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Ich sah an mir herunter. Überall war Blut, getrocknetes Blut. Ich sah … zum Fürchten aus. Jetzt begriff ich auch, warum mich jeder, der vorbeikam, so merkwürdig ansah. Ich roch nach Blut und Angst. Außerdem brauchte ich unser Auto. Also bat ich Matthew widerwillig, mich zum Motel zu bringen.

Die Polizei hatte inzwischen die Überreste unseres Zimmers angeschaut. Als ich mich in die Lobby schleppte, um mit der Rezeptionistin zu reden, begrüßte mich die Hotelmanagerin, eine Afroamerikanerin um die fünfzig mit kurzen Haaren und einer sympathischen Art. Sie wollte mich so schnell wie möglich aus dem Blickfeld bringen, für den Fall, dass neue Gäste kämen. Als wir in dem kleinen Raum hinter der Rezeption Platz genommen hatten, brachte sie mir einen Kaffee, ohne dass ich sie darum gebeten hatte. Auf ihrem Namensschild stand Deneise.

»Miss Connelly«, sagte sie sehr ernst und sehr aufrichtig. »Wenn Sie einverstanden sind, werde ich Cynthia auf Ihr Zimmer schicken, damit sie Ihre Kleidung und Ihre Sachen holt.«

Ich fragte mich, was wohl als Nächstes kam. »Gut, Deneise«, sagte ich. »Das wäre sehr nett.«

Sie atmete tief durch und fuhr fort: »Hoffentlich akzeptieren Sie unsere Entschuldigung für diesen furchtbaren Vorfall. Wir möchten, dass Sie eine möglichst stressfreie Zeit bei uns verleben. Ihnen geht jetzt bestimmt so einiges durch den Kopf.«

Jetzt verstand ich! Deneise hatte Angst, wir könnten das Hotel für die Schießerei belangen, und wollte schon mal vorfühlen, wie ich das sah. Gleichzeitig wirkte sie aufrichtig entsetzt, der Vorfall tat ihr unendlich leid.

Nachdem Cynthia in das zerstörte Zimmer geschickt worden war, um zu retten, was von unseren Sachen noch zu retten war, bot Matthew mir zu meiner großen Erleichterung an, sie zu begleiten. Anschließend sprach Deneise Klartext: »Vielleicht wollen Sie keine weitere Nacht hierbleiben, Miss Connelly. Aber wenn doch, würden wir uns freuen.«

Das klang schon weniger aufrichtig, was ich der Frau allerdings schlecht vorwerfen konnte.

»Wenn Sie bleiben möchten, stellen wir Ihnen selbstverständlich ein vergleichbares Zimmer kostenlos zur Verfügung. Zum Zeichen, dass uns diese … Unannehmlichkeiten leidtun.«

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Das ist noch stark untertrieben«, sagte ich. »Ja, ich hätte gern ein Zimmer, werde aber gleich morgen früh ausziehen. Ich muss etwas finden, das näher am Krankenhaus liegt.«

»Wie geht es Mr Lang?«, fragte Deneise, und ich erzählte ihr, dass er wieder gesund würde.

»Oh, das sind ja gute Neuigkeiten!« Ihr schienen gleich mehrere Steine vom Herzen zu fallen.

Jetzt, wo das mit dem Motel geklärt war, konnte ich es kaum erwarten, auf mein Zimmer zu kommen und mich zu waschen. Die Managerin rief Cynthia auf dem Handy an und bat sie, unser Gepäck direkt auf Zimmer 203 zu bringen.

»Ich dachte, Sie fühlen sich besser, wenn Sie nicht mehr im Erdgeschoss wohnen«, erklärte sie beim Auflegen.

»Das stimmt«, sagte ich. Ich dachte an das schwarze Loch im Fenster und bekam eine Gänsehaut. Mein Gesicht und meine Schultern schmerzten, ich war mit verkrusteten Blutspritzern übersät und begann plötzlich zu zittern. Ausgerechnet jetzt, wo ich endlich wieder Zeit für mich hatte. Wo ich glaubte, dass Tolliver wieder gesund würde.

Matthew erschien in der Tür des Büros. »Eure Sachen sind in dem neuen Zimmer, ich glaube nicht, dass etwas fehlt. Alles scheint noch in deiner Handtasche zu sein.«

Die Vorstellung, dass Matthew in meine Handtasche geschaut hatte, behagte mir gar nicht, aber er hatte mir an diesem Abend wirklich sehr geholfen, das musste man ihm lassen. Ich bedankte mich bei Deneise für ihre Hilfsbereitschaft und verließ mit der neuen Schlüsselkarte die Lobby, um mit Matthew zum Lift zu gehen.

»Danke«, sagte ich, während rumpelnd die Tür zu dem Bereich mit den Snackautomaten und dem Eiswürfelspender aufging. Ein Paar, das gerade die Treppen hochkam, musterte uns neugierig. Als es mein blutiges Erscheinungsbild verinnerlicht hatte, eilte es schnell auf sein Zimmer.

»Das ist schon in Ordnung«, sagte Matthew. »Ich habe den Schuss gehört, und dann hast du geschrieen. Ich bin verdammt schnell über diesen Parkplatz gerannt.« Er lachte.

Mir war gar nicht klar gewesen, dass ich geschrieen hatte.

»Hast du irgendjemanden auf dem Parkplatz gesehen?«

»Nein. Und das macht mich echt wahnsinnig, weil der Schütze ganz in der Nähe gewesen sein muss.«

Ich hob mir den Gedanken für später auf. »Ich nehme an, wir sehen uns morgen im Krankenhaus, falls du dir freinehmen kannst«, sagte ich. Plötzlich wollte ich nur noch allein sein.

»Soll ich Iona anrufen?«, fragte Matthew.

Als ich »Nein!« sagte, lachte er ein ersticktes Lachen, wobei er sich kurz anhörte wie Tolliver.

»Bitte nimm es mir nicht übel, wenn ich das sage, aber du bist sehr abhängig von meinem Sohn«, meinte Matthew. Damit traf er dermaßen ins Schwarze, dass ich sofort wütend wurde.

»Dein Sohn ist mein Geliebter und meine Familie«, sagte ich. »Wir sind schon seit Jahren zusammen. Seit du weg bist.«

»Aber du solltest auch allein zurechtkommen können«, sagte Matthew im selbstgerechten Ton eines Menschen, der eine Therapie hinter sich hat. Weil er sich bemühte, freundlich zu klingen, wurde ich erst recht wütend. Ich bin vielleicht kein Feld-Wald-und-Wiesentyp, aber so zerbrechlich, wie ich aussehe, bin ich auch wieder nicht. Na gut, vielleicht doch, aber wenn, ging das Matthew Lang nicht das Geringste an.

»Ich glaube nicht, dass du das Recht hast, mir zu sagen, wie ich leben soll. Wie ich sein sollte«, erwiderte ich. »Du hast nicht über mich zu bestimmen. Früher nicht und jetzt auch nicht. Ich weiß deine heutige Hilfe sehr zu schätzen. Ich freue mich, dass du endlich etwas für deinen Sohn tust, auch wenn er dafür erst angeschossen werden musste. Aber jetzt musst du gehen, denn ich möchte duschen.« Ich benutzte die Schlüsselkarte, und die Tür zu meinem neuen Zimmer sprang auf. Die Lampen brannten, und im Raum war es warm. Unser Gepäck stand neben dem Bett.

Matthew nickte mir zu und ging ohne ein weiteres Wort, worüber ich sehr froh war. Ich betrachtete Tollivers Koffer und begann zu weinen. Aber dann zwang ich mich, ins Bad zu gehen und meine blutbesudelten Kleider auszuziehen. Ich badete ausgiebig, verarztete meine Schnittwunden und Schrammen. Dann zog ich meinen Schlafanzug an.

Ich rief noch mal im Krankenhaus an und erfuhr, dass es Tolliver unverändert ging. Ich ermahnte die Schwestern, mich sofort zu verständigen, wenn sich irgendetwas änderte. Ich lud das Handy auf, legte mich ins Bett und wartete auf ein Klingeln.

Aber es klingelte nicht, die ganze Nacht nicht.

Als ich am nächsten Morgen einen McDonald’s-Drive-In aufsuchte, fiel mir ein, dass ich Iona anrufen und ihr von dem Vorfall berichten musste. Ansonsten würde sie es aus der Zeitung erfahren. Ich erwartete nichts von ihr, und es war ein komisches Gefühl, überhaupt jemanden benachrichtigen zu müssen. Tolliver und ich sind es gewohnt, allein zurechtzukommen. Wären wir nicht hier in der Gegend gewesen, wäre ich nie auf die Idee gekommen, Iona über Tollivers Verletzung zu informieren. Ich war schon früh im Krankenhaus, fand Tolliver schlafend in seinem Zimmer vor. Dann kehrte ich in die Lobby zurück, um mein Handy zu benutzen. Es war ein kalter, wolkenloser Tag mit einem knallblauen Himmel.

Ich sah auf die Uhr. Vielleicht war Iona noch nicht zur Arbeit aufgebrochen, also rief ich bei ihr zu Hause an. Iona war nicht gerade begeistert, dass ich sie so früh störte, woraus sie auch keinen Hehl machte.

»Tolliver wurde gestern Abend angeschossen«, sagte ich. Daraufhin verstummte sie kurz.

»Geht es ihm gut?«, fragte sie dann, sogar jetzt noch vorwurfsvoll.

»Ja, er wird durchkommen«, sagte ich. »Er liegt im God’s Mercy Hospital. Er hatte eine Schulter-OP. Er wird ein paar Tage dortbleiben müssen, sagt der Arzt.«