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Wir schafften es durch die Lobby und in den Lift. Ich ließ Tolliver nicht aus den Augen, falls er Hilfe brauchte, und versuchte gleichzeitig, nach nahendem Unheil Ausschau zu halten. Ich kam mir vor wie eine Geisteskranke, so wild irrte mein Blick hin und her, um sich anschließend auf meinen Patienten zu heften.

Als wir endlich in unserem Zimmer waren, seufzte ich erleichtert und half Tolliver, sich hinzulegen. Ich zog einen Stuhl ans Bett, was mich allerdings zu sehr ans Krankenhaus erinnerte. Also legte ich mich neben ihn und drehte mich auf die Seite, damit ich ihn ansehen konnte.

Er brauchte eine Minute, um sich in eine bequeme Position zu bringen. Dann drehte er den Kopf, sodass sich unsere Blicke trafen.

»Das fühlt sich schon deutlich besser an«, sagte er. »Geradezu paradiesisch.«

Ich pflichtete ihm bei. Um seine Entlassung aus dem Krankenhaus zu feiern, öffnete ich den Reißverschluss seiner Hose und ließ ihm eine Therapie angedeihen, mit der er nicht gerechnet hatte. Eine, die ihm so gut tat, dass er sofort einschlief, nachdem er mich geküsst hatte. Ich tat es ihm nach.

Wir wurden wach, weil es an unserer Tür klopfte. Ich ertappte mich bei dem Wunsch nach einer Tür, an die niemand klopfen konnte. Ich hätte das Schild »Bitte nicht stören« hinaushängen sollen. Tolliver bewegte sich und öffnete die Augen. Ich rollte aus dem Bett, reckte mich und fuhr mir mit einer Hand durchs Haar. Dann verließ ich das Schlafzimmer und durchquerte den Wohnbereich, um nachzusehen, wer da war. Diesmal nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und schaute durch das Guckloch.

Zu meinem Erstaunen stand Rudy Flemmons vor der Tür, obwohl ich die Polizei nicht über unseren neuen Aufenthaltsort informiert hatte.

»Es ist der Detective«, sagte ich. Ich stand in der Tür des Schlafzimmers und war noch völlig verschlafen. »Rudy Flemmons, nicht derjenige, auf den geschossen wurde.«

»Das habe ich mir bereits gedacht«, erwiderte Tolliver und gähnte. »Du solltest ihm lieber aufmachen.« Er schloss den Reißverschluss seiner Jeans, und ich knöpfte sie ihm zu, wobei wir uns anlächelten.

Ich ließ Detective Flemmons herein und half dann Tolliver ins Wohnzimmer, damit er sich an dem Gespräch beteiligen konnte. Tolliver ließ sich vorsichtig auf dem Sofa nieder, und Flemmons nahm den Sessel.

»Wie lange sind Sie schon hier?«, fragte er.

Ich sah auf meine Uhr. »Na ja, wir haben das Krankenhaus vor etwa anderthalb Stunden verlassen«, sagte ich. »Wir sind direkt hierher gefahren und haben ein Schläfchen gemacht.«

Tolliver nickte.

Rudy Flemmons sagte: »Haben Sie in den letzten beiden Tagen Ihre Freundin Victoria Flores gesehen?«

»Ja«, sagte Tolliver wie aus der Pistole geschossen. »Sie hat mich gestern Abend im Krankenhaus besucht. Harper war schon gegangen. Victoria ist nach etwa einer Dreiviertelstunde aufgebrochen. Das muss so um … hm, keine Ahnung, ich habe ziemlich viele Schmerzmittel genommen. So gegen acht Uhr, nehme ich an. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.«

»Sie ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen. Sie hat ihre Tochter Mari-Carmen bei ihrer Mutter gelassen, und als Victoria nicht kam, um ihr Kind abzuholen, hat diese die Polizei benachrichtigt. Normalerweise unternimmt die Polizei in solchen Fällen nicht sofort etwas. Aber Victoria war früher bei der Polizei von Texarkana, und einige von uns kennen sie. Sie hat ihr Kind noch nie zu spät abgeholt, jedenfalls nicht, ohne vorher anzurufen und Bescheid zu geben. Victoria ist eine gute Mutter.«

Ich sah ihm an, dass er zu den Garland-Cops gehörte, die sie gut kannten. Vielleicht sogar sehr gut. »Haben Sie mit jemandem gesprochen, der sie nach meinem Bruder gesehen hat?«

»Nein«, sagte er ernst und niedergeschlagen. »Leider nicht.«

Zumindest nahm niemand an, dass Tolliver aus seinem Krankenhausbett gesprungen war, Victoria überwältigt und sie unter dem Bett versteckt hatte, bis er den Pförtner bestechen konnte, ihre Leiche zu entsorgen.

»Ihre Mutter hat nichts von ihr gehört?«

Der Detective schüttelte den Kopf.

»Das ist ja furchtbar«, sagte ich. »Ich … das ist ja furchtbar.«

Mir fiel ein, dass Tolliver mir vorhin etwas über Victoria hatte erzählen wollen. Ich saß neben ihm auf dem Sofa und wandte den Kopf, um seinen Blick zu erhaschen. Ich hob fragend die Brauen. Würde er das Thema anschneiden?

Er schüttelte unmerklich den Kopf. Nein.

Na gut.

»Worüber haben Sie sich unterhalten? Hat Victoria irgendetwas erzählt? Woran sie arbeitet oder wohin sie nach dem Krankenhausbesuch wollte?«

»Ich fürchte, wir haben überwiegend von mir gesprochen«, gestand Tolliver. »Sie hat mir Fragen zu der Kugel gestellt und wollte wissen, ob der Ort, von dem aus der Schütze geschossen hat, bereits ermittelt wurde. Ob es in jener Nacht noch andere Schießereien gegeben hätte. Sie haben Harper erzählt, dass es noch eine ganz in der Nähe des Motels gegeben hat, stimmt’s? Dann hat sie mich noch gefragt, wie lange ich noch im Krankenhaus bleiben muss. Solche Sachen.«

»Hat sie irgendetwas von sich erzählt?«

»Ja. Sie meinte, sie sei eine Zeitlang mit einem Mann zusammen gewesen. Mit einem von der Polizei. Sie hätten sich jedoch kürzlich getrennt. Sie meinte, sie hätte es sich anders überlegt und wollte ihn noch gestern Abend anrufen.«

Ich hatte nicht mit so einer drastischen Reaktion gerechnet. Detective Flemmons wurde leichenblass. Ich hatte schon Angst, er würde in Ohnmacht fallen. »Das hat sie gesagt?«, würgte er hervor.

»Ja«, sagte Tolliver genauso überrascht wie ich. »Mehr oder weniger wortwörtlich. Ich war erstaunt, da wir uns früher nie über ihr Liebesleben unterhalten haben. So nahe standen wir uns nicht, und sie sprach nicht gern über ihr Privatleben. Wissen Sie, mit welchem Cop sie zusammen war?«

»Ja«, antwortete Flemmons. »Mit mir.«

Darauf wusste niemand von uns etwas zu sagen.

Flemmons blieb mindestens noch eine Viertelstunde und stellte Tolliver bestimmt weitere zwanzig Fragen. Er wollte genau wissen, was er und Victoria besprochen hatten, aber Tolliver wich ihm immer wieder geschickt aus. Ich staunte und war etwas beunruhigt, dass Tolliver sich so bedeckt hielt.

Ich erzählte Rudy von der geheimnisvollen Person, die am Vorabend vor meiner Tür gestanden und geklopft hatte, bevor der Zimmerservice gekommen war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es Victoria Flores gewesen war, aber ich wollte, dass jemand über diesen kleinen Vorfall Bescheid wusste.

Schließlich wandte sich Detective Flemmons zum Gehen. Ich war unheimlich erleichtert, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Ich wartete, bis ich ihn zum Lift gehen hörte. Ich lauschte auf das Pling!, als der Lift kam, und auf das leise Rumpeln der auf- und zugehenden Lifttüren. Ich öffnete sogar die Zimmertür und sah mich suchend um, um sicherzustellen, dass niemand mehr da war.

So langsam litt ich unter Verfolgungswahn, aber aus gutem Grund.

»Los, raus mit der Sprache!«, sagte ich. Obwohl Tolliver sehr müde aussah und mühsam aufstand, damit ich ihn ins Bett bringen konnte, wollte ich unbedingt wissen, was er mir erzählen wollte, bevor Rudy Flemmons gekommen war.

Als er wieder im Bett lag, sagte Tolliver: »Sie hat mich gefragt, ob die Joyces das Baby von Mariah Parish wirklich nur finden wollen. Oder ob ich mir vorstellen kann, dass sie das Kind töten wollen.«

»Das Kind töten?!«, sagte ich verblüfft. Aber ich verstand natürlich sofort, was er meinte. »Ein weiterer Nachkomme der Joyces wird vermutlich mindestens ein Viertel des Vermögens erben. Er ist also ein direkter Erbe oder wie das heißt und wäre damit erbberechtigt, und zwar unabhängig davon, ob er unehelich geboren wurde oder nicht. Ich nehme nicht an, dass Rich Joyce Mariah heimlich geheiratet hat?«