»Nicht einen, Sire.«
»Und die Ladung –«
»So wie Eure Inspektoren sie vorgefunden haben, Sire. Wir würden nichts anfassen, Sire. Das wisst Ihr.«
Sir James fragte sich, wie viele unschuldige Menschen L’Olonnais ermordet hatte, um die Decks des Handelsschiffes zu leeren. Und er fragte sich, wo der Pirat an Land gegangen war, um die kostbaren Anteile der Ladung zu verstecken. Im Karibischen Meer lagen unzählige Inseln und kleine brackige Eilande, die sich bestens dafür eigneten.
Sir James trommelte mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. Der Mann log offensichtlich, aber er brauchte Beweise. Selbst im rauen Port Royal galt das englische Gesetz.
»Nun gut«, sagte er schließlich. »Ich weise Euch ausdrücklich darauf hin, dass die Krone überaus unzufrieden mit der Beute ist. Der König nimmt daher ein Fünftel –«
»Ein Fünftel!« Normalerweise nahm der König ein Zehntel oder sogar nur ein Fünfzehntel.
»In der Tat«, sagte Sir James gelassen. »Seine Majestät erhält ein Fünftel, und ich weise Euch zudem ausdrücklich darauf hin, dass Ihr unverzüglich vor Gericht gestellt und als Pirat und Mörder gehängt werdet, falls mir irgendein Beweis für niederträchtiges Verhalten Eurerseits zu Ohren kommt.«
»Sire, ich schwöre Euch, ich –«
»Genug«, sagte Sir James und hob eine Hand. »Ihr dürft vorläufig gehen, aber denkt an meine Worte.«
L’Olonnais verbeugte sich mit übertriebenem Eifer und ging rückwärts aus dem Zimmer. Almont läutete nach seinem Berater.
»John«, sagte er, »spürt mir einige von L’Olonnais’ Seeleuten auf und sorgt dafür, dass ihre Zungen gut mit Wein geölt werden. Ich will wissen, wie er an das Schiff gekommen ist, und ich will stichhaltige Beweise gegen ihn.«
»Sehr wohl, Euer Exzellenz.«
»Und John: Legt den Zehnt für den König beiseite und ein Zehntel für den Gouverneur.«
»Ja, Euer Exzellenz.«
»Das wäre alles.«
John verbeugte sich. »Euer Exzellenz, Captain Hunter ist da wegen seiner Papiere.«
»Dann führt ihn herein.«
Einen Moment später betrat Hunter den Raum. Almont stand auf und schüttelte ihm die Hand.
»Ihr seid offenbar guter Laune, Captain.«
»Das bin ich, Sir James.«
»Die Vorbereitungen laufen gut?«
»Vortrefflich, Sir James.«
»Zu welchen Kosten?«
»Fünfhundert Dublonen, Sir James.«
Almont hatte mit dieser Summe gerechnet. Er holte einen Beutel Münzen aus seinem Schreibtisch hervor. »Das wird genügen.«
Hunter nahm das Geld mit einer Verbeugung entgegen.
»Nun denn«, sagte Sir James. »Ich habe ein Schreiben aufsetzen lassen, das Euch das Fällen von Blutholz gestattet, wo immer Ihr es als angemessen erachtet.« Er reichte Hunter den Brief.
Im Jahre 1665 galt der Handel mit Blutholzbäumen bei den Engländern als rechtmäßig, obgleich die Spanier das Monopol auf diesen Handel für sich beanspruchten. Das Holz des Blutholzbaumes, Haematoxylum campechianum, wurde für die Herstellung von rotem Farbstoff sowie in gewissen Arzneien verwendet. Es war ebenso wertvoll wie Tabak.
»Ich muss Euch darauf hinweisen«, sagte Sir James bedächtig, »dass wir keinen Angriff auf irgendeine spanische Siedlung gutheißen können, solange keine Provokation vorliegt.«
»Ich verstehe«, sagte Hunter.
»Vermutet Ihr, dass es zu einer Provokation kommen wird?«
»Ich bezweifle es, Sir James.«
»Dann wird Euer Angriff auf Matanceros selbstredend als Piratenüberfall betrachtet werden.«
»Sir James, unsere kümmerliche Schaluppe Cassandra, leicht bewaffnet und, wie Eure Papiere beweisen, zu Handelszwecken unterwegs, könnte von den Kanonen auf Matanceros unter Feuer genommen werden. Wären wir in diesem Fall nicht gezwungen zurückzuschlagen? Der ungerechtfertigte Beschuss eines harmlosen Schiffs ist nicht zu billigen.«
»Wahrhaftig nicht«, sagte Sir James. »Ich bin sicher, ich kann darauf vertrauen, dass Ihr wie ein Soldat und Gentleman handelt.«
»Ich werde Euer Vertrauen nicht enttäuschen.«
Hunter wandte sich zum Gehen. »Noch ein Letztes«, sagte Sir James. »Cazalla genießt Philipps Gunst. Cazallas Tochter ist mit Philipps Vizekanzler verheiratet. Sollte Cazallas Bericht über die Ereignisse in Matanceros anders ausfallen als Eure Darstellung, wäre das für Seine Majestät König Charles höchst unerfreulich.«
»Ich bezweifele«, sagte Hunter, »dass Cazalla irgendwelche Berichte abliefern wird.«
»Es darf keine geben.«
»Aus den Tiefen des Meeres werden gemeinhin keine Berichte gesandt.«
»Fürwahr«, sagte Sir James. Die beiden Männer schüttelten einander die Hände.
Als Hunter die Gouverneursresidenz verließ, reichte eine schwarze Dienstmagd ihm einen Brief, machte dann wortlos kehrt und verschwand wieder. Hunter ging die Stufen der Residenz hinunter und las dabei den Brief, der von einer Frauenhand verfasst worden war.
Verehrter Captain – Wie mir unlängst zur Kenntnis gebracht wurde, soll sich im Innern der jamaikanischen Insel, im sogenannten Crawford’s Valley, eine wunderschöne Süßwasserquelle befinden. Um die Wonnen meiner neuen Heimstatt kennenzulernen, werde ich am Nachmittag einen Ausflug dorthin machen und hoffe, dass mir nicht zu viel versprochen wurde.
Herzlichst Eure Emily Hacklett
Hunter steckte den Brief in die Tasche. Unter normalen Umständen hätte er der zwischen Mrs Hackletts Zeilen versteckten Einladung auf keinen Fall Folge geleistet. Er hatte an diesem letzten Tag vor dem Auslaufen der Cassandra noch alle Hände voll zu tun. Doch er musste ohnehin ins Landesinnere, um sich mit Black Eye zu treffen. Falls ihm danach noch etwas Zeit blieb … Er zuckte die Achseln und ging zu den Ställen, um sein Pferd zu holen.
KAPITEL 9
Der Jude hatte sich östlich von Port Royal in der Sutter’s Bay versteckt. Schon von Weitem sah Hunter beißenden Rauch über den grünen Bäumen aufsteigen und hörte gelegentlich Sprengladungen knallen.
Als er auf eine kleine Lichtung ritt, sah er den Juden inmitten einer bizarren Szenerie: Überall lagen tote Tiere herum, die in der heißen Mittagssonne vor sich hin stanken. Auf einer Seite standen drei kleine Holzfässer mit Salpeter, Holzkohle und Schwefel. Glasscherben glitzerten in den hohen Bäumen. Der Jude selbst arbeitete fieberhaft, Kleidung und Gesicht beschmiert mit Blut und dem Staub von explodiertem Pulver.
Hunter stieg vom Pferd und sah sich um. »Was in Gottes Namen treibt Ihr hier?«
»Das, worum Ihr mich gebeten habt«, erwiderte Black Eye. Er lächelte. »Ihr werdet nicht enttäuscht sein. Hier, ich zeig es Euch. Als Erstes habt Ihr mich beauftragt, eine lange und langsam brennende Zündschnur herzustellen. Ja?«
Hunter nickte.
»Die üblichen Zündschnüre sind untauglich«, sagte der Jude abfällig. »Man könnte eine Pulverspur verwenden, aber die brennt sehr rasch ab. Oder man könnte eine Lunte verwenden.« Eine Lunte bestand aus einem in Salpeter getränkten Stück Kordel oder Zwirn. »Aber eine Lunte ist ausgesprochen langsam, und häufig ist die Flamme zu schwach, um den Sprengstoff zu entzünden. Versteht Ihr?«
»Aber ja.«
»Nun denn. Eine Flamme mit mittlerer Brenngeschwindigkeit erhält man durch einen erhöhten Schwefelanteil im Pulver. Aber eine solche Mischung gilt als unzuverlässig. Die Flamme könnte zwischendurch ausgehen, was wir nicht wollen.«
»Nein.«
»Ich habe allerlei getränkte Schnüre und Dochte und Lappen ausprobiert, vergeblich. Auf nichts davon ist Verlass. Daher habe ich nach einem Behältnis für das Pulver gesucht. Und das hier gefunden.« Er hielt ein dünnes weißes, sehniges Material hoch. »Die Gedärme einer Ratte«, sagte er mit einem glücklichen Lächeln. »Ich habe sie über warmen Kohlen leicht getrocknet, um die Säfte zu entfernen, und sie sind dennoch geschmeidig geblieben. Also, mit Pulver gefüllt, wird aus dem Darm eine brauchbare Zündschnur. Ich zeig es Euch.«