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»Vier Tage. Verlasst am Nachmittag des vierten Tages die Bucht und geht in tiefem Wasser vor Anker. Segelt um Mitternacht los und seht zu, dass Ihr kurz vor der Morgendämmerung am fünften Tag vor Matanceros seid.«

»Und dann?«

»Dann segelt Ihr bei Tagesanbruch schnurstracks in den Hafen, wo die Männer die Galeone kapern.«

»Vorbei an den Kanonen in der Festung?«

»Die machen Euch am fünften Tag keinen Ärger mehr.«

»Ich halte nichts von Gebeten«, sagte Enders. »Ich hoffe nur, Ihr habt recht.«

Hunter gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Ihr habt nichts zu befürchten.«

Enders blickte zur Insel hinüber und lächelte nicht.

Gegen Mittag standen Hunter, Sanson, Lazue, der Maure und Don Diego in der stillen Hitze auf dem schmalen weißen Strand aus weißem Sand und sahen die Cassandra davonsegeln. Um sie herum lagen über fünfzig Kilo Ausrüstung – Taue, Enterhaken, Segeltuchschlingen, Musketen, Wasserfässchen.

Sie standen eine Weile schweigend da und atmeten die heiße Luft in tiefen Zügen ein. Dann drehte Hunter sich um. »Los geht’s«, sagte er. Sie verteilten die Ausrüstung und stapften los.

Hinter dem Strand bildeten Palmen und verschlungene Mangroven eine undurchdringlich wirkende Wand. Sie wussten aus leidvoller Erfahrung, dass es schier unmöglich war, sich mit ihren Entermessern einen Weg durch diese Barriere zu bahnen. Auf diese Weise kämen sie pro Tag höchstens einige hundert Fuß voran und wären schließlich völlig entkräftet. Um in das Innere einer Insel zu gelangen, suchte man sich am besten einen Wasserlauf und folgte ihm aufwärts.

Wo eine Bucht war, fand sich bekanntermaßen meist auch ein Wasserlauf. Buchten entstanden unter anderem durch einen Bruch im äußeren Riffsaum, und ein solcher Bruch deutete darauf hin, dass Süßwasser vom Ufer ins Meer floss. Sie gingen am Strand entlang, und nach einer Stunde entdeckten sie ein schmales Bächlein, das sich wie ein trübes Band durchs Laubwerk wand. Es war von Pflanzen überwuchert, die gleichsam einen engen heißen Tunnel bildeten. Der Weg hindurch würde nicht leicht werden.

»Sollen wir weitersuchen?«, fragte Sanson.

Der Jude schüttelte den Kopf. »Hier regnet es wenig. Ich bezweifele, dass wir was Besseres finden würden.«

Niemand erhob irgendwelche Einwände, und so folgten sie dem Bachlauf, der sie vom Meer wegführte. Kaum waren sie in den Tunnel vorgedrungen, wurde die Hitze unerträglich, die Luft schwül und übel riechend. Es war, wie Lazue sagte, als würde man Stoff einatmen.

Schon nach wenigen Minuten verfielen sie in Schweigen, um mit Reden keine Energie zu verschwenden. Zu hören war nur das Schlagen ihrer Entermesser in die Zweige und das Zwitschern und Rascheln von Vögeln und kleinen Tieren in dem Blätterdach über ihnen. Sie kamen immer langsamer voran, und als sie am frühen Abend über die Schulter blickten, schien der blaue Ozean unterhalb von ihnen enttäuschend nah.

Sie kämpften sich dennoch weiter, legten nur Pausen ein, um etwas Essbares zu erlegen. Sanson war ein meisterlicher Armbrustschütze und er schoss einen Affen und mehrere Vögel. Hoffnung keimte in ihnen auf, als sie nicht weit vom Bachbett Wildschweinkot entdeckten. Lazue sammelte essbare Pflanzen.

Bei Einbruch der Dunkelheit hatten sie die Hälfte des Dschungelstreifens zwischen der See und dem nackten Felsen von Mount Leres geschafft. Die Luft wurde zwar kühler, doch unter dem Laubwerk blieb es fast genauso heiß wie zuvor. Und obendrein kamen jetzt die Moskitos.

Die Moskitos waren ein furchtbarer Feind. Sie griffen in dichten Schwärmen an, die fast mit Händen greifbar waren, so dicht, dass Hunter und seine Gefährten einander kaum noch sehen konnten. Die Insekten umschwirrten sie surrend, setzten sich auf jedes ungeschützte Fleckchen Haut, drangen in Ohren und Nase und Mund. Alle fünf schmierten sie sich dick mit Schlamm ein, doch das half nicht viel. Sie wagten es nicht, ein Feuer zu machen, daher aßen sie das erlegte Wild roh, ehe sie schließlich, gegen Bäume gelehnt, in einen unruhigen Schlaf fielen, das Sirren der Moskitos in den Ohren.

Als sie am Morgen erwachten und ihnen der verkrustete Schlamm vom steifen Körper fiel, blickten sie einander an und mussten lachen. Sie sahen alle völlig verändert aus, die Gesichter rot und geschwollen und übersät mit Moskitostichen. Hunter überprüfte den Wasservorrat: Ein Viertel war verbraucht, und er erklärte, dass sie von nun an sparsamer sein mussten. Während sie weiterzogen, hielten ihre hungrigen Augen ständig Ausschau nach Wildschweinen, doch sie entdeckten keins. Die Affen, die in den Baumkronen über ihnen schnatterten, schienen sie zu verspotten. Sie hörten die Tiere, aber Sanson bekam nie die Gelegenheit eins zu erlegen.

Der zweite Tag war schon fortgeschritten, als sie erstmals das Geräusch des Windes bemerkten. Es war zunächst schwach, ein fernes, leises Raunen. Doch als sie sich dem Rand des Dschungels näherten, wo die Vegetation lichter wurde und sie leichter vorankamen, war der Wind schon lauter. Bald darauf konnten sie ihn spüren, und obwohl die Brise eine Wohltat war, blickten sie einander besorgt an. Sie wussten, der Wind würde an Stärke zunehmen, je näher sie der Felswand von Mount Leres kamen.

Am späten Nachmittag erreichten sie schließlich den Fuß der Felswand. Der Wind war inzwischen zu einem brüllenden Dämon geworden, der an ihrer Kleidung zerrte, ihnen ins Gesicht schlug, in den Ohren kreischte. Sie konnten sich nur schreiend verständigen.

Hunter blickte an der Felswand hoch. Sie war tatsächlich so steil, wie sie von Weitem ausgehen hatte, und kam ihm sogar noch höher vor, als er gedacht hatte – vierhundert Fuß nackter Felsen, so heftig von Wind umtost, dass ununterbrochen kleine und größere Steine auf sie niederprasselten.

Er winkte den Mauren zu sich. »Bassa«, rief Hunter und beugte sich dicht zu dem gewaltigen Mann hinüber. »Lässt der Wind abends nach?«

Bassa zuckte mit den Schultern, hob zwei Finger und drückte sie leicht zusammen: ein wenig.

»Kommst du im Dunkeln da hoch?«

Er schüttelte den Kopf, nein. Dann formte er mit den Händen ein kleines Kissen und legte den Kopf darauf.

»Willst du morgen früh klettern?«

Bassa nickte.

»Er hat recht«, sagte Sanson. »Wir sollten bis morgen früh warten, wenn wir ausgeruhter sind.«

»Ich weiß nicht, ob wir warten können«, sagte Hunter. Er blickte gen Norden. In einigen Meilen Entfernung sah er über einer friedlichen See eine breite graue Linie auf dem Wasser und darüber bedrohliche schwarze Wolken. Ein Unwetter, mehrere Meilen breit, kam langsam auf sie zu.

»Noch ein Grund mehr«, rief Sanson Hunter zu. »Wir sollten warten, bis das vorüber ist.«

Hunter wandte sich ab. Hier, gleich unterhalb der Klippe, waren sie rund fünfhundert Fuß über dem Meeresspiegel. In südlicher Richtung konnte er Ranomos erkennen, gut dreißig Meilen entfernt. Die Cassandra war nicht mehr zu sehen und lag hoffentlich längst in der schützenden Bucht vor Anker.

Hunter blickte wieder in Richtung des aufziehenden Unwetters. Sie könnten die Nacht abwarten, und vielleicht würde es an ihnen vorbeiziehen. Aber falls es so heftig und so langsam war, dass sie einen ganzen Tag verloren, dann war ihre gesamte zeitliche Planung dahin. Und in drei Tagen würde die Cassandra nach Matanceros segeln und fünfzig Mann in den sicheren Tod tragen.

»Wir klettern jetzt«, sagte Hunter.

Er blickte den Mauren an. Der Maure nickte und ging seine Seile holen.

Es war ein sonderbares Gefühl, dachte Hunter, als er das Tau in den Händen hielt und es immer wieder zucken und wackeln spürte, während der Maure die Felswand erklomm. Das Seil zwischen Hunters Fingern war anderthalb Zoll dick, doch hoch über ihm sah es so dünn aus wie ein zarter Faden, und die massige Gestalt des Mauren war ein winziger Punkt, der im schwächer werdenden Licht kaum noch auszumachen war.