter und einen einzelnen Pistolenschuss. Er trottete die Ridge Street entlang in Richtung Blue Goat.
Die Stadt Port Royal unterteilte sich grob in Viertel, die im Umkreis des Hafens lagen. Ganz in der Nähe vom Kai fanden sich die Schenken und Bordelle und Glücksspielhäuser. Etwas weiter entfernt vom lärmenden Getriebe des Hafenviertels wurden die Straßen ruhiger. Hier waren die Lebensmittelhändler und Bäcker, die Möbelschreiner und Schiffsausrüster, die Hufschmiede und Goldschmiede angesiedelt. Noch weiter weg, an der Südseite der Bucht, lagen die wenigen ehrbaren Gast-und Privathäuser. Das Blue Goat war ein ehrbares Gasthaus.
Hunter trat ein und nickte den Gentlemen zu, die an den Tischen tranken. Er erkannte Mr Perkins, einen der besten Ärzte unter den Landratten; den Gemeinderat Mr Pickering; den Büttel vom Zuchthaus Bridewell und etliche andere ehrbare Herrschaften.
Normalerweise wäre ein gewöhnlicher Freibeuter im Blue Goat nicht willkommen, aber Hunter war ein gern gesehener Gast. Grund dafür war, dass der Handel im Ort in erheblichem Maße vom Erfolg regelmäßiger Freibeuterfahrten abhing. Hunter war ein erfahrener und wagemutiger Kapitän und somit ein wichtiges Mitglied der Gemeinde. Im Jahr zuvor hatten seine drei Kaperfahrten Port Royal über zweihunderttausend pistoles und Dublonen eingebracht. Ein Großteil dieses Geldes landete in den Taschen jener Gentlemen, und sie begrüßten ihn entsprechend.
Mistress Wickham, die das Blue Goat betrieb, war weniger warmherzig. Sie war Witwe, und da sie sich einige Jahre zuvor mit Whisper eingelassen hatte, wusste sie, dass Hunter, wenn er auftauchte, mit ihm sprechen wollte. Sie stieß den Daumen in Richtung Hinterzimmer. »Da drin, Captain.«
»Danke, Mistress Wickham.«
Er strebte schnurstracks auf die Tür des Hinterzimmers zu, klopfte und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Er wusste, es würde keine kommen. In dem dunklen Raum brannte nur eine einzige Kerze. Hunter blinzelte, um sich an das trübe Licht zu gewöhnen. Er hörte ein rhythmisches Quietschen. Schließlich konnte er Whisper sehen, der in einer Ecke in einem Schaukelstuhl saß. Whisper hielt eine geladene Pistole in der Hand, mit der er auf Hunters Bauch zielte.
»Einen guten Abend, Whisper.«
Die Antwort war leise, ein raues Zischen. »Einen guten Abend, Captain Hunter. Seid Ihr allein?«
»Jawohl.«
»Dann kommt herein«, lautete die zischende Erwiderung. »Einen Schluck Teufelstöter?« Whisper deutete auf ein Fass neben sich, das als Tisch diente. Darauf standen zwei Gläser und ein kleiner Krug mit Rum.
»Mit Vergnügen, Whisper.«
Hunter sah zu, wie Whisper zwei Gläser mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit füllte. Seine Augen hatten sich jetzt vollständig an das Licht gewöhnt, und er konnte sein Gegenüber besser sehen.
Whisper – keiner kannte seinen richtigen Namen – war ein großer, stämmiger Mann mit übergroßen blassen Händen. Er war selbst einmal ein erfolgreicher Freibeuterkapitän gewesen. Dann hatte er mit Edmunds den Angriff auf Matanceros unternommen. Whisper hatte als Einziger überlebt, nachdem Cazalla ihn gefangen genommen und ihm die Kehle durchgeschnitten hatte. Irgendwie war der Totgeglaubte nicht gestorben, hatte allerdings seine Stimme fast zur Gänze eingebüßt. Ein weiteres deutliches Zeugnis seiner Vergangenheit war die weiße, geschwungene Narbe unter seinem Kinn.
Seit seiner Rückkehr nach Port Royal verkroch Whisper sich in diesem Hinterzimmer, ein starker, rüstiger Mann, aber ohne Mut – die Kraft war ihm entwichen. Er war ängstlich. Er hatte stets eine Waffe in der Hand und eine weitere neben sich. Jetzt, wie er schaukelnd in seinem Stuhl saß, sah Hunter in greifbarer Nähe ein Entermesser auf dem Boden schimmern.
»Was führt Euch zu mir, Captain? Matanceros?«
Hunter hatte wohl verdutzt dreingeschaut, denn Whisper brach in Gelächter aus. Whispers Lachen klang entsetzlich, ein schrilles, schnaufendes Zischen wie von einem Dampfkessel. Er warf beim Lachen den Kopf in den Nacken, wodurch die weiße Narbe deutlich sichtbar wurde.
»Hab ich Euch erschreckt, Captain? Seid Ihr überrascht, dass ich es weiß?«
»Whisper«, sagte Hunter. »Wissen noch mehr Bescheid?«
»Einige«, zischte Whisper. »Oder sie ahnen was. Aber sie wissen nichts Genaues. Ich hab die Geschichte von Mortons Fahrt gehört.«
»Ah.«
»Wollt Ihr hin, Captain?«
»Erzählt mir von Matanceros, Whisper.«
»Wünscht Ihr eine Karte?«
»Ja.«
»Fünfzehn Shilling?«
»Abgemacht«, sagte Hunter. Er wusste, er würde Whisper zwanzig zahlen, um sich sein Wohlwollen und sein Schweigen gegenüber etwaigen späteren Besuchern zu sichern. Und Whisper würde wissen, welche Verpflichtung sich aus den fünf Shilling extra ergab. Und er würde wissen, dass Hunter ihn töten würde, wenn er mit irgendwem sonst über Matanceros sprach.
Whisper holte ein Stück Wachstuch und ein Stück Holzkohle hervor. Er legte sich das Wachstuch aufs Knie und zeichnete rasch.
»Die Insel Matanceros, das spanische Wort für Gemetzel«, flüsterte er. »Sie hat die Form eines U, ungefähr so. Die Hafenmündung zeigt nach Osten, zum Ozean. An dieser Stelle –« er tippte auf die linke Seite des U – »liegt Punta Matanceros. Da hat Cazalla die Festung gebaut. Das Gelände da ist niedrig. Die Festung liegt keine fünfzig Schritte über dem Wasser.«
Hunter nickte und wartete, während Whisper gurgelnd einen Schluck Teufelstöter trank.
»Die Festung ist achteckig. Die Mauern sind aus Stein, dreißig Fuß hoch. Drinnen ist eine spanische Milizgarnison.«
»Wie stark?«
»Manche sagen zweihundert. Manche sagen dreihundert. Ich habe sogar vierhundert gehört, aber das glaube ich nicht.«
Hunter nickte. Er sollte von dreihundert Mann ausgehen. »Und die Kanonen?«
»Nur auf zwei Seiten der Festung«, krächzte Whisper. »Eine Batterie zum Ozean hin, nach Osten. Eine Batterie quer zur Hafenmündung, nach Süden.«
»Was für Kanonen?«
Whisper stieß ein schauriges Lachen aus. »Höchst interessant, Captain Hunter. Es sind culebrinas, 24-Pfünder, Bronzeguss.«
»Wie viele?«
»Zehn, vielleicht zwölf.«
Das war interessant, dachte Hunter. Die culebrinas – Kolubrinen oder Feldschlangen – zählten nicht gerade zu den schlagkräftigsten Geschützen und wurden nicht mehr für den Einsatz auf Schiffen bevorzugt. Stattdessen fand sich auf Kriegsschiffen jeder Fahne inzwischen die kurze Kanone.
Die Kolubrine war ein älteres Geschütz. Kolubrinen wogen über zwei Tonnen und hatten Rohre, die bis zu fünfzehn Fuß maßen. Durch die Länge der Rohre waren Kolubrinen über große Entfernungen tödlich präzise. Sie konnten schwere Kugeln abfeuern und ließen sich flink laden. Von erfahrenen Kanonieren bedient, konnten sie bis zu einmal pro Minute abgefeuert werden.
»Die Festung ist also gut gesichert.« Hunter nickte. »Wer ist der Geschützmeister?«
»Bosquet.«
»Von dem hab ich schon gehört«, sagte Hunter. »Er hat die Renown versenkt.«
»Genau der«, zischte Whisper.
Die Kanoniere waren also gut ausgebildet. Hunter runzelte die Stirn.