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Sanson schlich zum nächsten Mann, huschte wie ein Schatten übers Deck. Er verfuhr mit ihm auf die gleiche Weise. Keine zehn Minuten später hatte er jeden Mann auf dem Schiff getötet. Er ließ sie so liegen, als würden sie schlafen.

Als Letztes starb der Wachposten, der am Heck betrunken über der Ruderpinne lag. Sanson schnitt dem Mann die Gurgel durch und stieß ihn über Bord. Er fiel mit einem leisen Platsch ins Wasser, was jedoch eine Wache an Deck des Kriegsschiffes hörte. Der Mann lehnte sich über die Reling und blickte zur Schaluppe hinüber.

»¿Todo bien?«, rief er.

Sanson postierte sich am Heck, wo der über Bord gegangene Soldat gestanden hatte, und winkte der Wache auf dem anderen Schiff. Er war zwar tropfnass und trug keine Uniform, aber er wusste, dass der andere das in der Dunkelheit nicht erkennen konnte.

»Sí, sí«, sagte er schläfrig.

Der Wachposten brummte etwas Unverständliches und wandte sich ab.

Sanson wartete einen Augenblick ab und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf das Kriegsschiff. Es lag gut hundert Fuß entfernt – weit genug, um nicht gegen die Cassandra zu stoßen, wenn es sich beim Gezeiten-oder Windwechsel vor Anker drehte. Sanson sah erfreut, dass die Spanier es unterlassen hatten, die Scharten zu schließen; sie standen noch offen. Wenn er durch eine offene Scharte auf das untere Kanonendeck kletterte, konnte er den Wachen auf dem Hauptdeck aus dem Weg gehen.

Er ließ sich von Bord ins Wasser gleiten, und während er rasch hinüber zum Kriegsschiff schwamm, schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass die Spanier in der Nacht hoffentlich keinen Abfall in die Bucht geworfen hatten. Abfall lockte Haie an, und der Hai war eines der wenigen Lebewesen auf der Welt, die Sanson fürchtete. Doch er kam unbeschadet ans Ziel und dümpelte schon bald nah am Rumpf des Kriegsschiffes im Wasser.

Die untersten Geschützscharten befanden sich zwölf Fuß über ihm. Er hörte die Wachen auf dem Hauptdeck scherzen. Eine Strickleiter hing noch an der Bordwand, aber er traute sich nicht, sie zu benutzen. Sobald er sie mit seinem Gewicht beschwerte, würde sie knarren und wackeln, was die Wachen an Deck bemerken könnten.

Stattdessen schwamm er leise zur Ankerkette und kletterte daran hoch bis zu den Laufplanken, die vom Bugsprit wegführten. Diese Laufplanken standen nur vier Zoll von der Bordwand ab, doch Sanson gelang es, Halt darauf zu finden und sich zurück bis zur Focksegeltakelage zu schieben. Von dort konnte er sich mühelos baumeln lassen und in eine der zum Bug hin gelegenen Scharten blicken.

Er lauschte angestrengt und hörte schon bald das stetige Schreiten der Wache. Dem Klang nach bestand sie aus einem einzigen Mann, der unablässig das Deck an der Reling entlang umkreiste. Sanson wartete, bis der Wachmann an ihm vorbei war, schlüpfte dann durch die Scharte und duckte sich in den Schatten einer Kanone, keuchend vor Anstrengung und Anspannung. Selbst für Sanson war es ein Nervenkitzel, sich ganz allein mitten unter vierhundert Feinde zu schleichen – von denen die Hälfte sachte vor ihm in ihren Hängematten schaukelte. Er wartete und plante seinen nächsten Schritt.

Hunter stand gebückt in dem niedrigen, stinkenden Laderaum des Schiffes und wartete. Er war schrecklich erschöpft. Wenn Sanson nicht bald kam, wären seine Männer zu entkräftet, um zu fliehen. Die Wachen, die jetzt gähnten und wieder Karten spielten, verhielten sich den Gefangenen gegenüber völlig gleichgültig, was verlockend und ärgerlich zugleich war. Wenn er nur seine Männer frei bekäme, solange auf dem Schiff noch alles schlief, dann hätten sie vielleicht eine Chance. Doch wenn die Wachen wieder wechselten – womit jederzeit zu rechnen war – oder wenn die Schiffsbesatzung im Morgengrauen erwachte, dann wäre es zu spät.

Seine letzte Hoffnung wurde schlagartig zunichtegemacht, als ein spanischer Soldat den Raum betrat.

Die Wache wechselte, und es war alles verloren. Einen Augenblick später begriff er, dass er sich irrte: Es war nur ein einzelner Mann hereingekommen, kein Offizier, und die Wachen begrüßten ihn flüchtig. Der Neuankömmling wirkte auffällig selbstgefällig, während er durch den Raum schritt und die Fesseln der Freibeuter überprüfte. Hunter spürte, wie Finger an dem Strick um seine Handgelenke zogen, dann etwas Kühles – eine Messerklinge –, und seine Fesseln waren durchgeschnitten.

Hinter ihm flüsterte der Mann leise: »Das kostet Euch zwei Anteile mehr.«

Es war Sanson.

»Schwört es«, zischte Sanson.

Hunter nickte, empfand Wut und Erleichterung zugleich. Doch er sagte nichts. Er sah einfach zu, wie Sanson durch den Raum ging und dann vor der Tür stehen blieb, um sie zu versperren.

Sanson blickte die Seeleute an und sagte ganz leise auf Englisch: »Macht es lautlos.«

Die spanischen Wachen blickten fassungslos auf, als die Freibeuter auf sie zusprangen. Sie wurden drei zu eins überwältigt. In Sekundenschnelle war alles vorbei. Unverzüglich streiften die Seeleute den Wachen die Uniformen vom Körper und zogen sie an. Sanson ging zu Hunter hinüber.

»Ich hab Euren Schwur noch nicht gehört.«

Hunter nickte, während er sich die Handgelenke rieb. »Ich schwöre. Zwei Anteile mehr für Euch.«

»Gut«, sagte Sanson. Er öffnete die Tür, legte einen Finger an die Lippen und führte die Seeleute aus dem Raum.

KAPITEL 19

Cazalla trank Wein und grübelte über das Gesicht des sterbenden Christus nach, dachte an das Leiden, die Qualen des Körpers. Von frühester Jugend an hatte Cazalla Darstellungen dieser Qualen gesehen, die Marter des Fleisches, die erschlafften Muskeln und die hohlen Augen, das Blut, das aus der Wunde in der Seite floss, das Blut, das von den Nägeln in Händen und Füßen tropfte.

Das Gemälde hier in seiner Kajüte war ein persönliches Geschenk von Philipp. Der Lieblingshofmaler Seiner Majestät hatte es gemalt, ein Mann namens Velazquez, der vor einigen Jahren gestorben war. Ein solches Geschenk war ein Beweis hoher Wertschätzung, und Cazalla war überwältigt gewesen, als er es in Empfang nahm. Er nahm es auf allen Reisen mit. Es war sein wertvollster Besitz.

Dieser Velazquez hatte Jesus Christus ohne Heiligenschein gemalt. Und der Leib hatte einen totengleichen grauweißen Farbton. Es sah vollkommen wirklichkeitsgetreu aus, doch Cazalla hätte gern einen Heiligenschein gehabt. Er war überrascht, dass ein so frommer König wie Philipp nicht auf einen Heiligenschein bestanden hatte. Vielleicht gefiel Philipp das Gemälde nicht; vielleicht hatte er es deshalb einem seiner Militärführer in Neuspanien geschickt.

In dunklen Augenblicken kam Cazalla noch ein anderer Gedanke. Er wusste nur allzu gut um die Kluft zwischen den Annehmlichkeiten des Lebens an Philipps Hof und dem harten Leben der Männer, die ihm das Gold und das Silber für seinen Luxus aus den Kolonien schickten. Eines Tages würde er wieder an den Hof zurückkehren, als reicher Mann in seinen späteren Jahren. Manchmal stellte er sich vor, dass die Höflinge ihn auslachen würden. Manchmal, in seinen Träumen, tötete er sie alle in blutigen, zornigen Duellen.

Das Schaukeln des Schiffes riss Cazalla aus seinen Gedanken. Die Ebbe setzt ein, dachte er. Bis zur Dämmerung war es also nicht mehr lang. Schon bald würden sie wieder auf hoher See sein. Es war an der Zeit, einen weiteren englischen Piraten zu töten. Cazalla wollte sie einen nach dem anderen töten, so lange, bis einer ihm verriet, was er wissen wollte.

Das Schiff schaukelte weiter, aber irgendetwas stimmte nicht mit der Bewegung. Cazalla spürte es instinktiv: Das Schiff drehte sich nicht an seiner vorderen Ankerkette, sondern es bewegte sich seitwärts. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht. Und dann, im selben Augenblick, hörte er ein leises Knirschen und das Schiff erbebte und rührte sich nicht mehr.