Der imposante körperliche Eindruck, den Bassa machte, wurde noch dadurch verstärkt, dass er stumm war und sich nur durch Gesten verständlich machen konnte. Gelegentlich hielten Neuankömmlinge den Mauren, weil er stumm war, auch für dumm, und während Hunter jetzt das Kartenspiel beobachtete, beschlich ihn der Verdacht, dass die beiden Mitspieler denselben Fehler begingen. Er nahm einen Krug Wein mit an einen Nebentisch und lehnte sich zurück, um das Schauspiel genüsslich zu verfolgen.
Die Holländer waren Dandys, elegant gekleidet in Hosen aus feinem Zwirn und bestickten Seidenröcken. Sie tranken stark. Der Maure trank gar nicht. Tatsächlich trank er nie. Wie man sich erzählte, konnte er keinen Alkohol vertragen und hatte einmal, als er betrunken war, fünf Männer mit bloßen Händen getötet, ehe er zur Besinnung kam. Ob an dieser Geschichte etwas dran war oder nicht, wahr war jedenfalls, dass der Maure den Plantagenbesitzer umgebracht hatte, der ihm die Zunge abgeschnitten hatte, um anschließend auch noch dessen Frau und den halben Haushalt zu ermorden, ehe er zu den Piratenhäfen auf der Westseite von Hispañola floh und von dort weiter nach Port Royal.
Hunter sah, wie die Holländer setzten. Sie spielten leichtsinnig, scherzten und lachten gut gelaunt. Der Maure saß teilnahmslos da, vor sich einen Stapel Goldmünzen. Gleek war ein schnelles Spiel, das leichtfertiges Setzen bestrafte, und tatsächlich, vor Hunters Augen zog der Maure drei gleiche Karten, zeigte sie und grapschte sich das Geld der Holländer.
Einen Augenblick lang glotzten sie sprachlos, und dann riefen beide »Betrug!« in mehreren Sprachen. Der Maure schüttelte seelenruhig den mächtigen Kopf und steckte das Geld ein.
Die Holländer verlangten eine weitere Runde, doch der Maure wies sie mit einer Gebärde darauf hin, dass sie zum Setzen kein Geld mehr hatten.
Prompt wurden die Holländer streitsüchtig, zeterten und zeigten mit den Fingern auf den Mauren. Bassa blieb ungerührt, doch als ein Junge von der Bedienung herüberkam, gab er ihm eine Golddublone.
Die Holländer verstanden offenbar nicht, dass der Maure im Voraus für die Schäden bezahlte, die er in dem Glücksspielhaus wohl gleich anrichten würde. Der Junge nahm die Münze und suchte rasch das Weite.
Die Holländer waren aufgesprungen und beschimpften den Mauren, der am Tisch sitzen blieb. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch seine Augen huschten von einem Mann zum anderen. Die Holländer, die immer wütender wurden, hielten die Hände hin und forderten ihr Geld zurück.
Der Maure schüttelte den Kopf.
Dann zog einer der holländischen Seeleute einen Dolch aus seinem Gürtel und fuchtelte dem Mauren damit dicht vor der Nase herum. Der Maure rührte sich noch immer nicht. Er saß ganz still da, die Hände auf dem Tisch gefaltet.
Der andere Holländer griff nach einer Pistole in seinem Gürtel, und im selben Augenblick sprang der Maure auf. Seine große schwarze Hand schnellte vor, entriss dem Holländer den Dolch und rammte die Klinge tief in die Tischplatte. Dann versetzte er dem zweiten Holländer einen Hieb in den Bauch. Der Mann ließ die Pistole fallen und beugte sich hustend vornüber. Der Maure trat ihm ins Gesicht, sodass der Mann quer durch den Raum flog. Dann drehte er sich wieder zu dem ersten Holländer um, der die Augen vor Entsetzen aufgerissen hatte. Der Maure packte ihn, hob ihn mühelos über den Kopf, ging zur Tür und schleuderte den Mann im hohen Bogen auf die Straße, wo er mit dem Gesicht im Matsch landete.
Der Maure kehrte zurück in den Raum, riss das Messer aus dem Tisch, schob es in seinen Gürtel und setzte sich neben Hunter. Erst dann erlaubte er sich ein Lächeln.
»Neulinge«, sagte Hunter.
Der Maure nickte grinsend. Dann legte er die Stirn in Falten und deutete auf Hunter. Seine Miene war fragend.
»Ich bin deinetwegen hier.«
Der Maure zuckte die Achseln.
»Wir segeln in zwei Tagen.«
Der Maure spitzte die Lippen, formte lautlos ein einziges Wort: wohin?
»Matanceros«, sagte Hunter. Der Maure blickte angewidert.
»Du bist nicht interessiert?«
Der Maure feixte und zog einen Zeigefinger quer über seine Kehle.
»Glaub mir, es ist zu schaffen«, sagte Hunter. »Hast du Höhenangst?«
Der Maure machte eine Klettergebärde und schüttelte den Kopf.
»Ich meine nicht die Takelage«, sagte Hunter. »Ich meine eine Felswand. Eine hohe Felswand – drei-oder vierhundert Fuß hoch.«
Der Maure kratzte sich die Stirn. Er blickte an die Decke, stellte sich offenbar die Höhe der Felswand vor. Schließlich nickte er.
»Kannst du das?«
Er nickte wieder.
»Auch bei starkem Wind? Gut. Dann bist du dabei.«
Hunter wollte aufstehen, doch der Maure drückte ihn wieder auf den Stuhl. Der Maure klimperte mit den Münzen in seiner Tasche und zeigte mit einem fragenden Finger auf Hunter.
»Keine Sorge«, sagte Hunter. »Es lohnt sich.«
Der Maure lächelte. Hunter ging.
Sanson fand er in einem Zimmer im ersten Stock vom Queens Arms. Hunter klopfte an die Tür und wartete. Er hörte ein Kichern und einen Seufzer, dann klopfte er erneut.
Eine verblüffend helle Stimme rief: »Verflixt und zugenäht, verschwinde.«
Hunter zögerte und klopfte noch einmal.
»Verdammt, wer ist denn da?«, rief die Stimme von drinnen.
»Hunter.«
»Ich fass es nicht. Herein mit Euch, Hunter.«
Hunter öffnete die Tür und ließ sie weit aufschwingen, trat aber nicht ein. Einen Augenblick später kam der Nachttopf samt Inhalt durch die offene Tür geflogen.
Hunter hörte ein leises Lachen aus dem Zimmer. »Auf der Hut wie eh und je, Hunter. Ihr werdet uns alle überleben. Tretet ein.«
Hunter betrat den Raum. Im Licht einer einzelnen Kerze sah er Sanson neben einer blonden Frau aufrecht im Bett sitzen. »Ihr habt uns gestört, mein Sohn«, sagte Sanson. »Beten wir, dass Ihr einen guten Grund habt.«
»Den habe ich«, erwiderte Hunter.
Ein Augenblick lang herrschte betretenes Schweigen, während die beiden Männer einander ansahen. Sanson kratzte sich den dichten schwarzen Bart. »Soll ich den Grund für Euer Erscheinen erraten?«
»Nein«, sagte Hunter und warf einen Blick auf die Frau.
»Ah«, sagte Sanson. Er wandte sich der Frau zu. »Mein köstlicher Pfirsich …« Er küsste ihre Fingerspitzen und deutete mit der Hand durchs Zimmer.
Die Frau krabbelte unverzüglich nackt aus dem Bett, schnappte sich hastig ihre Sachen und verschwand zur Tür hinaus.
»Was für ein entzückendes Geschöpf«, sagte Sanson.
Hunter schloss die Tür.
»Sie ist Französin, müsst Ihr wissen«, sagte Sanson. »Französinnen geben die besten Liebhaberinnen ab, findet Ihr nicht auch?«
»Auf jeden Fall die besten Huren.«
Sanson lachte. Er war ein großer, massiger Mann, der grüblerisch und finster wirkte – dunkles Haar, dunkle Brauen, die sich über der Nase trafen, dunkler Bart, dunkle Haut. Aber seine Stimme war erstaunlich hoch, besonders wenn er lachte. »Kann ich Euch nicht das Zugeständnis entlocken, dass Französinnen besser sind als Engländerinnen?«
»Nur im Verbreiten von Krankheiten.«
Sanson lachte herzhaft. »Hunter, Ihr habt einen höchst ungewöhnlichen Humor. Trinkt Ihr ein Glas Wein mit mir?«
»Mit Vergnügen.«
Sanson schenkte ihm aus der Flasche ein, die auf dem Nachttisch stand. Hunter nahm das Glas und hob es, um ihm zuzuprosten. »Auf Euer Wohl.«
»Und auf das Eure«, sagte Sanson, und sie tranken. Keiner der beiden ließ den anderen aus den Augen.
Was Hunter betraf, so traute er Sanson schlechterdings nicht über den Weg. Eigentlich wollte er Sanson lieber nicht mitnehmen, doch der Franzose war unerlässlich für den Erfolg des Unternehmens. Denn Sanson war trotz seines Hochmuts, seiner Aufgeblasenheit und Wichtigtuerei der skrupelloseste Killer in der ganzen Karibik. Er stammte sogar aus einer Familie von französischen Henkern.