Выбрать главу

»Ihr scheint verwirrt, Engländer. Ist Euch diese Gepflogenheit fremd? Die Indianer in Neuspanien nannten dieses Blatt Koka. Es wächst dort im Hochland. Es verleiht dem, der es kaut, Tatkraft und Stärke. Bei Frauen schürt es das Feuer«, fügte er leise lachend hinzu. »Möchtet Ihr es einmal probieren? Nein? Es widerstrebt Euch, meine Gastlichkeit anzunehmen, Engländer.«

Er kaute einen Augenblick schweigend, während er Hunter anblickte. Schließlich sagte er: »Sind wir uns nicht schon einmal begegnet?«

»Nein.«

»Euer Gesicht kommt mir seltsam bekannt vor. Vielleicht früher, als Ihr jünger wart?«

Hunter spürte sein Herz pochen. »Ich glaube nicht.«

»Ihr habt gewiss recht«, sagte Cazalla. Er warf einen nachdenklichen Blick auf das Gemälde an der Wand. »Für mich sehen alle Engländer gleich aus. Ich kann sie einfach nicht unterscheiden.« Er sah wieder Hunter an. »Und dennoch habt Ihr mich erkannt. Wie ist das möglich?«

»Euer Gesicht und Eure Gestalt sind in den englischen Kolonien wohlbekannt.«

Cazalla kaute ein Stück Limone mit seinen Blättern. Er lächelte, lachte dann leise. »Ohne Zweifel«, sagte er. »Ohne Zweifel.«

Plötzlich fuhr er in seinem Sessel herum und schlug klatschend mit der Hand auf den Tisch. »Genug: Wir haben über Wichtigeres zu sprechen. Wie lautet der Name Eures Schiffes?«

»Cassandra«, erwiderte Hunter.

»Und wer ist der Eigner?«

»Ich selbst bin Eigner und Kapitän.«

»Und wo seid Ihr in See gestochen?«

»Port Royal.«

»Und was ist der Grund Eurer Reise?«

Hunter zögerte. Wenn ihm ein glaubhafter Grund eingefallen wäre, hätte er ihn unverzüglich genannt. Aber es war nicht leicht zu erklären, was sein Schiff in diese Gewässer geführt hatte. Schließlich sagte er: »Uns wurde mitgeteilt, ein Sklavenschiff aus Guinea wäre in diesen Breiten zu finden.«

Cazalla machte ein schnalzendes Geräusch und schüttelte den Kopf. »Engländer, Engländer.«

Hunter tat so gut er konnte, als würde es ihn große Überwindung kosten, und sagte dann: »Wir waren auf dem Weg nach Augustine.« Das war die größte Siedlung in der spanischen Kolonie Florida. Sie hatte keine besonderen Reichtümer zu bieten, aber es war immerhin denkbar, dass englische Freibeuter es angreifen wollten.

»Ihr habt einen merkwürdigen Kurs gewählt. Und einen langsamen.« Cazalla trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wieso seid Ihr nicht nach Westen um Kuba herum gesegelt, in die Bahamas-Passage?«

Hunter zuckte die Achseln. »Wir hatten Grund zu befürchten, dass wir in der Passage auf spanische Kriegsschiffe treffen würden.«

»Und hier nicht?«

»Die Gefahr war hier geringer.«

Cazalla dachte eine Weile darüber nach. Er kaute geräuschvoll und nippte an seinem Wein. »In Augustine gibt es bloß Sümpfe und Schlangen«, sagte er. »Und Ihr hattet keinen Grund, die Windward-Passage zu riskieren. Und hier in der Nähe …« Er zuckte die Achseln. »Keine Siedlung, die nicht stark verteidigt wird, zu stark für Euer kleines Schiff und Eure mickrige Besatzung.« Er runzelte die Stirn. »Engländer, warum seid Ihr hier?«

»Ich habe die Wahrheit gesagt«, erwiderte Hunter. »Wir waren auf dem Weg nach Augustine.«

»Diese Wahrheit überzeugt mich nicht«, sagte Cazalla.

Im selben Moment klopfte es an der Tür, und ein Seemann reckte den Kopf in die Kajüte. Er sagte rasch etwas auf Spanisch. Hunter sprach kein Spanisch, aber er hatte Französischkenntnisse, mit deren Hilfe er erschließen konnte, was der Seemann zu Cazalla sagte: Die Prisenbesatzung hatte die Schaluppe klar zum Segeln gemacht. Cazalla nickte und stand auf.

»Wir segeln jetzt weiter«, sagte er. »Ihr kommt mit mir an Deck. Vielleicht sind andere in Eurer Besatzung ja redseliger als Ihr.«

KAPITEL 16

Die Freibeuter waren in zwei ungeordneten Reihen aufgestellt worden, die Hände noch immer gefesselt. Cazalla schritt vor den Männern auf und ab. Er hielt ein Messer in einer Hand und schlug mit der flachen Klinge auf die Innenseite der anderen Hand. Einen Moment lang war es mucksmäuschenstill bis auf das rhythmische Klatschen von Stahl auf Haut.

Hunter wandte den Blick ab, betrachtete die Takelage des Kriegsschiffes. Es fuhr auf einem östlichen Kurs – wahrscheinlich um im Schutz von Hawk’s Nest, südlich der Turksinseln, vor Anker zu gehen. Im Dämmerlicht konnte er die Cassandra sehen, die dem größeren Schiff in kurzem Abstand folgte.

Cazalla riss ihn aus seinen Gedanken.

»Euer Captain«, sagte er laut, »will mir euer Ziel nicht verraten. Er behauptet, es ist Augustine«, sagte er mit vor Sarkasmus triefender Stimme. »Augustine! Ein Kind könnte überzeugender lügen. Aber ich sage euch: Ich werde erfahren, wohin ihr wolltet. Wer von euch tritt vor und sagt es mir?«

Cazalla blickte an den beiden Reihen mit Gefangenen entlang. Die Männer starrten ausdruckslos zurück.

»Muss ich euch ermuntern? Hä?« Cazalla trat dicht vor einen Seemann. »Du. Sagst du es mir?«

Der Seemann rührte sich nicht, sprach nicht, blinzelte nicht einmal. Einen Augenblick später ging Cazalla weiter.

»Euer Schweigen wird euch nichts nützen«, sagte er. »Ihr seid alle Ketzer und Banditen, und ihr werdet beizeiten am Strick baumeln. Bis dieser Tag kommt, kann ein Mann entweder angenehm leben oder nicht. Derjenige unter euch, der den Mund aufmacht, wird behaglich leben bis zu dem festgesetzten Tag, und darauf gebe ich ihm mein feierliches Wort.«

Noch immer rührte sich niemand. Cazalla blieb stehen. »Ihr seid Dummköpfe. Ihr unterschätzt meine Entschlossenheit.«

Er blieb vor Trencher stehen, eindeutig der Jüngste der Freibeuter. Trencher zitterte, bewahrte aber Haltung.

»Du, Bursche«, sagte Cazalla mit sanfterer Stimme. »Du gehörst nicht in diese derbe Gesellschaft. Sprich und verrate mir das Ziel eurer Reise.«

Trencher öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder. Seine Lippen bebten.

»Sprich«, sagte Cazalla leise. »Sprich, sprich …«

Doch der Augenblick verging. Trenchers Mund war fest zusammengepresst.

Cazalla betrachtete ihn einen Augenblick lang, und dann schnitt er ihm mit einer einzigen, raschen Bewegung die Kehle durch. Das Messer in seiner Hand fuhr so schnell hoch, dass Hunter es kaum mitbekam. Ein breiter Schwall Blut ergoss sich leuchtend rot über das Hemd des Jungen. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, und er schüttelte langsam den Kopf, fast ungläubig. Trencher sank auf die Knie und verharrte einen Augenblick so, während er mit gesenktem Kopf zusah, wie sein eigenes Blut auf die Holzplanken spritzte und auf die Spitzen von Cazallas Stiefeln. Der Spanier trat fluchend einen Schritt zurück.

Trencher blieb eine Ewigkeit so knien, wie es schien. Dann hob er den Kopf und sah Hunter quälend lange in die Augen. Sein Blick war flehend und verwirrt und ängstlich. Und dann rollten seine Augen nach oben, und sein Körper schlug flach aufs Deck, wo ihn ein heftiges Beben durchlief.

Alle Seeleute sahen zu, wie Trencher starb, und dennoch rührte sich keiner. Sein Körper zuckte, seine Schuhe schabten über die Planken. Eine große Blutlache sammelte sich um sein Gesicht. Und schließlich blieb er reglos liegen.

Cazalla hatte den Todeskampf fasziniert beobachtet. Jetzt trat er vor, stellte einen Fuß auf den Hals des toten Jungen und trat einmal fest zu. Ein Knirschen von brechenden Knochen ertönte.

Er blickte die aufgereihten Seeleute an. »Ich werde die Wahrheit erfahren«, sagte er. »Ich schwöre, ich werde sie erfahren.« Er drehte sich blitzschnell zu seinem ersten Offizier um. »Schafft sie nach unten und sperrt sie ein«, sagte er. Er deutete mit einem Nicken auf Hunter. »Den da auch.«