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Er nahm ein etwa zehn Fuß langes weißliches Stück Darm, durch dessen Wand das Pulver dunkel durchschien. Er legte es auf die Erde und zündete ein Ende an.

Die Zündschnur brannte nur leise zischend und so langsam, dass die Flamme in einer Minute höchstens ein bis zwei Zoll zurücklegte.

Der Jude strahlte übers ganze Gesicht. »Seht Ihr?«

»Ihr habt allen Grund, stolz zu sein«, sagte Hunter. »Könnt Ihr diese Zündschnur transportieren?«

»Mühelos«, sagte der Jude. »Das einzige Problem ist die Zeit. Wenn der Darm zu sehr austrocknet, wird er brüchig und könnte reißen. Das passiert nach gut einem Tag.«

»Dann müssen wir eine Anzahl Ratten mitnehmen.«

»Das denke ich auch«, sagte der Jude. »Und nun habe ich noch eine Überraschung, etwas, das Ihr nicht in Auftrag gegeben habt. Vielleicht habt Ihr keine Verwendung dafür, aber ich halte es für eine großartige Erfindung.« Er hielt inne. »Sagt Euch das Wort grenadoe etwas?«

»Nein«, sagte Hunter kopfschüttelnd. »Was soll das sein? Eine vergiftete Frucht?«

»Gewissermaßen«, sagte der Jude mit einem schwachen Lächeln. »Es ist eine besondere Waffe. Ich hatte von ihr gehört, aber auch, dass ihre Herstellung gefährlich ist. Ich habe es dennoch gewagt. Entscheidend ist die richtige Salpetermenge. Ich zeige es Euch.«

Der Jude hielt eine leere Glasflasche mit kleinem Hals hoch. Vor Hunters Augen schüttete der Jude eine Handvoll Vogelschrot und einige Metallstückchen hinein. Während er hantierte, sagte der Jude: »Ich möchte nicht, dass Ihr schlecht von mir denkt. Wisst Ihr etwas über die Gran Complicidad?«

»Nur ein wenig.«

»Es fing an mit meinem Sohn«, sagte der Jude und verzog das Gesicht, während er die grenadoe vorbereitete. »Im August des Jahres 1639 hatte mein Sohn dem jüdischen Glauben schon lange abgeschworen. Er lebte in Lima, in Peru, in Neuspanien. Seine Familie gedieh. Er hatte Feinde.

Am elften August wurde er festgenommen« – der Jude schüttete noch mehr Schrot in die Flasche – »und angeklagt, ein heimlicher Jude zu sein. Es hieß, er würde an einem Samstag nicht verkaufen und auch keinen Speck zum Frühstück essen. Er wurde als Judaisierer gebrandmarkt. Er wurde gefoltert. Man zog ihm rot glühende Eisenschuhe an die nackten Füße, die ihm das Fleisch versengten. Er gestand.« Der Jude füllte die Glasflasche bis oben mit Pulver und versiegelte sie mit flüssigem Wachs.

»Er wurde sechs Wochen lang eingekerkert«, fuhr er fort. »Im Januar 1639 wurden elf Männer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sieben davon bei lebendigem Leibe. Einer der sieben war mein Sohn. Cazalla war der Garnisonskommandant, der das Autodafé überwachte. Der Besitz meines Sohnes wurde beschlagnahmt. Seine Frau und seine Kinder … verschwanden.«

Der Jude warf Hunter einen kurzen Blick zu und wischte sich die Tränen ab, die ihm in den Augen standen. »Ich trauere nicht«, sagte er. »Aber vielleicht versteht Ihr das hier jetzt besser.« Er hob die grenadoe und steckte eine kurze Lunte hinein.

»Ihr sucht besser Deckung hinter den Büschen da«, sagte der Jude. Hunter gehorchte und sah zu, wie der Jude die Flasche auf einen Felsen stellte, die Lunte anzündete und dann wie verrückt zu ihm gerannt kam. Beide Männer beobachteten die Flasche.

»Was soll denn passieren?«, fragte Hunter.

»Schaut hin«, sagte der Jude und lächelte zum ersten Mal.

Einen Augenblick später explodierte die Flasche. Glas und Metall wurde in alle Richtungen geschleudert. Hunter und der Jude duckten sich, hörten, wie die Bruchstücke über ihnen durchs Laub fetzten.

Als Hunter den Kopf wieder hob, war er blass. »Allmächtiger«, sagte er.

»Keine ehrenhafte Apparatur«, sagte der Jude. »Sie fügt allem, was fester ist als Fleisch, nur wenig Schaden zu.«

Hunter blickte den Juden neugierig an.

»Der Spanier hat derlei Aufmerksamkeiten verdient«, sagte der Jude. »Was haltet Ihr von der grenadoe?«

Hunter zögerte. Alles in ihm lehnte sich gegen eine so unbarmherzige Waffe auf. Doch er zog mit sechzig Mann los, um in einem feindlichen Stützpunkt eine Schatzgaleone zu kapern: sechzig Mann gegen eine Festung mit dreihundert Soldaten und der Schiffsbesatzung an Land, was noch einmal zwei-oder dreihundert Mann ausmachte.

»Baut mir ein Dutzend«, sagte er. »Verpackt sie gut für die Reise und erzählt niemandem davon. Sie sind unser Geheimnis.«

Der Jude lächelte.

»Ihr werdet Eure Rache bekommen, Don Diego«, sagte Hunter. Dann stieg er auf sein Pferd und ritt davon.

KAPITEL 10

Crawford’s Valley lag einen leichten halbstündigen Ritt gen Norden, durch das üppige Grün am Fuße der Blue Mountains. Hunter gelangte zu einem hohen Kamm mit Blick über das Tal und sah am Ufer des plätschernden Bachs, der von einem Teich in den Felsen am Ostrand des Tals gespeist wurde, die angebundenen Pferde von Mrs Hacklett und ihren zwei Sklavinnen. Er sah auch eine Picknickdecke, auf der etwas zu essen ausgebreitet war.

Er ritt zu den Pferden hinunter und band sein eigenes an. Im Handumdrehen hatte er die beiden schwarzen Frauen bestochen, indem er einen Finger an die Lippen presste und ihnen einen Shilling zuwarf. Kichernd huschten die Frauen davon. Sie waren nicht zum ersten Mal bestochen worden, Stillschweigen über ein heimliches Treffen zu bewahren, und Hunter hatte keine Sorge, sie könnten irgendwem verraten, was sie gesehen hatten.

Er glaubte auch nicht, dass sie nicht schon bald durch die Büsche spähen würden, um leise lachend die beiden Weißen zu beobachten. Er schlich hinter den Felsen am Rand des Teichs entlang, der am Fuße eines sanften Wasserfalls lag. Mrs Hacklett planschte im Wasser der Quelle herum. Sie hatte Hunter noch nicht bemerkt.

»Sarah«, sagte Mrs Hacklett zu der Sklavin, die sie noch immer in der Nähe wähnte, »kennst du diesen Captain Hunter, im Hafen?«

»Hmm-hmmm«, sagte Hunter mit hoher Stimme. Er setzte sich neben ihre Kleidung.

»Robert meint, er ist bloß ein gewöhnlicher Schurke und Pirat«, sagte sie. »Aber Robert schenkt mir so wenig Beachtung. Seit ich die Favoritin des Königs war – na, das ist wahrlich ein fideler Mann, das steht fest. Aber dieser Captain Hunter, er ist so stattlich. Genießt er die Gunst von vielen Frauen in der Stadt, weißt du das?«

Hunter antwortete nicht. Er beobachtete die planschende Mrs Hacklett.

»Ganz bestimmt. Er hat so einen Blick in den Augen, mit dem er das härteste Herz zum Schmelzen bringen kann. Und er ist offensichtlich stark und mutig, das könnte keiner Frau entgehen. Und seine Finger und seine Nase haben eine beachtliche Länge, was hinsichtlich seiner Aufmerksamkeiten Gutes verheißt. Hat er eine Favoritin in der Stadt, Sarah?«

Hunter antwortete nicht.

»Seine Majestät hat lange Finger, und er ist vorzüglich ausgestattet für das Schlafgemach.« Sie kicherte. »So etwas sollte ich gar nicht sagen, Sarah.«

Hunter sagte noch immer nichts.

»Sarah?« Sie drehte sich um und erblickte Hunter, der dasaß und sie angrinste.

»Wisst Ihr nicht, wie ungesund baden ist?«, sagte Hunter.

Sie spritzte wütend mit dem Wasser. »Alles, was über Euch geredet wird, ist wahr«, murrte sie. »Ihr seid ein niederträchtiger, ungehobelter, zutiefst verdorbener Mann und wahrlich kein Gentleman.«

»Habt Ihr heute einen Gentleman erwartet?«

Sie spritzte wieder mit dem Wasser. »Ich habe allerdings mehr als einen gemeinen Leisetreter und Dieb erwartet. Jetzt geht, damit ich mich ankleiden kann.«