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»Ja. Ich liege lieber dicht neben dir, als mich hier allein auszubreiten.«

Ich spürte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen, und unterdrückte das dazugehörige Schluchzen.

»Was ist?« Nachdem ich zu ihm ins Bett gekrabbelt war, legte er seinen gesunden Arm um mich. Ich drehte mich auf die Seite, damit er genügend Platz hatte.

»Nichts, worüber wir jetzt reden müssten«, sagte ich. »Schlaf weiter. Ich wollte bloß nicht allein sein.«

»Ich auch nicht«, sagte er und schlief wieder ein. Nach wenigen Minuten tat ich es ihm gleich.

Die Schwester, die um halb sechs Uhr morgens hereinkam, war ziemlich überrascht, mich bei Tolliver im Bett vorzufinden. Aber als sie sah, dass wir beide angezogen waren, und sie davon ausgehen konnte, dass Tolliver nichts getan hatte, was den Heilungsprozess seiner Schulter beeinträchtigte, entspannte sie sich.

Bei Tageslicht betrachtet sah Tolliver schon deutlich besser aus. Seine Nähe hatte mir gutgetan, ich fühlte mich gestärkt. Nachdem man ihn gebadet und rasiert und er sein Frühstück gegessen hatte, erzählte ich ihm, was am Vorabend passiert war.

Sofort sagte er: »Ich muss hier raus!«, setzte sich auf und wollte schon aus dem Bett springen.

»Nein, das tust du nicht!«, sagte ich scharf. »Du bleibst brav hier, wo dir niemand etwas tun kann, bis dir der Arzt erlaubt, zu gehen.«

Tolliver sagte: »Du bist in Gefahr, mein Schatz. Wir müssen einen sicheren Ort für dich finden.« Zum Glück wollte er das Krankenhaus doch nicht mehr verlassen, denn die Bewegung hatte ausgereicht, dass ihm der kalte Schweiß ausgebrochen war.

»Von mir aus gern«, sagte ich. »Ich wüsste nur nicht, wo das sein sollte.«

»Du könntest abreisen«, sagte er etwas impulsiv. »Und nach St. Louis in unsere Wohnung zurückkehren.«

»Und dich hier allein lassen? Vergiss es.«

»Du könntest das Land verlassen.«

»Quatsch! Ich gebe kein Geld für einen Flug nach Europa oder sonst wohin aus, bloß weil hier jemand in meiner Anwesenheit auf Männer schießt.«

»Du hast eine Morddrohung erhalten«, sagte Tolliver, als wäre ich schwer von Begriff oder taub.

»Ich weiß«, sagte ich und äffte seinen Tonfall nach. Er sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Im Ernst, Tolliver, ich glaube, jemand will mir bloß Angst einjagen. Erst wirst du angeschossen und dann der arme Detective Powers. Dabei hätte mich der Schütze längst treffen können, wenn er es unbedingt gewollt hätte. Ich glaube nicht, dass ich beide Male einfach nur Glück hatte. Wahrscheinlich will mich der Schütze bloß in Panik versetzen.«

»Dass dich jemand in Panik versetzen will, gefällt mir genauso wenig wie die Vorstellung, dass dich jemand töten will«, sagte Tolliver und zeigte auf sein Krankenhausbett.

»Stimmt.« Eine ausweglose Situation.

Dr. Spradling kam und stellte Tolliver die üblichen Fragen. Tolliver war eindeutig außer Gefahr, und der Arzt sprach schon von Entlassung, vorausgesetzt, Tolliver bekäme zu Hause die entsprechende Pflege. Ich hob die Hand, zum Zeichen, dass ich mich um ihn kümmern würde.

»Ist er reisefähig?«, fragte ich.

»Mit dem Auto?«

»Ja.«

»Ich würde eher davon abraten. Er sollte noch mindestens zwei Tage im Bett bleiben, bevor Sie auf Reisen gehen. Ich überlege, ihn an eine Antibiotika-Infusion zu hängen, aber wenn Sie mir versprechen, meine Anweisungen akkurat zu befolgen und ihm Ruhe gönnen, verschreibe ich ihm Antibiotikatabletten und entlasse ihn morgen.«

»Gut«, sagte ich. »Versprochen.«

»Wenn sich sein Zustand bessert und er kein Fieber bekommt, darf er morgen raus.«

Ich freute mich, das zu hören. Auch Tolliver wirkte erleichtert. Als der Arzt gegangen war, sagte ich: »Ich sollte lieber ins Hotel zurückgehen, duschen und etwas essen.«

»Kannst du nicht warten, bis Mark von der Arbeit kommt? Er könnte dich begleiten.«

»Ich werde allein gehen. Ich kann mich nicht die ganze Zeit einschließen, Tolliver. Ich muss raus und ein paar Dinge erledigen.« Ich wollte nicht, dass auch noch auf Mark geschossen wurde.

»Wer, glaubst du, steckt dahinter?«

»Ich weiß, das klingt lächerlich, aber ich frage mich, ob es jemand ist, der über meine Webseite auf mich gestoßen ist. Ein Verrückter, der mich mit keinem anderen Mann sehen will. Vielleicht ist es auch bloß Zufall, dass ich beide Male in männlicher Gesellschaft war. Vielleicht ist der Kerl ein katastrophaler Schütze und hat doch auf mich gezielt. Vielleicht will mir auch nur jemand Angst einjagen und sehen, wie ich darauf reagiere.«

»Warum ausgerechnet jetzt? Es muss doch einen Grund geben.«

»Keine Ahnung«, sagte ich ungeduldig. »Woher soll ich das wissen? Vielleicht findet die Polizei etwas heraus. Da einer ihrer Leute angeschossen wurde, dürfte das die Motivation, den Bösewicht zu finden, deutlich erhöhen. Sie haben mich weiß Gott oft genug gefragt, was ich in den letzten Tagen getan habe, und zwar immer wieder aufs Neue. Außerdem habe ich noch etwas zu erledigen – ich muss den Detective besuchen, der angeschossen wurde.«

Tolliver nickte. Er wandte den Kopf, um aus dem Fenster zu schauen. Es war ein kalter, wolkenloser Tag mit einem so knallblauen Himmel, dass er einen fast blendete. Ein schmerzlich schöner Tag. Und wir saßen hier im Krankenhaus und stritten uns.

Ich trat an sein Bett und nahm seine Hand. Er reagierte nicht auf meine Berührung. »Ich muss duschen und etwas essen. Und ich muss den Detective besuchen«, sagte ich. »Danach komme ich zurück. Wenn ich in Bewegung bleibe, wird mir nichts passieren. Niemand kann mich rund um die Uhr verfolgen.« Ich hasse es, andere zu beschwatzen, aber es ging nicht anders.

»Ich muss hier raus«, sagte er.

»Ja, und das darfst du auch bald. Du hast ja gehört, was der Arzt gesagt hat. Mach bitte keinen Unsinn und fall hin oder so was, verstanden?«

Es klopfte an der Tür, und als wir uns umsahen, kam ein kleiner Mann herein. Er sah ungewöhnlich aus, denn er war ganz in Schwarz gekleidet, hatte platinblonde Gelstacheln und Piercings in Braue, Nase und Zunge (wie ich aus Erfahrung wusste). Er war jünger als ich, ungefähr einundzwanzig, intelligent und auf eine schräge Art gut aussehend.

»Hallo, Manfred«, sagte Tolliver. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber ich freue mich, dich zu sehen.«

11

Manfred schien ein wenig beleidigt zu sein, weil ich mich gegen sein Angebot, mich zu begleiten, zunächst gesträubt hatte. »Kann ich mich nicht irgendwie nützlich machen?«, fragte er, wobei seine blauen Augen sehr verloren wirkten.

»Manfred«, hob ich erschöpft an. »Ich weiß einfach nicht, wie.«

»Ich hätte da schon die eine oder andere Idee«, erwiderte er und wackelte mit den Augenbrauen. Er gab vor zu scherzen, meinte es aber todernst. Hätte ich ihm auch nur ansatzweise Hoffnungen gemacht, hätte Manfred uns ein Hotelzimmer gebucht, so schnell er sein Portemonnaie zücken konnte.

Leider hätte ich dieses Zimmer selbst bezahlen müssen, denn sein Portemonnaie war bestimmt leer. Keine Ahnung, wie Manfred über die Runden kam. Seine Großmutter, Xylda Bernardo, war eine verrückte alte Schwindlerin gewesen. Trotzdem hatte sie tatsächlich eine hellseherische Gabe besessen. Sie stand ihr nur nicht immer zur Verfügung, wenn sie sie brauchte. Wenn sie keine Stimme hörte, pflegte sie sich eine auszudenken. Sie konnte mehr schlecht als recht davon leben. Sie neigte zur Theatralik, was allerdings wenig überzeugend gewirkt hatte.

Manfred war da schon wesentlich geschickter. Auch er besaß die Gabe. Ich wusste nicht, wie weit Manfreds hellseherische Fähigkeiten reichten, aber wenn er sie genügend ausgelotet und sich darin geübt hätte, würde er bestimmt gutes Geld damit verdienen können. Aber soweit ich wusste, war er noch nicht so weit.