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»Sie hatte ein paar Ersparnisse, und sie besaß ein Haus«, sagte Manfred. »Ich kann von Glück sagen, dass es zentral gelegen ist und die Schulbehörde das Grundstück wollte, um dort eine neue Sporthalle zu errichten. Ich habe einen guten Preis erzielt. Wie bereits erwähnt fand ich beim Ausräumen jede Menge merkwürdige Sachen. Was ich behalten wollte, ließ ich einlagern, bis ich weiß, wo ich mich selbst niederlassen will.«

»Du möchtest dir also in Xyldas Branche den Lebensunterhalt verdienen, aber überwiegend per E-Mail und Telefon arbeiten?«

»Das ist mein Plan, ja. Aber ich bin offen für alles.« Er sah mich schräg von der Seite an und wackelte mit den Brauen.

Ich lachte, wenn auch widerwillig. »Wenn du bei meinem derzeitigen Aussehen auch nur ansatzweise auf mich stehst, bist du nicht ganz bei Trost.«

»Hast du schlecht geschlafen?«

»Auf jeden Fall nicht sehr viel. Detective Powers ist gestorben.«

Manfreds Grinsen erlosch, als hätte man es ausradiert. »Scheiße. Das tut mir leid, Harper.«

Ich zuckte die Achseln. Dem konnte ich nichts mehr hinzufügen. Alles, was man dazu sagen konnte, war mir im Lauf der Nacht durch den Kopf gegangen, und Manfred war sensibel genug, das zu begreifen.

Dr. Bowdens Praxis befand sich in einem vierstöckigen Gebäude. Der anonyme Kasten aus Glas und Ziegeln hätte alles Mögliche beherbergen können, angefangen von einem peniblen Steuerberater bis hin zu einer kriminellen Vereinigung. Wir liefen durch den strömenden Regen, bis wir die automatischen Schiebetüren auf der Südseite des Gebäudes erreichten.

Als wir es betraten, sah ich, wie ein stämmiger grauhaariger Mann die Lobby auf der anderen Seite verließ. Er hielt die Jacke über den Kopf, um sich gegen den Regen zu schützen. Als die automatischen Türen hinter ihm zugingen, kam mir sein Gang bekannt vor. Ich sah ihm nach, zuckte die Achseln und trat neben Manfred, der vor den Firmenschildern stand. Wir stellten fest, dass Dr. Bowden im dritten Stock praktizierte. Er war Allgemeinarzt.

Dr. Bowden besaß eine bescheidene Praxis in diesem bescheidenen Gebäude. Das Wartezimmer war klein, und eine Frau saß hinter dem Tresen der Anmeldung. Ihr Arbeitsplatz machte einen unordentlichen, fast chaotischen Eindruck. Sie schien Arzthelferin und Buchhalterin in einer Person zu sein. Ihr kurzes Haar war knallrot gefärbt, und sie trug eine schwarze Schmetterlingsbrille. Das nannte sich wohl Retrolook.

»Hier versucht jemand, modisch zu sein«, murmelte Manfred, hoffentlich leise genug, dass sie es nicht hörte.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich, da sie nicht von ihrem Computer aufsah. Dabei musste sie eigentlich merken, dass wir vor ihr standen, schließlich saß nur noch ein anderer Patient im Wartezimmer, ein etwa sechzigjähriger, extrem ausgemergelter Mann. Er las in einer Jagd- und Anglerzeitschrift.

»Entschuldigen Sie«, wiederholte ich schärfer als beabsichtigt.

»Oh, Verzeihung«, sagte die Arzthelferin. Sie nahm einen Ohrstöpsel aus dem Ohr. »Ich habe Sie nicht gehört.«

»Wir würden gern mit dem Doktor sprechen.«

»Haben Sie einen Termin? Oder einen Überweisungsschein?«

»Nein«, sagte ich und lächelte.

Davon völlig unbeeindruckt sah sie über meine Schulter hinweg Manfred an, als könnte er ihr erklären, warum jemand ohne einen Termin den Arzt sprechen wollte.

»Ich bin ihr Begleiter«, sagte er netterweise. »Wir möchten beide mit dem Doktor sprechen. Es handelt sich um eine private Angelegenheit.«

»Sie sind aber nicht die Schwiegertochter, oder?« Die Rothaarige sah mich ebenso entzückt wie entsetzt an.

»Nein, leider nicht.« Ich enttäuschte sie nur ungern.

»Er wird Sie nicht empfangen«, sagte sie plötzlich in einem vertraulichen Ton. Vielleicht hatte Manfreds Gesichtsschmuck ihr Herz erweicht. »Er ist schwer beschäftigt.«

Ich sah mich nach dem einsamen Patienten um, der so tat, als hörte er uns nicht. »Das sieht mir aber nicht danach aus«, sagte ich.

»Aber ich werde mal nachsehen«, fuhr sie fort, als ob ich gar nicht existierte. »Wie ist Ihr Name, bitte?«

Ich nannte ihn ihr. Bevor sie weiterfragen konnte, sagte ich: »Und das ist mein Freund Manfred Bernardo.«

»Worum geht es bitte?«

Die vollständige Version würde sie ohnehin nicht verstehen. »Es geht um einen Fall, der sich vor acht Jahren ereignet hat«, erklärte ich. »Wir möchten mit Dr. Bowden über seine damalige Diagnose sprechen.«

»Ich gebe ihm Bescheid«, sagte sie und stand auf. »Sie müssen warten, bis Sie an der Reihe sind.«

Das taten wir, doch nachdem der ausgemergelte Mann weg war und niemand seinen Platz eingenommen hatte, warteten wir immer noch.

Die Schmetterlingsbrille merkte, dass wir nicht vorhatten, zu gehen. Anscheinend hatte sich der Arzt dagegen entschieden, zu verschwinden, ohne uns empfangen zu haben. Nachdem wir mindestens eine Dreiviertelstunde gewartet hatten, erschien er in der Tür des Untersuchungszimmers. Dr. Bowden war Mitte sechzig und bis auf ein paar graue Strähnen kahl. Er war einer jener unscheinbaren Männer, die man nur schwer beschreiben kann. Selbst bei der sechsten Begegnung würde man sich noch nach seinem Namen erkundigen.

»So, jetzt habe ich einen Moment Zeit für Sie«, sagte er. Er führte uns in sein Büro, ein kleiner Raum voller Bücherregale, Unterlagen, einer gerahmten Stickerei (»Doctors leave their patients in stitches«) und Fotos, die ihn mit einer kleinen, sehr stämmigen Frau und einem Jungen zeigten. Auf den Fotos sah man, wie der Junge groß wurde, und dann gab es noch ein Hochzeitsbild des erwachsenen Sohnes mit seiner Frau.

Dr. Bowden ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder und tat so wie ein viel beschäftigter, wohlhabender Mann, der aus reiner Menschenfreundlichkeit ein paar Minuten für uns übrig hat.

»Ich heiße Harper Connelly, und das ist mein Freund Manfred Bernardo«, sagte ich. »Ich bin wegen eines Todesfalls hier, bei dem Sie vor acht Jahren den Totenschein ausgestellt haben. Die Tote hieß Mariah Parish.«

»Man hat mir Ihr Kommen bereits angekündigt«, sagte er, was mir einen Riesenschrecken einjagte. »Ich kann es kaum fassen, dass Sie die Frechheit haben, sich hier blicken zu lassen.«

»Warum?«, fragte ich völlig verwirrt. »Wenn Mariah Parish umgebracht wurde, lässt das eine sehr komplexe Situation in einem völlig neuen Licht erscheinen.«

»Umgebracht?« Jetzt war er an der Reihe, verwirrt zu sein. »Aber mir sagte man … Mir sagte man, Sie würden behaupten, dass Mariah Parish noch lebt.«

»Nein, das habe ich nie gesagt, und das glaube ich auch nicht. Wer hat Ihnen denn das erzählt?«

Darauf antwortete der Arzt nicht. Er wirkte sehr beunruhigt, aber längst nicht mehr so abweisend. »Sie sind also nicht gekommen, um mit mir darüber zu streiten, dass ich den Totenschein ausgestellt habe?«

»Nein. Ich weiß, dass Maria Parish tot ist. Ich frage mich nur, warum Sie nicht die korrekte Todesursache angegeben haben.«

Tom Bowden errötete, was ihm nicht sehr gut stand. »Sind Sie ein Vertreter der Familie?«

»Sie besaß keine Familie«, sagte ich. »Wir vertreten die Detektivin, die nach ihrem Baby sucht.« Was ja auch stimmte.

»Das Baby«, sagte er, und war in einer halben Minute um fünf Jahre gealtert.

»Ja«, sagte ich streng. »Erzählen Sie uns davon.«

»Sie wissen doch, wie einflussreich die Joyces sind«, sagte er. »Sie hätten meine Karriere beenden, ja mich ins Gefängnis schicken können.«

»Aber das haben sie nicht«, sagte Manfred genauso streng wie ich.

»Erzählen Sie.«

Wir hatten keine Ahnung, was da los war, doch es konnte nicht schaden, so zu tun als ob.

»In jener Nacht, in der Nacht, in der sie starb, praktizierte ich natürlich noch in Clear Creek«, sagte Dr. Bowden. Er drehte seinen Stuhl so, dass er aus dem Fenster sehen konnte. »Damals regnete es in Strömen, genau wie heute. Ich glaube, es war Februar. Ich hatte noch nie ein Mitglied der Familie Joyce behandelt, die konsultierten ihre eigenen Ärzte in Texarkana und Dallas und hatten keine Probleme damit, kilometerweit dorthin zu fahren.« Plötzlich wirkte er tief verbittert. »Ich wusste natürlich, wer Rich Joyce war, jeder im Ort kannte ihn. Er war einer von den Reichen, die so tun, als wären sie ganz normal, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er fuhr einen alten Pick-up und trug Jeans. So als besäße er nicht genug Geld, jedes Auto zu fahren, das er wollte!« Der Arzt schüttelte den Kopf über die Marotten eines Menschen, der sich alles leisten konnte, aber lieber beim Schlichten, Altbewährten blieb.