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»Scheint so«, sagte Hunter.

Enders blickte an den Kanonen entlang und schlug mit der flachen Hand auf ein Geschützrohr. Es hallte dumpf. »Zum Wahnsinnigwerden, nicht?«, sagte er. »All die schönen Kanonen und wir können sie nicht einsetzen, weil wir nicht genug Männer haben.«

»Ihr solltet Euch schlafen legen«, sagte Hunter knapp und ging davon.

Aber was Enders gesagt hatte, war richtig. Er schritt weiter auf dem Deck hin und her. Die Frau verschwand aus seinen Gedanken, die sich erneut mit den Kanonen befassten. Irgendein ruheloser Teil seines Gehirns grübelte wieder und wieder darüber nach, auf der Suche nach einer Lösung. Es musste irgendeinen Weg geben, diese Kanonen zu benutzen, davon war er überzeugt. Da war irgendetwas, das seinem Gedächtnis entglitten war, irgendetwas, das er vor langer Zeit mal gewusst hatte.

Diese Frau hielt ihn offensichtlich für einen ungehobelten Barbaren – oder schlimmer noch, für einen Puritaner. Er lächelte im Dunkeln bei dem Gedanken. In Wahrheit war Hunter ein gebildeter Mann. Er war in allen wichtigen Wissenschaften, wie sie seit dem Mittelalter galten, unterrichtet worden. Er hatte die Geschichte des Altertums studiert, Latein und Griechisch, Naturphilosophie, Religion und Musik. Damals hatte ihn nichts davon interessiert.

Schon in jungen Jahre hatte ihn praktisches, empirisches Wissen weitaus mehr fasziniert als die Meinungen von irgendwelchen Denkern, die längst tot waren. Jeder Schuljunge wusste, dass die Welt um ein Vielfaches größer war, als es Aristoteles sich je erträumt hatte. Hunter selbst war in einem Land geboren worden, von dessen Existenz die alten Griechen keine Ahnung hatten.

Jetzt jedoch erwachten in ihm Bruchstücke seiner Bildung zum Leben. Er musste immer wieder an Griechenland denken – irgendetwas mit Griechenland oder den alten Griechen –, aber er wusste einfach nicht, was oder warum.

Dann fiel ihm das Ölgemälde in Cazallas Kajüte an Bord des spanischen Kriegsschiffs ein. Hunter hatte kaum auf das Bild geachtet und konnte es sich jetzt auch nicht mehr deutlich in Erinnerung rufen. Aber irgendetwas mit einem Gemälde auf einem Kriegsschiff ließ ihm keine Ruhe mehr. In irgendeiner Weise war es wichtig.

Aber wieso nur? Er verstand nichts von Malerei. Malen war in seinen Augen eine ausgesprochen nebensächliche Begabung, lediglich geeignet, irgendwelche Wände zu verschönern und nur für eitle und wohlhabende Adelige von Interesse, die sich gegen Bezahlung porträtieren ließen, mit schmeichelhaften Verschönerungen. Die Maler selbst waren, wie er wusste, schlichte Gemüter, die wie Zigeuner ruhelos von einem Land zum anderen wanderten, stets auf der Suche nach irgendeinem Gönner, der ihre Arbeit unterstützte. Es waren heimatlose, entwurzelte, leichtfertige Gesellen, ohne die feste Bindung eines starkes Gefühls für die Nation, in die sie hineingeboren worden waren. Hunter dagegen betrachtete sich trotz der Tatsache, dass seine Urgroßeltern von England nach Massachusetts geflohen waren, als reinblütigen Engländer und leidenschaftlichen Protestanten. Er führte Krieg gegen einen spanischen und katholischen Feind und hatte für niemanden Verständnis, der nicht ebenso patriotisch war. Sich allein der Malerei verbunden zu fühlen, das war wahrlich eine fade Form der Treue.

Und doch kamen Maler in der Welt herum. Franzosen gingen nach London, Griechen nach Spanien und Italiener überall hin. Selbst in Kriegszeiten kamen und gingen die Maler nach Lust und Laune, vor allem die Italiener. Es gab so viele Italiener.

Wieso dachte er jetzt daran?

Er ging über das dunkle Schiff, von Kanone zu Kanone. Er berührte eine. Sie hatte seitlich einen Wahlspruch eingeprägt:

SEMPER VINCIT

Die Worte schienen ihn zu verspotten. Nicht immer, dachte er.

Nicht ohne Männer, die laden und zielen und feuern konnten. Er berührte den Schriftzug, fuhr mit den Fingern über die Rillen, spürte den feinen glatten Bogen des S, die sauberen Linien des E.

SEMPER VINCIT

Es lag irgendwie Kraft in diesem knappen und klaren Latein, den zwei forschen Wörtern, soldatisch und hart. Die Italiener hatten das verloren; Italiener waren weich und blumig, und ihre Sprache hatte sich verändert, um diese Weichheit widerzuspiegeln. Es war lange her, seit Caesar kurz und bündig gesagt hatte: Veni, vidi, vici.

VINCIT

Das eine Wort schien auf etwas zu verweisen. Er betrachtete die säuberlichen Linien der Buchstaben, und dann sah er vor seinem geistigen Auge noch mehr Linien, Linien und Winkel, und er war wieder bei den alten Griechen, bei der euklidischen Geometrie, die für ihn als Junge so eine Qual gewesen war. Er hatte nie begreifen können, was so wichtig daran war, ob zwei Winkel gleich groß waren oder ob zwei Linien sich irgendwann überschnitten. Was spielte das für eine Rolle?

VINCIT

Er musste wieder an Cazallas Gemälde denken, ein Kunstwerk hatte auf einem Kriegsschiff nichts zu suchen, diente keinem Zweck. Das war die Schwäche der Kunst, sie war nicht praktisch. Kunst siegte gegen nichts.

VINCIT

Sie siegt. Es war eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet dieser Wahlspruch in eine Kanone gestanzt war, die gegen nichts siegte, dachte Hunter lächelnd. Die Waffe war ebenso nutzlos für ihn wie Cazallas Gemälde. Sie war ebenso nutzlos für ihn wie Euklids Postulate. Er rieb sich die müden Augen.

Die ganze Denkerei brachte ihn nicht weiter. Er drehte sich im Kreis, ohne Sinn, ohne Zweck, ohne Ziel, angetrieben von der Ruhelosigkeit eines entmutigten Mannes, der in der Falle saß und vergeblich nach einem Ausweg suchte.

Und dann hörte er den Schrei, den Seeleute mehr fürchten als jeden anderen: »Feuer!«

KAPITEL 29

Er rannte zum Heck und sah sechs brennende Boote auf seine beiden Schiffe zugleiten. Es waren die Beiboote des Kriegsschiffs, die jetzt alle, dick mit Pech bestrichen und helllicht in Flammen, wie lodernde Fackeln das stille Wasser der Bucht beleuchteten, während sie in der Strömung herantrieben.

Er verfluchte sich, weil er dieses Manöver nicht vorhergesehen hatte. Der Rauch an Deck des Kriegsschiffs war ein deutlicher Hinweis gewesen, doch Hunter hatte ihn nicht verstanden. Aber er vergeudete keine Zeit mit Selbstbeschuldigungen. Schon beeilten sich die Seeleute der El Trinidad, von Bord in die Beiboote zu kommen, die längsseits der Galeone vertäut waren. Das erste Beiboot stieß ab, die Männer legten sich mit aller Kraft in die Riemen und ruderten auf die Feuerboote zu.

Hunter wirbelte auf dem Absatz herum. »Wo sind unsere Wachen?«, wollte er von Enders wissen. »Wie konnte das passieren?«

Enders schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, die Wachen waren vorne auf der sandigen Spitze und dahinter am Strand postiert.«

»Verdammt!«

Entweder die Männer waren auf ihrem Posten eingeschlafen oder aber die Spanier waren in der Dunkelheit ans Ufer geschwommen und hatten die Männer überrumpelt und getötet. Er sah, wie die Männer im ersten Beiboot die Flammen eines brennenden Bootes bekämpften. Sie versuchten, es mit ihren Rudern aufzuhalten und umzukippen. Ein Seemann fing Feuer und sprang schreiend ins Wasser.

Dann sprang Hunter selbst in ein Boot. Während die Männer auf die brennenden Boote zuruderten, spritzten sie sich mit Meerwasser nass. Hunter blickte zur Cassandra hinüber und sah, wie Sanson mit einem voll besetzten Beiboot ablegte, um sich an der Bekämpfung der Gefahr zu beteiligen.

»Kopf runter, Jungs!«, rief Hunter, als sie sich dem Inferno näherten. Schon in einer Entfernung von fünfzig Yards war die Hitze von den Feuerbooten schier unerträglich; die Flammen schlugen hoch in die Luft, lodernde Pechklumpen knisterten und spien in alle Richtungen, zischten im Wasser.