Выбрать главу

Er murmelte etwas und begann besorgt zu werden, als er sah, was kommen würde, wie einer der häufigen Stürme, die über Hellespontus in das Becken bliesen. Und sie lachte und schlug ihn heftig ins Gesicht. Sie gab ihm einen Stoß, als er zurückwich. Sie brüllte: »Komm her, du Feigling, rapple dich auf!«, bis er auf den Balkon hinauslief und die Tür mit dem Absatz geschlossen hielt. Dabei starrte er auf die Bäume im Park und schimpfte laut auf französisch, während sie gegen die Tür hämmerte. Einmal zerbrach sie sogar eine Scheibe, daß ihm das Glas über den Rücken rieselte. Da riß er die Tür auf und drängte sich, immer noch auf französisch fluchend, an ihr vorbei und durch die Zimmertür ins Freie.

Aber gewöhnlich wartete er bloß, bis sie zusammenbrach und anfing zu weinen. Dann kam er zurück und redete englisch, was die Rückkehr seiner Gelassenheit anzeigte. Und mit nur leicht enttäuschter Miene nahm er die unerträgliche Therapie wieder auf. Er sagte dann etwa: »Schau, wir standen damals alle unter einem großen Druck, ob wir es merkten oder nicht. Es war eine höchst künstliche Situation und auch gefährlich. Wenn wir in irgendeiner Anzahl verschiedener Wege versagt hätten, hätten wir alle sterben können. Wir mußten Erfolg haben. Einige von uns kamen mit Druck besser zurecht als andere. Ich war da nicht so gut und du auch nicht. Aber jetzt sind wir hier. Und die Drücke gibt es immer noch, manche anders, manche dieselben. Aber wir kommen besser mit ihnen zurecht, wenn du mich fragst. Die meiste Zeit.«

Und dann ging er weg zu einem Cafe an der Corniche und hockte eine oder zwei Stunden über einem Cassis und entwarf Gesichter auf seinem Lektionar, bissige Karikaturen, die er löschte, sobald sie fertig waren. Sie wußte das; denn an manchen Abenden ging sie nach draußen und fand ihn. Sie saß schweigend bei ihrem Glas Wodka neben ihm und entschuldigte sich durch die Haltung ihrer Schultern. Wie konnte sie ihm sagen, daß es ihr half, ab und zu zu streiten, daß es sie wieder auf den nach oben führenden Ast der Kurve brachte — wie konnte sie ihm das sagen, ohne dieses zynische Lächeln bei ihm auszulösen, das Melancholie und Bedrückung verriet? Außerdem wußte er Bescheid. Er wußte und verzieh. Er sagte dann: »Du hast sie beide geliebt, aber auf verschiedene Weise. Und es gab bei ihnen auch Dinge, die dir nicht gefielen. Außerdem, was immer du gemacht hast, du konntest nicht die Verantwortung für ihre Taten übernehmen. Sie haben erwählt, was sie taten, und du warst nur ein Faktor.«

Es half ihr, das zu hören. Und es half ihr zu kämpfen. Es würde alles in Ordnung sein. Sie würde sich besser fühlen, wenigstens ein paar Wochen oder ein paar Tage lang. Die Vergangenheit war ohnehin so mit Löchern gespickt, eine struppige Sammlung von Bildern. Schließlich würde sie wirklich vergessen. Obwohl die am festesten haftenden Erinnerungen durch einen Leim aus Schmerz und Gewissensbissen gebunden zu sein schienen. Darum dürfte es einige Zeit dauern, sie zu vergessen, auch wenn sie so nagend, schmerzlich und nutzlos waren. Nutzlos! Besser sich auf die Gegenwart zu konzentrieren.

Während sie eines Nachmittags, allein in ihrem Apartment, diese Überlegungen anstellte, starrte sie lange auf des Bild des jungen Frank an der Spüle. Sie überlegte, es herunterzunehmen und wegzuwerfen. Ein Mörder. Sich auf die Gegenwart konzentrieren. Aber auch sie war eine Mörderin. Und auch der, welcher ihn zum Mord getrieben hatte. Wenn man immer alles auf alles zurückführte. Auf jeden Fall war er dabei irgendwie ihr Gefährte gewesen. Als sie lange darüber nachgedacht hatte, entschied sie sich, das Foto hängen zu lassen.

Aber im Lauf der Monate und des langen Rhythmus der Tage mit dem Zeitrutsch und der sechs Monate währenden Jahreszeiten wurde das Bild nicht mehr als ein Teil der Ausstattung, wie das Gestell mit Zangen und hölzernen Schaufeln oder die aufgehängte Reihe von Töpfen und Pfannen mit kupfernen Böden oder die kleinen Salz-und-Pfeffer-Behälter in Schiffsform. Das war alles ein Teil der Bühne, die für diesen Akt des Spiels eingerichtet war, wie sie manchmal dachte. So dauerhaft das auch schien, es würde völlig verschwinden, wie alle vorgegangenen Einrichtungen verschwunden waren, während sie zur nächsten Inkarnation fortschritt. Oder auch nicht.

So vergingen die Wochen und dann die Monate, vierundzwanzig im Jahr. Der Monatserste fiel hintereinander so viele Monate lang auf einen Montag; daß das für immer festgelegt zu sein schien. Und dann war ein Drittel eines Marsjahres vergangen, und endlich erschien eine neue Jahreszeit; es verging ein Monat von siebenundzwanzig Tagen, und plötzlich fiel der Erste auf einen Sonntag, und nach einer Weile würde das auch als ewige Norm erscheinen, einen Monat nach dem anderen. Und so ging es immer und immer weiter. Die langen Jahre des Mars drehten sich langsam im Kreise.

Draußen rings um Hellas schien man die meisten wichtigen Wasserlager entdeckt zu haben, und die Bemühungen verschoben sich völlig auf bergmännische Arbeiten und Rohrbau. Die Schweizer hatten kürzlich etwas erfunden, das sie eine gehende Pipeline nannten, eigens für die Arbeit in Hellas gemacht und oben auf Vastitas Borealis installiert. Diese verrückten Apparate rollten durch die Gegend und verteilten das Grundwasser gleichmäßig über das Land, so daß man den Boden des Beckens erfassen konnte, ohne direkt am Ende fester Pipelines Berge von Eis zu erzeugen, wie man es zuvor zu tun pflegte.

Maya zog mit Diana los, um eines dieser Rohre in Tätigkeit zu sehen. Aus einem darüber schwebenden Luftschiff sah es fast aus wie ein auf dem Boden liegender Gartenschlauch, der sich unter dem hohen Druck des herauschießenden Wassers hin und her schlängelte.

Unten auf dem Boden war es noch eindrucksvoller und sogar bizarr. Die Pipeline war riesig groß und rollte majestätisch über Schichten aus glattem Eis, das schon abgelagert war. Auf flachen Pylonen, die in mächtigen Ponton-Skis endeten, wurde das Rohr einige Meter über dem Eis gehalten und bewegte sich mit mehreren Kilometern in der Stunde, gestoßen durch den aus seiner Düse schießenden Wasserstrahl, die in verschiedene, durch Computer bestimmte Richtungen zeigte. Wenn die Pipeline bis zum Ende ihres Bogens geglitten war, drehten Motoren die Düse; und die Pipeline wurde langsamer, hielt an und kehrte die Richtung um.

Das Wasser schoß in einem dicken weißen Strahl aus der Düse, der einen Boden bildete und in einem Sprühregen aus rotem Staub und weißen Reifschwaden auf die Oberfläche schlug. Dann floß das Wasser über den Grund in großen schlammigen schleifenförmigen Güssen, wurde langsam, setzte sich flach ab, wurde weiß und wandelte sich langsam zu Eis. Das war allerdings kein reines Eis; sondern Nährstoffe und verschiedene Stämme von Eisbakterien waren dem Wasser aus großen Bioreservoiren hinzugefügt worden, die hinten an der Küstenlinie lagen. Darum hatte das neue Eis eine milchig rosige Färbung und schmolz schneller als reines Eis. Ausgedehnte Schmelzteiche, praktisch seichte Seen von vielen Quadratkilometern Fläche, waren in diesem Sommer ein tägliches Ereignis und auch an sonnigen Tagen im Frühling und Herbst. Die Hydrologen meldeten auch große Schmelzteiche unter der Oberfläche. Und als die Temperaturen weltweit zu steigen begannen und die Eisablagerungen im Becken dicker wurden, schmolzen die Bodenschichten anscheinend unter dem Druck. So glitten große Eisschollen über diese Schmelzzonen auch die sanftesten Hänge hinunter und sammelten sich in großen Haufen über allen besonders tief gelegenen Punkten des Beckenbodens in Gebieten, die phantastische Ödländer aus Druckgraten, Eiszacken und Schmelztümpeln waren, die jede Nacht einfroren, und Eisblöcken wie umgestürzte Wolkenkratzer. Diese großen instabilen Eishaufen verschoben sich und zerbrachen, wenn sie in der Wärme des Tages schmolzen, mit donnernden Explosionsschlägen, die man in Odessa und jeder anderen am Rang gelegenen Stadt hörte. Dann froren die Haufen in jeder Nacht mit dröhnendem Krachen wieder ein, bis an vielen Stellen auf dem Boden des Beckens ein unvorstellbares Trümmerchaos herrschte.