Während der Dekade, in der diese zwei großen Schwungräder aus ihren Asteroiden angefertigt wurden wie Silikatgewebe aus Felsenspinnen, sahen Beobachter auf dem Mars fast nichts von ihnen. Man konnte gelegentlich eine weiße gekrümmte Linie am Himmel erkennen oder zufälliges Aufleuchten bei Tag und Nacht, als ob die Brillanz eines viel größeren Universums durch die losen Nähte im Gewebe unserer Sphäre schiene.
Als dann die beiden Spiegel fertiggestellt waren, wurde das reflektierte Licht des Ringspiegels auf den Kegel der Soletta gerichtet. Deren zirkuläre Latten wurden justiert, und sie bewegte sich in einen etwas abweichenden Orbit.
Und eines Tages sahen die auf der Tharsis-Seite des Mars lebenden Menschen auf; denn der Himmel hatte sich verdunkelt. Sie erblickten eine Sonnenfinsternis, wie sie der Mars noch nie erlebt hatte. Die Sonne wurde angeknabbert, als ob da oben ein Mond von der Größe des irdischen ihre Strahlen blockierte. Dann ging die Finsternis weiter wie auf der Erde. Die dunkle Sichel schnitt immer tiefer in das gleißende Rund, als die Soletta in ihre Position zwischen Mars und Sonne rückte. Aber ihre Spiegel waren noch nicht so ausgerichtet, daß sie das Licht hindurchtreten ließen. Der Himmel wurde tief violett. Die Dunkelheit erfaßte den größeren Teil der Scheibe. Es blieb nur eine schmale leuchtende Sichel, bis auch die verschwand und die Sonne eine dunkle Scheibe am Himmel bildete, umrahmt vom Hauch der Korona. Und dann war sie völlig verschwunden. Eine totale Sonnenfinsternis .. .
In der dunklen Scheibe erschien ein ganz schwaches Moiremuster, wie man es noch nie bei einer natürlichen Sonnenfinsternis gesehen hatte. Alle Leute auf der Tagesseite des Mars schnappten nach Luft und schauten mit zusammengekniffenen Augen nach oben. Und dann, als ob man eine Jalousie aufgezogen hätte, kam die Sonne mit einemmal zurück.
Blendendes Licht!
Und noch blendender als je zuvor, da die Sonne nun merklich heller war als zuvor, ehe die seltsame Finsternis begonnen hatte. Jetzt wandelte man unter einer verstärkten Sonne, deren Scheibe ungefähr so groß aussah wie auf der Erde. Das Licht war um mehr als zwanzig Prozent stärker als vorher — merklich heller und wärmer auf der Haut. Die rote Fläche der Ebenen war leuchtender. Als ob man plötzlich Flutlicht eingeschaltet hätte und sie alle jetzt auf einer großen Bühne spazierten.
Ein paar Monate später wirbelte ein dritter Spiegel, viel kleiner als die Soletta, in die höchsten Bereiche der Marsatmosphäre. Das war eine weitere Linse, aus kreisrunden Latten erbaut. Sie sah aus wie ein silbernes UFO. Sie fing etwas von dem Licht auf, das von der Soletta herabströmte, und bündelte es noch weiter auf ausgesuchte Punkte an der Oberfläche des Planeten von weniger als einem Kilometer Durchmesser. Und sie flog wie ein Segelflugzeug über die Welt und hielt diesen konzentrierten Lichtstrahl im Focus, bis direkt auf dem Land kleine Sonnen zu erblühen schienen und das Gestein schmolz — von fest zu flüssig und dann zu Feuer.
Der Untergrund war nicht groß genug für Sax Russell. Er wollte wieder an die Arbeit gehen. Er hätte sich in die Demimonde begeben können und vielleicht eine leitende Position als Lehrer an der neuen Universität in Sabishii annehmen können, die außerhalb des Netzes lief und viele seiner alten Kollegen deckte und manchen Kindern des Untergrunds Erziehung bot. Aber nach einigem Nachdenken kam er zu der Erkenntnis, daß er weder unterrichten noch an der Peripherie bleiben wollte. Er wollte wieder zum Terraformen zurück, wenn möglich in das Herz des Projektes oder so nahe, wie er nur herankommen könnte. Und das bedeutete die Oberflächenwelt. Kürzlich hatte die Transnationale Behörde ein Komitee zur Koordinierung aller Arbeiten zur Terraformung gegründet; und ein Team unter der Führung von Subarashii hatte den alten Auftrag zur Synthese bekommen, den Sax früher gehabt hatte. Das war ungünstig, da Sax nicht Japanisch sprach. Aber die Führung im biologischen Teil des Unternehmens war den Schweizern übertragen worden und wurde von einem Schweizer Kollektiv aus biotechnischen Firmen namens Biotique betrieben mit Hauptbüros in Genf und Burroughs und engen Verbindungen zur transnationalen Praxis.
Also mußte er sich zunächst unter einem falschen Namen bei Biotique einschleichen und Burroughs zuweisen lassen. Desmond übernahm dies und schrieb eine Computer-Persona für Sax, ähnlich der, die er vor Jahren Spencer gegeben hatte, als dieser nach Echus Overlook gegangen war. Spencers Persona und eine gründliche kosmetische Chirurgie hatten ihm ermöglicht, erfolgreich in den Labors von Echus Overlook und später in Kasei Vallis zu arbeiten, dem eigentlichen Herzen der transnationalen Sicherheitsdienste.
Die neue Persona listete Saxens physische Identitätsmerkmale auf — Genom, Netzhaut, Stimme und Fingerabdrücke —, alle leicht verändert, so daß sie immer noch fast alle auf Sax selbst zutrafen, aber bei allen Vergleichssuchen in komparativen Netzen nicht auffielen. Diese Daten bekamen einen neuen Namen mit vollem terranischem Hintergrund, Kreditstatus und Einwanderungsdokumenten sowie einem viralen Untertext gegen alle konkurrierenden Identitäten für die physischen Daten. Das ganze Paket wurde an das Schweizer Paßbüro geschickt, das solchen Ankommenden ohne Kommentar Pässe geliefert hatte. Und in der balkanisierten Welt der transnationalen Netze schien das zu funktionieren. Desmond sagte: »O ja, der Teil ist unproblematisch. Aber ihr Ersten Hundert seid alle Filmstars. Du brauchst auch ein neues Gesicht.«
Sax ließ mit sich reden. Er erkannte die Notwendigkeit, und sein Gesicht hatte ihm nie etwas bedeutet. Und in diesen Tagen sah sein Gesicht im Spiegel ohnehin dem nicht sehr ähnlich, das er sich gedacht hatte. Also ließ er Vlad an sich arbeiten und betonte die potentielle Bedeutung seiner Anwesenheit in Burroughs. Vlad war ein führender Theoretiker des Widerstandes gegen die Transnationalen geworden und erkannte rasch, worauf es Sax ankam. Er sagte: »Die meisten von uns leben einfach in der Demimonde, aber ein paar Leute, die in Burroughs versteckt sind, wären eine feine Sache. Also könnte ich meine kosmetische Chirurgie auch in einer angespannten Situation wie deiner praktizieren.«
»Eine angespannte Situation«, sagte Sax. »Und mündliche Kontrakte sind bindend. Ich erwarte, hübscher herauszukommen.«
Und es wurde eine wundervolle Arbeit, obwohl man das unmöglich sagen konnte, ehe die erheblichen Konfusionen verschwunden waren. Sie setzten ihm Zahnkronen auf, machten seine dünne Oberlippe kräftiger, verliehen seiner Knopfnase eine erhabene Brücke und eine leichte Krümmung. Sie machten seine Wangen schmaler und gaben ihm mehr Kinn. Sie schnitten sogar einige Muskeln in den Lidern ein, so daß er nicht so oft zwinkerte. Als die Narben verschwunden waren, sah er wie ein richtiger Filmstar aus, meinte Desmond. Wie ein Ex-Jockey, meinte Nadia. Oder ein früherer Tanzlehrer, sagte Maya, die seit vielen Jahren sich lange an die Anonymen Alkoholiker gehalten hatte. Sax, der die Wirkungen des Alkohols nie gemocht hatte, winkte ihr ab.
Desmond machte Fotos von ihm und tat sie in die neue Persona. Dann gab er dieses Konstrukt erfolgreich in die Akten von Biotique ein, zusammen mit einer Versetzungsanweisung von San Francisco nach Burroughs. Die Persona erschien eine Woche später in den Schweizer Paßlisten; und Desmond kicherte, als er sie sah. Er sagte und zeigte auf Saxens neuen Namen: »Steven Lindholm. Schweizer Bürger! Diese Leute decken uns ohne Zweifel. Ich gehe jede Wette ein, daß sie deine Persona dicht gemacht und dein Genom mit alten Akten und sogar mit meinen Veränderungen nachgeprüft haben. Ich wette, daß sie herausgebracht haben, wer du wirklich bist.«