»Wir brauchen uns nicht einzumischen, um das auszulösen«, sagte Zeyk. »Sie sind schon jetzt auf der Spirale nach unten.«
»Meinst du?« fragte Nadia. »Nun, wenn es passiert … werden wir eine Chance für einen Coup hier haben, vermute ich.«
Zeyk schüttelte den Kopf. »Dies ist ein Fluchtloch. Es wird Zwang erfordern, um die Machthaber dazu zu bringen, einen solchen Ort aufzugeben.«
»Es gibt verschiedene Arten von Zwang«, sagte Nadia. »Auf einem Planeten, wo die Oberfläche noch tödlich ist, sollten sich Möglichkeiten finden, bei denen man keine Menschen erschießen muß. Es müßte eine ganz neue Technik der Kriegsführung geben. Ich habe mit Sax darüber gesprochen, und er stimmt zu.«
Maya knurrte, und Zeyk grinste. »Seine Methoden ähneln den alten, soweit ich sehe. Diese Luftlinse herunterzuholen — das hat uns gefallen! Deimos aus der Bahn schießen — gut. Aber ich kann zu einem gewissen Grad erkennen, worauf er aus ist. Wenn die Marschflugkörper herauskommen … «
»Wir müssen uns vergewissern, daß es nicht soweit kommt.« Nadia machte das störrische Gesicht, das sie aufsetzte, wenn ihre Ideen konkretisiert wurden; und Maya schaute sie überrascht an. Nadia eine revolutionäre Strategin — das hätte sie nicht für möglich gehalten. Nun, ohne Zweifel dachte sie daran, um ihre Bauprojekte zu schützen. Oder an ein Bauvorhaben selbst, in einem anderen Medium.
»Du solltest kommen und zu den Gemeinden in Odessa sprechen«, riet ihr Maya. »Die sind im Grunde Anhänger von Nirgal.«
Nadia stimmte zu und bückte sich, um mit einem kleinen Schürhaken eine Kohle wieder in die Mitte des Beckens zurückzuschieben. Sie sahen dem brennenden Feuer zu, ein seltener Anblick auf dem Mars; aber Zeyk liebte Feuer so sehr, daß er die Mühe in Kauf nahm. Feine Schichten grauer Asche flatterten über das marsartige Orange heißer Kohlen. Zeyk und Nazik sprachen leise und schilderten die arabische Lage auf dem Planeten, die komplex war wie gewöhnlich. Die Radikalen unter ihnen waren fast alle in Karawanen draußen unterwegs, suchten nach Metallen und Wasser und areothermalen Stellen, sahen harmlos aus und taten nie etwas, das enthüllen könnte, daß sie nicht zur metanationalen Ordnung gehörten. Aber sie waren draußen, warteten und waren bereit zur Tat.
Nadia stand auf, um zu Bett zu gehen. Als sie fort war, sagte Maya zögernd: »Erzählt mir von Chalmers!«
Zeyk sah sie ruhig und ungerührt an. »Was willst du wissen?«
»Ich möchte wissen, wer mit der Ermordung Boones zu tun hatte.«
Zeyk blinzelte unbehaglich und klagte: »Das war eine sehr komplizierte Nacht in Nicosia. Man redet unter Arabern endlos darüber. Es wird ermüdend.«
»Was sagen sie also?«
Zeyk schaute zu Nazik, und die sagte: »Das Problem ist, daß sie alle etwas anderes sagen. Niemand weiß, was wirklich geschah.«
»Aber ihr wart dort. Ihr habt etwas davon gesehen. Erzählt mir erst einmal, was ihr gesehen habt!«
Da sah Zeyk sie scharf an und nickte. »Sehr wohl.« Er holte Atem und faßte sich. Feierlich, als ob er Zeugnis ablegte, sagte er: »Wir waren nach den Reden, die ihr gehalten habt, in Hajr el-kra Meshab versammelt. Die Leute waren gegen Boone erbost wegen eines Gerüchts, er habe den Plan zum Bau einer Moschee auf Phobos gestoppt; und seine Rede hatte nichts genützt. Uns hat die neue Gesellschaft des Mars, über die er sprach, nie gefallen. Also murrten wir, als Frank vorbeikam. Ich muß sagen, es war ein ermutigender Anblick, ihn in diesem Moment zu sehen. Uns schien, er wäre der einzige mit einer Chance, sich Boone zu widersetzen. So blickten wir auf ihn; und er ermutigte uns. Er mißachtete Boone auf subtile Art und machte Witze, die unseren Ärger gegen Boone verstärkten, während Frank als einziges Bollwerk gegen ihn erschien. Ich war über Frank wirklich verstimmt, weil er die jungen Leute noch mehr aufhetzte. Selim el-Hayil und einige seiner Freunde vom Ahad-Flügel waren da, und sie waren aufgebracht — nicht bloß gegen Boone, sondern auch gegen den Fetah-Flügel. Weißt du, die Ahad und die Fetah waren über verschiedene Themen zerstritten — Panaraber gegen Nationalisten, Beziehungen zum Westen, Verhalten gegenüber Sufis… In jener jüngeren Generation der Bruderschaft gab es eine fundamentale Spaltung.«
»Sunniten und Schiiten?« fragte Maya.
»Nein. Eher konservativ und liberal, wobei die Liberalen sich für säkular hielten und die Konservativen für religiös, sowohl Sunniten wie Schiiten. Und el Hayil war ein Führer der konservativen Ahad. Und er hatte der Karawane angehört, mit der Frank in diesem Jahr gereist war. Sie hatten oft miteinander gesprochen, und Frank hatte ihm viele Fragen gestellt, sich in ihn direkt hineingedrängt, wie das seine Art war, bis er fühlte, jemanden oder dessen Partei zu verstehen.«
Maya nickte und verstand diese Beschreibung.
»Also hatte Frank ihn gekannt. Und in dieser Nacht hätte el-Hayil fast über einen Punkt gesprochen, entschied sich aber, es nicht zu tun, als Frank ihm einen Blick zuwarf. Ich habe das gesehen. Dann ging Frank fort, und el-Hayil fast unmittelbar danach.«
Zeyk machte eine Pause, um von seinem Kaffee zu trinken und nachzudenken.
»Das war in den nächsten paar Stunden das Letzte, was ich von ihnen gesehen habe. Es fing an häßlich zu werden, kurz bevor Boone getötet wurde. Jemand ritzte Slogans auf die Fenster der Medina, und die Ahads dachten, es wären Fetahs; und einige Ahads griffen eine Gruppe von Fetahs an. Danach kämpften sie in der ganzen Stadt, auch gegen einige amerikanische Bautrupps. Es geschah einiges. Es fanden auch andere Kämpfe statt. Es war, als ob alle plötzlich verrückt geworden wären.«
Maya nickte. »Daran erinnere ich mich auch.«
»Nun gut, wir hörten, daß Boone verschwunden wäre, und gingen zum syrischen Tor hinunter, um die Schleusencodes zu überprüfen, ob jemand dort hinausgegangen wäre. Wir fanden, daß jemand hinausgegangen und nicht zurückgekommen war. Darum waren wir auf den Weg nach draußen, als wir die Nachricht über ihn hörten. Wir konnten es nicht glauben. Wir gingen in die Medina. Dort waren alle versammelt, und alle sagten, daß es wahr sei. Ich ging in das Krankenhaus, nachdem ich mich etwa eine halbe Stunde durch die Menge bewegt hatte. Ich sah ihn. Du warst dort.«
»Ich erinnere mich nicht.«
»Nun, du warst da, aber Frank war schon gegangen. Also sah ich John und ging wieder hinaus und sagte den anderen, daß es wahr wäre. Sogar die Ahads waren schockiert, dessen bin ich sicher — Nasir, Ageyl, Abdullah… «
»Ja«, sagte Nazik.
»Aber el-Hayil und Rashid Abou und Buland Besseisso waren dort nicht mit uns. Und wir waren wieder zurück in der Wohnung gegenüber Hajr el-kra Meshab, als sehr laut an die Tür geklopft wurde. Als wir öffneten, fiel el-Hayil in den Raum. Ihm war schon sehr übel. Er schwitzte und versuchte sich zu übergeben. Seine Haut war ganz gerötet und fleckig. Seine Kehle war geschwollen, und er konnte kaum sprechen. Wir halfen ihm ins Bad und sahen, daß er an Erbrochenem erstickte. Wir riefen Yussuf herein und versuchten, Selim in unserem Wagen zur Klinik zu schaffen, als er uns stoppte. Er sagte: ›Sie haben mich getötete Wir fragten ihn, wie er das meinte, und er sagte: ›Chalmers‹.«
»Das hat er gesagt?« fragte Maya.
»Ich sagte: ›Wer hat das getan?‹, und er sagte: ›Chalmers.‹«
Wie aus großer Entfernung hörte Maya, wie Nazik sagte: »Aber da war noch mehr.«
Zeyk nickte. »Ich sagte: ›Was meinst du damit?‹, und er sagte: ›Chalmers hat mich getötet. Chalmers und Boone.‹ Nazik und ich jammerten, als wir das hörten, und Selim packte mich am Arm.« Zeyk holte mit beiden Händen aus und ergriff einen unsichtbaren Arm. »›Er wollte uns vom Mars verjagen.‹ Das sagte er auf eine Weise, die ich nie vergessen werde. Er glaubte das sicher. Daß Boone vorhatte, uns irgendwie vom Mars zu verjagen!« Zeyk schüttelte den Kopf, immer noch ungläubig.