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»Du machst keine Witze«, stellte ich fest. »Du meinst das ernst.«

»Ja«, erwiderte er. »Victoria war nach Camerons Verschwinden häufig bei uns. Aber als ich der Sache nachging, stimmte das Timing nicht. Ich glaube, er saß schon im Gefängnis, als das Kind gezeugt wurde. Ich habe noch nie verstehen können, was Frauen an ihm finden.«

»Ich ganz bestimmt nichts«, sagte ich vollkommen aufrichtig.

»Zum Glück. Du magst größere, schlankere Männer, stimmt’s?«

»Und ob ich das tue!«

Wir fassten uns bei den Händen, und ich schmiegte mich enger an Tolliver. Wir schwiegen eine Weile und sahen zu, wie der Regen gegen das Fenster prasselte. Der Himmel hatte beschlossen, sein Trauerkleid anzulegen. Mir taten alle leid, die noch am Tatort waren. Im Grunde mussten sie mir dankbar sein, dass ich Victoria so schnell gefunden hatte – gerade noch rechtzeitig, dass sie ihre Leiche aus dem Abflussrohr bergen konnten. Ich musste an die Joyces denken, was sie für typische reiche Gören geworden waren. Sie taten auch Gutes, aber ich interessierte mich für die bösen Dinge. Ich fand es vielsagend, dass keiner von ihnen glücklich verheiratet war – obwohl sie alle im entsprechenden Alter waren. Dem einen oder anderen würde es vielleicht doch noch beschieden sein. Ich dachte gerade an die Binsenweisheit, dass Geld nicht glücklich macht, als mir auffiel, dass Mark, Tolliver, Cameron und ich auch nicht gerade ein erfülltes Leben führten. Cameron war Gott weiß wo, Mark hatte meines Wissens noch nie eine ernst zu nehmende Freundin gehabt, und Tolliver und ich …

»Möchtest du wirklich heiraten?«, fragte ich.

»Ja, das möchte ich«, sagte Tolliver, ohne eine Sekunde zu zögern. »Ich würde dich gleich morgen heiraten, wenn das ginge. Du zweifelst doch hoffentlich nicht daran? Oder bist du dir nicht sicher, ob wir zusammenpassen?«

»Nein«, sagte ich. »Ich habe keinerlei Zweifel. Du bist wirklich ganz anders als die beziehungsunfähigen Typen aus den Zeitschriften, Tolliver.«

»Du bist auch ganz anders als die Frauen in den Männermagazinen. Und das ist jetzt als Kompliment gemeint.«

»Wir kennen uns eben«, sagte ich. »Auch unsere größten Schwächen. Ich kann mir ein Leben ohne dich gar nicht vorstellen. Klinge ich jetzt wie eine Klette? Ich kann versuchen, unabhängiger zu werden.«

»Du bist unabhängig. Du triffst Tag für Tag zahlreiche Entscheidungen«, sagte er. »Mir fällt es bloß leichter, mich um das Organisatorische zu kümmern, bevor du machst, was du am besten kannst. Anschließend reisen wir weiter, und ich bin wieder dran.«

Irgendwie klang das nicht sehr gleichberechtigt.

»Wo ist Manfred?«, fragte er plötzlich aus heiterem Himmel.

»Puh, keine Ahnung. Ich soll ihn anrufen, wenn ich ihn brauche. Er hat mir nicht verraten, wohin er fährt und was er dort vorhat.«

»Er hat wirklich eine Schwäche für dich.«

»Ja, ich weiß.«

»Und du? Wenn ich nicht wäre, würdest du dich dann mit dem Piercingwunder zusammentun?«

Er sagte es in einem neckenden Ton, erwartete aber eine Antwort von mir. Ich war nicht so dumm, ernsthaft darauf einzugehen. »Spinnst du? Das wäre wie ein Hamburger im Vergleich zu einem Steak«, sagte ich loyal. Wobei es allerdings Tage gab, an denen ich wirklich Lust auf Hamburger hatte. Und es würde bestimmt auch Zeiten geben, in denen Tolliver anderen Frauen hinterhersah. Wenn sich das jedoch alles auf Blicke beschränkte, durfte ich mir auch welche gönnen. Ich wusste, wen ich liebte.

»Nun, nach Durchsicht der Unterlagen – wen siehst du am ehesten in der Rolle des Schützen?«, fragte er munter.

»Es könnte jeder von ihnen gewesen sein«, erwiderte ich. »Eine deprimierende Erkenntnis. Aber angesichts des Risikos, einen großen Teil ihres Vermögens zu verlieren, könnte jeder von ihnen beschlossen haben, dass es niemals so weit kommen darf. Sogar Chip Moseley. Er rechnet sich bestimmt aus, Lizzie zu heiraten. Und es wäre zu viel verlangt, dabei nicht auch an das viele Geld zu denken. Er dürfte den Umfang des Joyce’schen Vermögens besser kennen als die meisten Freunde, da er die große Ranch führt. Ich wette, er hat auch Einblick in die restlichen Finanzen.«

»Ja, bestimmt. Ich neige dazu, Lizzie auszuschließen, da sie diejenige war, die dich beauftragt hat. Sie musste damit rechnen, dass du dein Handwerk beherrschst. Wenn sie die Mörderin wäre, wäre sie dieses Risiko niemals eingegangen. Dann hätte sie auch gewusst, dass der Tod ihres Großvaters kein natürlicher war, denn die Schlange, die den Herzinfarkt auslöste, flog schließlich nicht zufällig durch die Luft. Irgendjemand hat sie nach ihm geworfen. Vielleicht dachte derjenige, sie würde ihn beißen, aber stattdessen erlitt Rich einen Herzinfarkt, was sogar noch besser war. Jetzt brauchte diese Person nur noch dafür zu sorgen, dass Rich nicht an sein Handy kam, und damit war der Fall erledigt.«

»Das war eiskalt«, sagte ich. »Und wer dazu in der Lage ist, ist wirklich böse.«

»Auf wen, glaubst du, hat der Schütze gezielt, auf mich oder auf dich?«, fragte Tolliver. »Ich weiß, dass wir nichts beweisen können, aber das wäre schon interessant.«

»Vor allem für dich.«

Er lachte. Zwar nur ein bisschen, aber ich freute mich. Wie sehr ich das vermisst hatte!

Ich wollte gerade etwas sagen, als es an der Tür klopfte.

Wir seufzten beide. »Ich bin es leid, dass ständig an unsere Tür geklopft wird und jemand kommt, der schlechte Nachrichten für uns hat«, sagte ich. »Hier im Hotel sind wir eine leichte Zielscheibe.« Das wäre bei einem eigenen Zuhause wahrscheinlich ähnlich gewesen, hätte sich aber ganz anders angefühlt.

Ich benutzte den Türspion, und zu meiner Überraschung sah ich Manfred. Da wir gerade von ihm gesprochen hatten, fühlte ich mich wie ertappt, als ich ihn hereinließ. Er warf mir einen vielsagenden Blick zu und wusste also, was mir durch den Kopf ging.

»Wie geht es unserem Invaliden?«, fragte er. In dem Moment kam Tolliver aus dem Schlafzimmer, und Manfred sagte: »Hallo, Kumpel! Wie ist es so, angeschossen zu werden?«

»Das wird überschätzt«, sagte Tolliver. Wir setzten uns. Ich bot Manfred eine Cola oder ein Mineralwasser an, und er nahm die Cola.

»Ich habe das mit der Detektivin gehört«, sagte Manfred. »Sie hat für euch gearbeitet, nachdem eure Schwester entführt wurde, oder?«

Ich staunte, dass er das wusste. Ich konnte mich nicht erinnern, das in seiner Gegenwart je erwähnt zu haben. »Ja«, sagte ich. »Das stimmt. Woher weißt du das?«

»Es kam in den Nachrichten. Wegen ihres Buches.« Ich sah ihn fragend an. »Wusstest du nicht, dass Ms Flores an einem Buch schrieb? Hat sie dir nichts davon erzählt?«

»Nein«, sagte ich. Tolliver schwieg.

»Ja, es sollte ›Eine Detektivin in Texas‹ heißen. Sie hatte sogar schon einen Verlag dafür.«

»Wirklich?« Ich war wie vom Donner gerührt.

»Ja, wirklich. Camerons Fall war der Auslöser dafür, dass sie die Polizei verließ und Detektivin wurde. Ihre fortwährende Suche nach Cameron ist das Thema des Buches.«

Ich wusste nicht, was ich davon halten, wie ich darauf reagieren sollte. Es gab keinen Grund, mich hintergangen zu fühlen, aber genau den Eindruck hatte ich. Besonders unangenehm fand ich die Vorstellung, dass jeder für den Preis eines Buches Einblick in mein schlimmstes Erlebnis überhaupt bekommen konnte.

»Hat sie dir gestern Abend davon erzählt?«, fragte ich Tolliver.

Er nickte. »Ich wollte es dir sagen, aber dann kam Rudy Flemmons, um dich abzuholen«, sagte er.

»Du hattest anschließend noch reichlich Gelegenheit dazu.«

Er zögerte. »Ich wusste nicht, wie du es aufnehmen würdest.«

»Ich wünschte, ich hätte das Manuskript statt der Mappen gestohlen«, sagte ich, und Manfred sah mich neugierig an.

»Welche Mappen? Weiß die Polizei, dass du sie hast? Was ist da drin?«