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Der alte Kanalpark von Burroughs und die breiten Grasboulevards, die vom Park zu den Mesas hinaufführten, waren jetzt Grünstreifen, die zwischen Dächern mit orangefarbenen Ziegeln verliefen. Die alte Doppelreihe aus Salzsäulen stand noch neben dem blauen Kanal. Dort war sicher viel gebaut worden, aber die Konfiguration der Stadt war noch die gleiche. Nur an den Außenbezirken konnte man deutlich sehen, wie sehr sich die Dinge geändert hatten und wieviel größer die Stadt wirklich war. Die Stadtmauer lag gut außerhalb der neun Mesas, so daß ein ziemlicher Teil des umgebenden Landes geschützt war, worauf man inzwischen schon viel gebaut hatte.

Der Personalmensch machte mit Sax einen schnellen Rundgang durch Biotique und stellte ihn mehr Leuten vor, als er sich merken konnte. Dann wurde Sax gebeten, sich am nächsten Morgen in seinem Labor zu melden. Den Rest des Tages hatte er zur Verfügung, um sich einzugewöhnen.

Als Stephen Lindholm hatte er vor, Zeichen von intellektueller Energie, Umgänglichkeit, Wißbegier und guter Stimmung zu geben. Darum verbrachte er sehr überzeugend den Nachmittag damit, Burroughs kennenzulernen. Er ging von einem Bezirk in den andern und schlenderte über die breiten Rasenflächen, wobei er über das mysteriöse Phänomen des Wachstums von Städten nachdachte. Das war ein kultureller Prozeß ohne gute physikalische oder biologische Analogie. Er konnte keinen deutlichen Grund dafür erkennen, weshalb dieses untere Ende von Isidis Planitia der Sitz der größten Stadt auf dem Mars geworden war. Keiner der ursprünglichen Gründe für die Ortswahl der Stadt war überhaupt ausreichend, das zu erklären. Soweit er wußte, hatte sie als eine gewöhnliche Wegstation auf der Route von Elysium nach Tharsis angefangen. Vielleicht lag es gerade an diesem Mangel an strategischer Lage, daß sie gediehen war; denn sie war die einzige größere Stadt, die 2061 nicht beschädigt oder zerstört worden war. Und so war es vielleicht nur ein Vorsprung an Wachstum in den Nachkriegsjahren gewesen. Man könnte analog zu dem betonten Modell der Evolution sagen, daß diese spezielle Spezies zufällig einen Einsturz überlebt hätte, der die meisten anderen Spezies ausgerottet hatte, und ihr eine offene Ökosphäre zur Expansion geboten.

Und zweifellos bot die bogenförmige Gestalt der Region mit ihrem Archipel aus kleinen Mesas auch einen eindrucksvollen Anblick. Als er auf den breiten begrasten Boulevards herumging, schienen die neun Mesas gleichmäßig verteilt zu sein. Und jede Mesa sah anders aus. Ihre rauhen Felswände unterschieden sich durch charakteristische Vorsprünge, Pfeiler, glatte Wände, Überhänge und Spalten, und jetzt auch durch die horizontalen Bänder aus farbigen spiegelnden Fenstern und die Gebäude und Parks, die auf den flachen Plateaus jeder Mesa saßen. Von jedem Punkt der Straße aus konnte man immer einige Mesas sehen, verteilt wie prächtige Kathedralen; und das erfreute das Auge gewiß. Und wenn man dann einen Aufzug zu einem Gipfel der Mesas nahm, die alle etwa hundert Meter höher lagen als der Boden der Stadt, hatte man eine Aussicht über die Dächer mehrerer verschiedener Distrikte und eine andere Perspektive für die anderen Mesas, und hinter ihnen auf das Land des Mars, weil man sich auf dem Boden einer schüsselartigen Senke befand. Über die flache Ebene von Isidis im Norden und den dunklen Anstieg von Syrtis im Westen; und im Süden konnte man die ferne Erhebung der Großen Böschung selbst sehen, die wie ein Himalaya am Horizont stand.

Natürlich war es eine offene Frage, ob eine hübsche Aussicht bei der Gründung einer Stadt eine Rolle spielte; aber es gab Historiker, die versicherten, daß viele alte griechische Städte grundsätzlich wegen ihrer Aussicht angelegt worden wären, trotz anderen Unbequemlichkeiten. Also war das mindestens ein möglicher Faktor. Und auf jeden Fall war Burroughs jetzt eine stolze kleine Metropole von etwa hundertfünfzigtausend Einwohnern und die größte Stadt auf dem Mars. Und sie wuchs immer noch. Gegen Ende seines Nachmittagsspaziergangs fuhr Sax mit einem der großen äußeren Aufzüge auf Branch Mesa, die nördlich vom Zentralpark lag, und konnte von diesem Plateau aus sehen, daß die nördlichen Ausläufer der Stadt die ganze Strecke bis zur Kuppelbasis mit Bauplätzen übersät waren. Es liefen sogar einige Arbeiten um einige der entfernten Mesas außerhalb der Kuppel. Offenbar war eine kritische Masse im Sinne der Gruppenpsychologie erreicht worden, eine Art Herdeninstinkt, der diese Stadt zur Hauptstadt gemacht hatte, zum sozialen Magneten und dem Herzen der Aktivität. Gruppendynamik war bestenfalls komplex und sogar (er schnitt eine Grimasse) unerklärlich.

Das war wie immer ungünstig, weil Biotique Burroughs wirklich eine sehr dynamische Gruppe bildete. Und in den folgenden Tagen stellte Sax fest, daß es nicht einfach war, seinen Platz in der Fülle von Wissenschaftlern zu bestimmen, die an dem Projekt arbeiteten. Er hatte die Geschicklichkeit verloren, in einer neuen Gruppe seinen Weg zu finden, sofern er sie je gehabt hatte. Die Formel, um die Zahl möglicher Beziehungen in einer Gruppe zu beherrschen, war n(n-l)/2, wo n die Anzahl der Individuen in der Gruppe ist, so daß für die 1000 Menschen in Biotique Burroughs sich 499500 mögliche Beziehungen ergaben. Dies schien für Sax jenseits jeder Möglichkeit zu liegen, es zu begreifen. Selbst die 4950 möglichen Beziehungen in einer Gruppe von 100, die hypothetische ›Planungsgrenze‹ für die Größe menschlicher Gruppen, erschien plump. In Underhill war es wirklich so gewesen, wo sie eine Gelegenheit gehabt hatten, das zu prüfen.

Es war also wichtig, in Biotique eine kleinere Gruppe zu finden, und Sax machte sich so ans Werk. Es war gewiß sinnvoll, sich zuerst auf sein Labor zu konzentrieren. Er war als Biophysiker dort eingetreten, was riskant war, ihn aber dorthin brachte, wo er in der Firma sein wollte. Und er hoffte, daß er sich würde behaupten können. Falls nicht, könnte er erklären, daß er von der Physik zur Biophysik gekommen wäre, was auch stimmte. Sein Boss war eine Japanerin namens Ciaire, dem Aussehen nach mittleren Alters, eine sehr kongeniale Frau, die ihr Labor vorzüglich leitete. Bei seiner Ankunft setzte sie ihn an die Arbeit mit dem Team, das Pflanzen der zweiten und dritten Generation für die vergletscherten Gebiete der nördlichen Hemisphäre entwickelte. Diese neu hydrierten Milieus boten enorme neue Möglichkeiten für botanische Planung, da die Konstrukteure nicht mehr alle Spezies auf Xerophyten der Wüste gründen mußten. Sax hatte das vom allerersten Moment an kommen sehen, als er die Flut sah, die von Ius Chasma nach Melas hinunterdonnerte im Jahr 2061. Und jetzt, vierzig Jahre später, konnte er wirklich etwas dafür tun.

Also stieg er sehr vergnügt in die Arbeit ein. Zuerst mußte er sich aufs laufende bringen über das, was schon dort in den Gletschergebieten ausgesetzt worden war. Er las gierig auf seine übliche Art, sah Videobänder an und erfuhr, daß bei der immer noch so dünnen und kalten Atmosphäre das Ganze auf der Oberfläche freigesetzte Eis sublimierte, bis seine exponierten Flächen zu einem feinen Gitterwerk zerfressen waren. Das bedeutete, es gab Milliarden kleiner und großer Löcher, in denen Leben wachsen konnte, direkt auf dem Eis. Und so gehörten zu den ersten Formen, die weit verbreitet wurden, Spielarten von Schnee- und Eisalgen. Diese Algen waren verstärkt worden durch preatophytische Merkmale; denn selbst wenn Eis zunächst rein war, wurde es von Salz verkrustet durch den allgegenwärtigen vom Wind verwehten Grus. Die genetisch modifizierten salzverträglichen Algen hatten sich sehr gut bewährt. Sie wuchsen in den gelöcherten Oberflächen der Gletscher und manchmal direkt in das Eis hinein. Und weil sie dunkler waren als das Eis, rötlich oder schwarz oder grün, hatte das Eis unter ihnen die Neigung zu schmelzen, besonders an Sommertagen, wenn die Temperaturen deutlich über dem Gefrierpunkt lagen. So hatten tagsüber kleine Rinnsale begonnen, von den Gletschern und entlang ihrer Ränder herunterzuströmen. Diese feuchten moränenartigen Gebiete ähnelten einigen polaren und alpinen Gegenden der Erde. Bakterien und größere Pflanzen aus diesen terrestrischen Landschaften, genetisch verändert, um die penetrante Salzigkeit zu vertragen, waren zuerst vor einigen M-Jahren von Biotique ausgesät worden; und die Pflanzen gediehen zum größten Teil so wie früher die Algen.