Die Worte, begann Bischof Moser seine Ansprache mit leiser, lispelnder Stimme und sichtlich ungemütlich auf seiner Kanzel hin und her rutschend, die Worte, die er in Gegenwart der lieben Festgemeinde der heutigen Feier voranstellen möchte, stünden im zweiundsiebzigsten Psalm, in einem Psalme Salomons, wo geschrieben stehe, gelobet sei Gott der Herr, der Gott Israels, der allein Wunder tue. Er hätte heute, fuhr der Bischof fort, zwei Menschenkinder miteinander fürs Leben zu verbinden, die nicht nur ihm, sondern wohl auch allen, die in der Heloisenkapelle sich eingefunden hätten, lieb und teuer geworden seien. Da sei einmal die Braut (hier stockte Bischof Moser ein wenig), die wohl alle Anwesenden mit großer Zärtlichkeit an ihr Herz geschlossen hätten, eine Braut, die je und je allen hier Versammelten (hier wurde Bischof Moser dichterisch) aufs anmutigste so viel Liebe, so viel Schönes und Erhabenes geschenkt habe, kurz, so viele schöne Stunden, daß man ihr nicht genug danken könne (der Bischof wischte sich den Schweiß von der Stirne), und da sei der Bräutigam, fuhr der Bischof erleichtert fort, auch er ein liebenswerter, edler Mensch, der nun all der Liebe teilhaftig würde, die seine Braut so verschwenderisch zu verschenken in der Lage sei, ein Bürger unserer Stadt, der in wenigen Tagen die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gelenkt habe, indem er, aus einfachem Milieu stammend, Generaldirektor, Weltkirchenrat, Ehrendoktor der medizinischen Fakultät und Ehrenkonsul der USA geworden sei. So sehr es nun auch stimme, daß alles, was der Mensch unternehme, und alles, was er erlange, all seine Titel und Verdienste, vergänglich sei, Spreu im Wind, ein Nichts im Angesicht des Ewigen, so zeige dieser Aufstieg dennoch, daß Gnade eingewirkt habe (hier räusperte sich Fahrcks vernehmlich). Doch dies alles sei nun eben nicht eine Gnade, die vom Menschen stamme (nun räusperte sich Petit-Paysan), sondern von Gott, wie der Bibeltext es lehre; nicht Menschengunst habe Archilochos erhoben, sondern der Herr alleine, der sich freilich dazu der menschlichen Herzen bediene, die Er lenke, ja, der die menschliche Schwachheit, die menschliche Hinfälligkeit zu Seinen Zielen benutze, und so gehöre denn auch Ihm allein die Ehre.
So predigte Bischof Moser, und immer gewaltiger, schwungvoller wurde seine Stimme, immer prächtiger, salbungsvoller seine Worte, je mehr er vom Besonderen ins Allgemeine kam, je mehr er vom Ausgangspunkte seiner Ausführungen, vom Brautpaar eben, ins Unendliche, ins Göttliche schweifen durfte, ein Bild der doch im Grunde so vortrefflich und weise eingerichteten Weltordnung entrollend, in der Gottes Ratschluß schließlich alles zum Guten wende. Doch als er nun geendet, als er nun von der Kanzel gestiegen war und die Trauung vollzogen hatte, indem die beiden ihr Ja hauchten, und Archilochos nun dastand, seine liebliche Frau mit den großen, schwarzen, glücklichen Augen am Arm und nun, wie erwachend, die Festversammlung betrachtete, durch die er schreiten sollte, den würdigen Staatspräsidenten, diese mit Orden und Edelsteinen überladenen Damen und Herren, diese Mächtigen, Einflußreichen und Berühmten im Lande, und als er auch Fahrcks bemerkte, mit seinem struppigen roten Haar, der ihn spöttisch musterte, das Gesicht zu einer bösartigen Grimasse verzogen, und nun die kleine Orgel über der Empore Mendelssohns Brautmarsch zu quieken begann, da begriff der Grieche plötzlich auf dem Höhepunkt seines Glücks, von der Menge draußen beneidet, die immer noch wartete. Er erbleichte, taumelte. Schweiß floß über sein Gesicht.
«Ich habe eine Kurtisane geheiratet«, schrie er auf, verzweifelt, wie ein tödlich verwundetes Tier, riß sich von seiner Frau los, die ihm angsterfüllt in ihrem wehenden Schleier bis zum Portal nachlief, und rannte aus der Heloisen-Kapelle, wo ihn die Menschenmasse mit Lachen und Johlen empfing, die, als sie den Bräutigam allein erscheinen sah, mit einem Schlag begriffen hatte, was geschehen war. Archilochos zögerte einen Augenblick zwischen den dürftigen Zypressen, erschrocken, da ihm die Unzahl der Zuschauer erst jetzt bewußt wurde. Dann rannte er an der Karosse des Staatspräsidenten und der wartenden Reihe der Rolls-Royce und Buicks vorbei und im Zickzack durch die Emil-Kappeler-Straße, da ihm bald dieser, bald jener in den Weg trat, wie gehetzt, wie ein von Hunden gejagtes Wild.
«Es lebe der Hahnrei der Stadt!»
«Nieder mit ihm!»
«Reißt ihm die Kleider vom Leib!»
Pfiffe gellten an sein Ohr, Schmährufe, Steine wurden nach ihm geworfen, Straßenjungen rannten ihm nach, stellten ihm ein Bein, mehrere Male schlug er hin, bis er sich blutverschmiert im Hausgang einer Mietskaserne unter einer Treppe verstecken konnte, ins Dunkel gekauert, die polternden Schritte der Meute über seinem Haupt, welches er in den Armen vergraben hatte, bis sich die Verfolger mit der Zeit verliefen, da sie ihn nicht mehr zu finden vermochten.
Stundenlang kauerte er nun unter der Treppe, frierend, leise schluchzend, während es im ungeheizten Korridor des Mietshauses immer dunkler und dunkler wurde. Mit allen habe sie geschlafen, mit allen, mit dem Staatspräsidenten, mit Passap und Maître Dutour, mit allen, wimmerte er. Das ganze Riesengewicht seines moralischen Weltgebäudes war zusammengebrochen und hatte ihn zermalmt. Dann raffte er sich auf. Er torkelte durch den fremden Korridor, fiel über ein Fahrrad und betrat die Straße. Es war schon Nacht. Er schlich zum Strom hinunter, durch schlecht erleuchtete, schmutzige Gassen, geriet unter den Brücken in Horden von krächzenden Bettlern, die in Zeitungspapier gewickelt dalagen, ein Hund schnappte nach ihm, schattenhaft im Dunkel, Ratten huschten pfeifend vorbei, und gurgelndes Wasser netzte seine Füße. Irgendwo heulte ein Schiff.