ES FÜHRT KEIN WEG ZURÜCK.
»Mein Gott!« rief Maya.
»Was ist?«
Sie zeigte auf das Graffito.
»O ja«, sagte Art. »Das siehst du heutzutage in ganz Sheffield und Burroughs angemalt. Prägnant, nicht wahr?«
»Ka Wow.«
Sie saßen in der kühlen Luft an einem kleinen runden Tisch, aßen Pasteten und tranken Kaffee. Das Eis am Horizont blitzte wie Diamanten und ließ einige Bewegung darunter erkennen. »Was für ein phantastischer Anblick!« sagte Art.
Maya schaute den stämmigen Erdenmenschen genau an, erfreut über seine Reaktion. Er war ein Optimist wie Michel, aber besonnener und natürlicher. Bei Michel war es Politik, bei Art Temperament. Sie hatte ihn immer für einen Spion gehalten, seit dem ersten Moment, als sie ihn aus seiner allzu bequemen Panne draußen auf ihrem Weg gerettet hatten. Ein Spion für William Fort, für Praxis, vielleicht für die Übergangsbehörde und vielleicht auch für andere. Aber jetzt war er so lange unter ihnen gewesen — ein enger Freund von Nirgal, von Jackie und auch von Nadia —, und sie arbeiteten jetzt wirklich mit Praxis zusammen, hingen für Nachschub, Schutz und Nachrichten von der Erde davon ab. Sie war sich nicht mehr so sicher, nicht nur, ob Art ein Spion wäre, sondern was in diesem Falle ein Spion war.
Sie sagte: »Du mußt sie veranlassen, diesen Angriff auf Kasei Vallis nicht durchzuführen.«
»Ich glaube nicht, daß sie auf meine Erlaubnis warten.«
»Du weißt, was ich meine.«
»Na schön«, sagte Art. »Ich nehme an, sie sind besorgt, den Code nicht noch einmal knacken zu können. Aber Cojote scheint sehr zuversichtlich, daß er das Protokoll hat. Und Sax war es, der ihm dabei geholfen hat.«
»Sag das ihnen!«
»Sie hören mehr auf dich als auf mich.«
»Stimmt.«
»Wir könnten einen Wettbewerb machen, auf wen Jackie am wenigsten hört.«
Maya lachte laut auf. »Den würde jeder gewinnen.«
Art grinste. »Du solltest deine Ratschläge dem PC Pauline eingeben und ihn dazu bringen, Boones Stimme nachzuahmen.«
Maya lachte wieder. »Eine gute Idee.«
Sie sprachen über das Hellasprojekt, und sie erläuterte die Bedeutung der neuen Entdeckung westlich von Hellespontus. Art hatte mit Fort Kontakt gehabt und schilderte die Feinheiten der letzten Entscheidung des Weltgerichtshofs, von denen Maya noch nicht gehört hatte. Praxis hatte einen Prozeß gegen Consolidated angestrengt, weil die ihren Raumaufzug für die Erde in Columbien festmachen wollten, was der Stelle in Ecuador zu nahe war, die Praxis ins Auge gefaßt hatte, so daß beide Stellen gefährdet wären. Das Gericht hatte zugunsten von Praxis entschieden, war aber von Consolidated ignoriert worden, die weiter gemacht und eine Basis in ihrem neuen Klientellande eingerichtet hatten. Sie waren schon darauf vorbereitet, ihr Aufzugskabel dort herunterkommen zu lassen. Die anderen Metanationalen freuten sich, daß der Weltgerichtshof eine Schlappe erlitten hatte, und unterstützten Consolidated aufjede mögliche Weise, was für Praxis Ärger bedeutete.
»Aber diese Metanationalen stänkern doch immerzu, nicht wahr?« sagte Maya.
»Das stimmt.«
»Man sollte einen großen Streit zwischen einigen von ihnen einfädeln.«
Art hob die Augenbrauen. »Ein gefährlicher Plan!« »Für wen?«
»Für die Erde.«
»Ich kümmere mich den Teufel um die Erde«, sagte Maya und ließ jedes Wort auf der Zunge zergehen.
»Willkommen im Club!« sagte Art kleinlaut; und sie lachte wieder.
Zum Glück reiste Jackies Schar bald nach Sabishii ab. Maya beschloß, zum Ort des neu entdeckten Wasserlagers zu fahren. Sie nahm einen Zug entgegen dem Uhrzeigersinn um das Becken, über den Gletscher Niesten und dann nach Süden den großen Westhang hinab an der Bergstadt Montepulciano vorbei zu einem winzigen Bahnhof, der Yaonisplatz hieß. Von dort fuhr sie in einem kleinen Wagen auf einer Straße, die einem Gebirgstal durch die mächtigen Schluchten von Hellespontus folgte.
Die Straße war nicht mehr als ein grober Einschnitt im Regolith, durch Fixativ gesichert, von Transpondern markiert und an schattigen Stellen durch Wehen aus hartem Sommerschnee behindert. Sie führte durch eine merkwürdige Gegend. Aus dem Weltraum wirkte Hellespontus visuell und areomorphologisch ziemlich gleichmäßig, da das ausgeworfene Material in konzentrischen Ringen heruntergefallen war. Aber an der Oberfläche waren diese konzentrischen Ringe kaum wahrzunehmen. Übriggeblieben waren unregelmäßig verteilte Haufen von Steinen, die chaotisch vom Himmel gefallen waren. Und die phantastischen Drücke, die der Aufprall gezeitigt hatte, hatten zu vielerlei bizarren Metamorphosen geführt. Am häufigsten waren gewaltige Schuttkegel, konische Felsblöcke, die durch den Aufprall in Stücke jeder Größe gebrochen waren, so daß manche Lücken hatten, in die man hineinfahren konnte, während andere einfach als Kegel auf dem Boden standen, mit mikroskopischen Fehlstellen, die wie bei altem Porzellan jeden Zentimeter ihrer Oberfläche bedeckten.
Maya fuhr durch diese zerstückelte Landschaft und fühlte sich etwas beunruhigt durch die häufigen kami- Steine. Da waren Schuttkegel, die auf der Spitze gelandet waren und darauf balancierten, bei anderen war weicheres Material darunter erodiert, bis sie zu riesigen Dolmen wurden; gigantische Reihen von Fangzähnen, große Lingam-Säulen mit einer Kappe darauf wie zum Beispiel die als ›Phallus des Großen Mannes ‹ bekannte; wild aufgeschichtete Platten, deren berühmteste ›Teller in der Spüle‹ genannt wurde; große Wände aus hexagonalem Säulenbasalt; andere Wände, die so glatt und blank waren wie riesige Stücke von Jaspis.
Der äußerste konzentrische Ring der Auswurfstücke ähnelte am ehesten einer gewöhnlichen Bergkette und sah an diesem Nachmittag aus wie etwas aus dem Hindukusch, kahl und gewaltig unter rasch dahinziehenden Wolken. Die Straße kreuzte diese Kette in einem hohen Paß zwischen zwei massigen Bergspitzen. In dem zugigen Paß hielt Maya an und schaute zurück. Sie sah nichts als eine ganze Welt spitzer Berge — Piks und Grate, alle ganz kahl mit Wolkenschatten und Schnee, und hier und da ein gelegentlicher Kraterring, der den Dingen ein echt unirdisches Aussehen verlieh.
Voraus senkte sich das Land zu dem von Kratern vernarbten Noachis Planum. Dort unten war ein Lager von Bergleuten mit Rovern, die wie eine Wagenburg kreisförmig angeordnet waren. Maya fuhr über die rauhe Straße zügig bis zum Camp und erreichte es am späten Nachmittag. Dort wurde sie von einer kleinen Schar alter Beduinenfreunde begrüßt sowie von Nadia, die auf Besuch war, um sich über den Bohrturm für das kürzlich entdeckte Wasserlager zu beratschlagen. Sie alle waren davon beeindruckt. »Es zieht sich über den Proctor-Krater hinaus und wahrscheinlich bis zu Kaiser«, sagte Nadia. »Und es sieht so aus, als reiche es weit nach Süden, so weit, daß es ebenso ausgedehnt wäre wie das Reservoir von Australis Tholus. Habt ihr dafür je eine nördliche Grenze festgestellt?«
»Ich denke, ja«, sagte Maya und fing an, auf ihrem Handgelenk zu tippen, um das herauszufinden. Sie redeten während eines frühen Dinners die ganze Zeit über Wasser und machten nur gelegentlich eine Pause, um andere Neuigkeiten auszutauschen. Danach saßen sie in Zeyks und Naziks Rover und erholten sich mit Sherbet, den Zeyk herumgehen ließ, und starrten in die Glut eines kleinen Kohlenfeuers, auf dem Zeyk vorher frischen Kebab gebraten hatte. Das Gespräch drehte sich zwangsläufig um die gegenwärtige Lage; und Maya sagte wieder, was sie zu Art gesagt hatte, nämlich daß sie Zwist zwischen den Metanationalen auf der Erde stiften sollten.
»Das bedeutet Weltkrieg«, sagte Nadia scharf. »Und wenn das Muster zutrifft, würde es der bisher schlimmste werden.« Sie schüttelte den Kopf. »Es muß einen besseren Weg geben.«