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Ann nickte.

»Willst du dich also mit ihnen zusammentun? Oder dich wenigstens mit ihnen treffen?«

»Ich werde darüber nachdenken.«

Ihr Interesse an Gestein war dahin. Jetzt kam sie nicht umhin zu bemerken, wie viele Anzeichen von Leben es auf dem Land gab. In den zehner und zwanziger Graden des Südens schmolz an Nachmittagen im Sommer Eis von den Gletschern des Ausbruchs, und das kalte Wasser strömte abwärts und teilte das Land in neue primitive Wasserscheiden. Es verwandelte die Hänge der Vorberge in etwas, das Ökologen als Fellfields, eine Art von Bergmooren, kennen. Diese steinigen Stellen bildeten die ersten Lebensgemeinschaften, nachdem das Eis wich. Sie bestanden aus Algen, Flechten und Moosen. Sandiger Regolith, der von hindurchströmendem Wasser mit Mikrobakterien infiziert war, wurde erstaunlich rasch, wie sie meinte, zum Fellfield: und die empfindlichen Lebensformen wurden bald zerstört. Ein großer Teil des Regoliths auf dem Mars war ultratrocken gewesen, so dürr, daß bei Kontakt mit Wasser starke chemische Reaktionen auftraten — viel Freisetzung von Wasserstoffperoxid und Salzkristallisationen. Im wesentlichen wurde der Boden zersetzt und floß als sandiger Schlamm stets nach unten in lockeren Terrassen, sogenannten Solifluktionsrinnen, und in mit Reif bedeckten neuen Proto-Fellfields. Die Merkmale des Geländes verschwanden. Das Land schmolz. Nach langer eintägiger Fahrt durch ein derart verändertes Gebiet sagte Ann zu Cojote: »Vielleicht werde ich zu ihnen sprechen.«

Aber erst kehrten sie nach Zygote zurück oder Gamete, wo Cojote zu tun hatte. Ann blieb in Peters Zimmer, da er fort war und der Raum, den sie sich mit Simon geteilt hatte, anderen Zwecken zugeführt worden war. Sie hätte sowieso nicht darin bleiben können. Peters Zimmer lag unter dem von Harmakhis, ein rundes Bambussegment, in dem ein Pult, ein Stuhl und auf dem Boden eine Matratze waren sowie ein Fenster, das auf den Teich führte. In Gamete war alles gleich, aber auch anders. Und trotz der Jahre, in denen sie Zygote regelmäßig besucht hatte, fühlte sie sich mit nichts davon verbunden. Es war in der Tat hart, sich daran zu erinnern, wie Zygote gewesen war. Sie wollte sich auch nicht erinnern, sondern übte sich ständig im Vergessen. Jedesmal, wenn ein Bild aus der Vergangenheit zu ihr kam, sprang sie auf und tat etwas, das Konzentration erforderte. Sie untersuchte Steinproben oder seismographische Aufzeichnungen oder kochte komplizierte Mahlzeiten oder ging aus, um mit den Kindern zu spielen, bis das Bild verblaßt und die Vergangenheit gebannt war. Mit einiger Übung konnte man der Vergangenheit fast völlig trotzen.

Eines Abends steckte Cojote den Kopf durch die Tür in Peters Zimmer. »Hast du gewußt, daß auch Peter ein Roter ist?«

»Was?«

»Das ist er. Aber er arbeitet unabhängig, meistens im Weltraum. Ich glaube, daß sein Rutsch vom Fahrstuhl herunter ihn auf den Geschmack dafür gebracht hat.«

»Mein Gott!« sagte sie enttäuscht. Das war auch so ein zufälliges Ereignis. Nach allen Regeln hätte Peter sterben sollen, als der Aufzug herabstürzte. Wie groß waren die Chancen dafür, daß ein Raumschiff vorbeiflog und ihn bemerkte, allein in areosynchroner Umlaufbahn? Nein, das war lächerlich. Es gab nichts als Kontingenz.

Aber sie war dennoch ärgerlich.

Sie ging schlafen, erregt durch diese Gedanken; und plötzlich träumte sie in ihrem Schlummer, daß sie und Simon durch den eindrucksvollsten Teil von Candor Chasma wanderten, auf jenem ersten Ausflug, den sie zusammen gemacht hatten, als alles unbefleckt war und sich seit einer Milliarde Jahren nicht geändert hatte. Sie waren die ersten Menschen, die gemeinsam in dieser weiten Schlucht von geschichtetem Terrain und immensen Wänden gingen. Simon hatte es ebenso gefallen wie ihr. Und er war so schweigsam gewesen, so absorbiert in der Realität von Fels und Himmel. Es gab keinen besseren Gefährten für eine so glorreiche Betrachtung. Dann fing in dem Traum eine der riesigen Wände des Canyons an einzustürzen, und Simon sagte: »Eine lange Laufstrecke.« Und sie wachte abrupt auf und war schweißgebadet.

Sie zog sich an, verließ Peters Wohnung und ging hinaus in den kleinen Mesokosmos unter der Kuppel mit seinem heißen Teich und dem Krummholz der flachen Dünen. Hiroko war ein besonderes Genie, daß sie sich einen solchen Platz ausdachte und dann viele andere überredete, sich mit ihr darin niederzulassen. So viele Kinder zu empfangen ohne Genehmigung der Väter, ohne Kontrolle der genetischen Manipulationen. Das war wirklich eine Form von Wahnsinn, ob göttlich oder nicht.

Da kam an dem eisigen Strand ihres kleinen Teichs eine Schar von Hirokos Brut an. Man konnte sie nicht mehr Kinder nennen; die jüngsten waren fünfzehn oder sechzehn irdische Jahre alt und die ältesten — die ältesten hatten sich über die ganze Welt verteilt. Kasei war inzwischen wahrscheinlich fünfzig und seine Tochter Jackie fast fünfundzwanzig, eine Absolventin der neuen Universität in Sabiishii und in Demimondepolitik aktiv. Diese Gruppe von Retortenkindern war wieder auf Besuch in Gamete wie Ann selbst. Da waren sie und kamen am Strand heran. Jackie führte die Gruppe an, eine große, anmutige, junge Frau mit schwarzem Haar, durchaus schön und gebieterisch, ohne Zweifel die Anführerin ihrer Generation. Falls es nicht der muntere Nirgal wäre oder der grüblerische Harmakhis. Aber Jackie führte sie. Harmakhis folgte ihr mit hündischer Ergebenheit, und sogar Nirgal hatte ein Auge auf sie. Simon hatte Nirgal gemocht und Peter auch. Ann sah, weshalb. Er war unter Hirokos Schar von Ektogenen der einzige, der sich nicht vor ihr drückte. Der Rest karriolte selbstvergessen umher, Könige und Königinnen ihrer kleinen Welt; aber Nirgal hatte Zygote bald nach Simons Tod verlassen und war kaum je zurückgekommen. Er hatte in Sabishii studiert, was Jackie auf diese Idee gebracht hatte, und verbrachte jetzt die meiste Zeit in Sabishii oder draußen mit Cojote oder Peter; oder er besuchte die Städte des Nordens. War er also auch ein Roter? Unmöglich zu sagen. Aber er war an allem interessiert, nahm alles wahr, lief überall herum, eine Art junger männlicher Hiroko, falls so etwas möglich wäre; aber weniger seltsam als Hiroko, sondern mehr mit anderen Leuten beschäftigt, mehr menschlich.

Ann hatte nie im Leben eine normale Konversation mit Hiroko geführt, die ein fremdartiges Bewußtsein zu haben schien, mit anderen Bedeutungen für alle Wörter der Sprache und trotz ihrer Brillanz in Ökoplanung eigentlich gar keine Wissenschaftlerin, sondern eher eine Art Prophetin. Nirgal andererseits schien intuitiv den Kern von allem zu treffen, was der Person, mit der er sprach, am meisten am Herzen lag. Und er konzentrierte sich darauf und stellte eine Frage nach der anderen, wißbegierig, anpassungsfähig und sympathisch. Als Ann ihn beobachtete, wie er am Strand hinter Jackie her trottete und hin und her lief, erinnerte Ann sich daran, wie langsam und vorsichtig sie an Simons Seite gegangen war. Wie er in jener letzten Nacht so erschrocken ausgesehen hatte, als Hiroko auf ihre besondere Art ihn dazu gebracht hatte, Lebewohl zu sagen. Das ganze Geschehen war für einen Jungen eine grausame Sache gewesen; aber Ann hatte damals keine Einwände erhoben. Sie war verzweifelt gewesen und bereit, alles mögliche zu tun. Das war ein anderer Fehler gewesen, der nicht wiedergutzumachen war.

Sie starrte auf den gelben Sand unter ihren Füßen, bis die Ektogenen vorbeigegangen waren. Es war eine Schande, daß Nirgal so von Jackie gefesselt war, die sich so wenig aus ihm machte. Jackie war auf ihre Art eine bemerkenswerte Frau, aber viel zu sehr wie Maya — launisch und beeinflußbar, auf keinen Mann fixiert außer vielleicht auf Peter, der glücklicherweise (obwohl es damals nicht so ausgesehen hatte) eine Affäre mit Jackies Mutter gehabt hatte und nicht im geringsten an Jackie interessiert war. Das war eine schmutzige Sache, und Peter und Kasei waren noch immer davon ferngehalten, und Esther war nie zurückgekehrt. Nicht Peters beste Stunde. Und die Effekte auf Jackie… O ja, da würde es Effekte geben (Achtung — eine dunkle Lücke in ihrer tiefen Vergangenheit), ja, und es ging immer weiter, alle ihre dreckigen kleinen Leben, die sich in ihren sinnlosen Runden wiederholten …