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Fluchend stürmte Cazalla aufs Hauptdeck. Und dort blickte er unversehens in die Wedel einer Palme, die dicht vor seiner Nase hingen – die Wedel etlicher Palmen, die das Ufer der Insel säumten. Sein Schiff war auf Sand gelaufen. Er brüllte vor Wut. Die kopflose Besatzung drängelte sich um ihn.

Der erste Offizier kam zitternd angerannt. »Captain, die haben die Ankerkette gekappt.«

»Die?«, rief Cazalla. Wenn er wütend war, klang seine Stimme hoch und dünn, wie die Stimme einer Frau. Er lief zur Reling gegenüber und sah die Cassandra, gekrängt in einer steifen Brise, aufs offene Meer hinaussteuern. »Die?«

»Die Piraten sind entkommen«, sagte der Offizier, blass.

»Entkommen! Wie konnten sie entkommen?«

»Ich weiß es nicht, mein Kapitän. Die Wachen sind alle tot.«

Cazalla streckte den Mann mit einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden. Er konnte kaum denken vor lauter Wut. Er starrte übers Wasser auf die kleiner werdende Schaluppe. »Wie konnten sie entkommen?«, wiederholte er. »Gott verdammt, wie konnten sie entkommen?«

Der Hauptmann der Infanterie kam herüber. »Mein Kapitän, Ihr seid gestrandet. Soll ich ein paar Männer an Land schicken, damit sie versuchen, das Schiff freizubekommen?«

»Die Ebbe hat eingesetzt«, sagte Cazalla.

»Ja, mein Kapitän.«

»Idiot, wir kommen erst frei, wenn die Flut wieder aufläuft.« Cazalla fluchte laut. Das wäre um zwölf Glasen. Sechs Stunden bis sie anfangen konnten, das riesige Schiff zu befreien. Und selbst dann war nicht gesagt, dass sie freikamen, wenn sie hart gestrandet waren. Es war die Zeit des abnehmenden Mondes. Da war jede Flut weniger hoch als die vorangegangene. Falls sie bei der nächsten Flut nicht freikamen – oder bei der danach –, säßen sie drei Wochen oder länger hier fest.

»Idiotenpack!«, kreischte er.

In der Ferne drehte die Cassandra elegant nach Süden ab und verschwand außer Sicht. Nach Süden?

»Die fahren nach Matanceros«, sagte Cazalla. Und er bebte vor unbändiger Wut.

Hunter saß im Heck der Cassandra und dachte nach. Er stellte erstaunt fest, dass er keinerlei Müdigkeit mehr verspürte, obwohl er seit zwei Tagen nicht geschlafen hatte. Um ihn herum lagen seine Leute auf dem Boden, als wären sie stehend in sich zusammengesackt. Fast alle schliefen tief und fest.

»Es sind gute Männer«, sagte Sanson mit Blick auf die liegenden Gestalten.

»Wahrhaftig«, sagte Hunter.

»Hat einer von ihnen geredet?«

»Einer.«

»Und Cazalla hat ihm geglaubt?«

»Vorerst nicht«, sagte Hunter, »aber er könnte seine Meinung bald ändern.«

»Wir haben mindestens sechs Stunden Vorsprung«, sagte Sanson. »Achtzehn, wenn wir Glück haben.«

Hunter nickte. Bis Matanceros brauchten sie zwei Tage gegen den Wind. Bei dem Vorsprung, den sie hatten, könnten sie es zur Festung schaffen, ehe das Kriegsschiff sie einholte.

»Wir werden die Nächte durchsegeln«, sagte Hunter.

Sanson nickte.

»Fockschot trimmen«, bellte Enders. »Aber flott.«

Das Segel straffte sich, und mit einer steifen Brise von Osten pflügte die Cassandra durchs Wasser ins dämmrige Morgenlicht hinein.

TEIL III

MATANCEROS

KAPITEL 20

Am Nachmittag hingen vereinzelte Wolken am Himmel, die dunkelgrau wurden, als die Sonne langsam verschwand. Die Luft war klamm und unheilvoll. Und auf einmal sichtete Lazue den ersten Balken, der im Wasser trieb.

Kurz darauf segelte die Cassandra durch unzählige Holztrümmer und Schiffswrackteile. Die Besatzung warf Leinen aus und holte einige an Bord.

»Sieht englisch aus«, sagte Sanson, als ein Stück des rot-blau gestrichenen Heckspiegels an Deck gehievt wurde.

Hunter nickte. Ein ziemlich großes Schiff war versenkt worden. »Ist noch nicht lange her«, stellte er fest. Er suchte den Horizont nach Anzeichen von Überlebenden ab, konnte aber nichts entdecken. »Unsere spanischen Freunde waren jagen.«

Noch weitere fünfzehn Minuten lang schlugen immer wieder Holzteile gegen den Rumpf des Schiffes. Die Besatzung war unruhig. Für Seeleute war der Anblick einer derartigen Zerstörung stets ein Gräuel. Ein Stück von einer Querverstrebung wurde aus dem Wasser gefischt, und Enders meinte zu erkennen, dass es von einem Handelsschiff stammte, vermutlich einer Brigg oder Fregatte, gut einhundertfünfzig Fuß lang.

Von der Besatzung fehlte jede Spur.

Die Luft trübte sich mehr und mehr, als es Abend wurde, und der Wind frischte böig auf. Im Dunkeln prasselte warmer Regen auf die Holzplanken der Cassandra. Die Männer wurden nass bis auf die Haut und hockten die ganze Nacht niedergedrückt an Deck. Doch der Tag dämmerte hell und klar herauf, und als die Sonne aufging, sahen sie ihr Ziel geradewegs vor sich am Horizont.

Aus der Ferne wirkte die Westseite der Insel Leres ausgesprochen abweisend. Ihre vulkanische Silhouette war gezackt und zerklüftet, und abgesehen von der niedrigen Vegetation entlang der Küste bot sich das Eiland nur trocken und braun und kahl dar, mit vereinzelten rötlich braunen Felsen. Es regnete selten auf der Insel, und weil sie so weit im Osten der Karibik lag, umpeitschten die Atlantikwinde unaufhörlich ihren Gipfel.

Die Besatzung der Cassandra sah ohne jegliche Begeisterung zu, wie Leres näher kam. Enders, der am Ruder stand, zog ein finsteres Gesicht. »Wir haben September«, sagte er. »Sie ist so grün und einladend wie eh und je.«

»Aye«, sagte Hunter. »Wahrhaftig kein Paradies. Aber am Ostufer ist ein Wald, und es gibt reichlich Wasser.«

»Und reichlich papistische Musketen«, sagte Enders.

»Und reichlich papistisches Gold«, sagte Hunter. »Wann gehen wir an Land?«

»Der Wind ist günstig. Gegen Mittag, spätestens, würde ich sagen.«

»Haltet auf die Bucht zu«, sagte Hunter und zeigte in die Richtung. Sie konnten die einzige Einkerbung an der Westküste bereits erkennen, eine schmale Bucht namens Blind Man’s Cove.

Hunter ging los, um die Ausrüstung zusammenzustellen, die sein kleiner Landungstrupp mitnehmen würde, und sah, dass Don Diego schon dabei war, alles an Deck zu holen. Der Jude fixierte Hunter mit kurzsichtigen Augen. »Sehr rücksichtsvoll von den Spaniern«, sagte er. »Sie haben sich alles angesehen, aber nichts mitgenommen.«

»Bis auf die Ratten.«

»Wir können uns mit anderen Kleintieren behelfen, Hunter. Opossums, Hauptsache klein.«

»Das werden wir wohl müssen«, sagte Hunter.

Sanson stand am Bug und blickte hinaus auf den Gipfel von Mount Leres. Aus der Ferne sah der Berg absolut unbezwingbar aus, ein geschwungener Halbkreis aus nacktem rotem Felsgestein.

»Es führt kein Weg drum herum?«, fragte Sanson.

Hunter erwiderte: »Die einzigen Wege, die drum herum führen, werden bewacht sein. Wir müssen über den Gipfel.«

Sanson lächelte matt, und Hunter ging wieder nach achtern zu Enders. Er gab die Order, dass die Cassandra weiter zur Nachbarinsel Ranomos segeln sollte, sobald er mit seinem Trupp an Land gegangen war. Dort gab es eine kleine Bucht mit Süßwasser, in der die Schaluppe vor Angriffen geschützt wäre.

»Kennt Ihr die Bucht?«

»Aye«, sagte Enders. »Ich kenne sie. Hab mich vor ein paar Jahren mal dort verkrochen, unter dem einäugigen Captain Lewisham. Recht angenehmes Plätzchen. Wie lange warten wir dort?«