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Als er sie jetzt ansah, erinnerte er sich mit Mißmut ihres überhasteten Aufbruchs. Es genügte die elementarste Soziobiologie, um so ein Verhalten zu erklären. Wettbewerb um Partner, eine sehr fundamentale animalische Aktivität. Natürlich war Sax noch nie vorher das Subjekt einer solchen Konkurrenz gewesen, aber es gab nichts, auf das er bei dieser plötzlichen Manifestation stolz sein konnte. Es geschah ganz sicher wegen Vlads kosmetischer Chirurgie, die seinem Gesicht ein anziehendes Aussehen verliehen hatte. Obwohl es ihm völlig unklar war, warum die eine Anordnung von Gesichtszügen attraktiver sein sollte als die andere. Er hatte über soziobiologische Erklärungen sexueller Attraktivität gehört, und er konnte sich vorstellen, daß manche davon eine gewisse Gültigkeit haben mochten. Ein Mann würde sich nach einem Weib mit breiten Hüften umsehen, damit es seine Kinder sicher zur Welt bringen konnte, mit beachtlichen Brüsten, um seine Kinder zu stillen, mit langen Beinen, um diese in Sicherheit zu bringen, wenn Gefahr drohte, und so weiter. Eine Frau würde sich nach einem starken Mann umsehen, um ihre Kinder gut zu ernähren und zu schützen und starken Kindern ein Vater zu sein, und so weiter und so fort. Das ergibt irgendwie Sinn. Aber nichts davon hat etwas mit Gesichtszügen zu tun. Für diese werden soziobiologische Erklärungen recht dünn. Weit auseinanderstehende Augen für besseres Sehvermögen? Gute Zähne zur Förderung der Gesundheit? Eine ausgeprägte Nase, um nicht so leicht einen Schnupfen zu bekommen? — Nein! So einfach war das nicht. Es war eine Sache zufälliger Konfigurationen, von etwas, das das Auge anspricht. Ein ästhetisches Urteil, in dem kleine nichtfunktionale Merkmale einen großen Unterschied ausmachen können, was darauf hinweist, daß praktische Anliegen keine Rolle spielen. Ein solcher Fall war ein Paar Zwillingsschwestern, die sich sehr ähnlich sahen; und dennoch war die eine unauffällig gewesen, die andere hingegen schön. Nein, es ging um Millimeter Fleisch und Knochen und Knorpel, die zufällig in Muster paßten, die gefielen oder nicht.

Nun hatte Vlad also einige Veränderungen an seinem Gesicht vorgenommen, und jetzt wetteiferten Frauen um seine Aufmerksamkeit, obwohl er die gleiche Person war wie schon immer. Eine Person, an der Phyllis nie zuvor Interesse gezeigt hatte, als er so ausgesehen hatte, wie die Natur ihn geschaffen hatte. Es war schwer, deshalb nicht ein wenig zynisch zu sein. Begehrt zu werden — aber wegen Trivialitäten …

Er stieg aus dem Bett und zog einen der neuesten Leichtgewichtsanzüge an, die so viel bequemer waren als die alten aus Stretchgewebe. Man mußte sich gegen die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt isolieren und natürlich einen Helm und Lufttank tragen, aber es war keinerlei Notwendigkeit mehr, für Druck zu sorgen, um nicht die Haut zu schädigen. Dafür genügten schon 160 Millibar. Darum kam es nur noch auf warme Kleidung, Stiefel und den Helm an. Also dauerte das Ankleiden nur wenige Minuten, und dann war er wieder draußen auf dem Gletscher.

Er ging über den knirschenden Rauhreif auf dem ausgeflaggten Hauptweg über den Eisstrom und wandte sich dann auf dem Westufer stromabwärts, vorbei an den kleinen millefleur-Fellfields, die mit Reif bedeckt waren, der schon im Licht begonnen hatte zu schmelzen. Er kam an eine Stelle, wo der Gletscher eine kleine Böschung hinabfiel in einem kurzen rissigen Wasserfall. Er wandte sich auch ein paar Grad nach links und folgte den begrenzenden Graten. Plötzlich erfüllte die Luft ein lautes Krachen, dem ein dumpfes Geräusch folgte, das in seinem Magen vibrierte. Er blieb stehen und lauschte. Er hörte den entfernten Glockenton eines Stroms unter dem Eis. Er ging weiter und fühlte sich mit jedem Schritt leichter und fröhlicher. Das Morgenlicht war sehr klar und der Dampf auf dem Eis wie weißer Rauch.

Und dann kam er im Schutz einiger großer Felsblöcke zu einem Fellfield, das wie ein Amphitheater aussah und mit Blumen wie von Farbflecken übersät war. Und am Boden des Feldes war eine kleine alpine Wiese, nach Süden gewandt und verblüffend grün. Die Matten aus Gras und Ried waren alle von weiß bedeckten Wasserläufen durchzogen. Und rings um den Rand des Amphitheaters, in Spalten und unter Steinen geschützt, duckte sich eine Anzahl Zwergbäume.

Das also war Krummholz, das nach alpinen Wiesen die nächste Station der Entwicklung von Gebirgslandschaften bildete. Die Zwergbäume, die er erspäht hatte, waren tatsächlich Mitglieder gewöhnlicher Arten, zumeist weiße Kiefer, Pinus contorta, die sich in dieser rauhen Umgebung von selbst zu einer Zwergform entwickelt hatte und die geschützten Räume umgab, in denen sie aufgeschossen war. Das waren die am meisten Kälte vertragenden Bäume der Erde; und offenbar hatte das Team der Biotique Salzverträglichkeit von Bäumen wie Tamarisken hinzugefügt. Alle wissenschaftlichen Methoden waren eingesetzt worden, um ihnen zu helfen. Und dennoch behinderten die extremen Bedingungen ihr Wachstum, bis Bäume, die dreißig Meter hoch hätten werden können, sich in kleinen geduckten Schutzflecken zusammendrängten, von Winden und Schneelasten abgeschoren wie von Heckenscheren. Daher der Name Krummholz, deutsch für ›krummes Holz‹, oder vielleicht ›Elfenholz‹ für die Zone, wo es Bäumen zuerst gelang, aus der Boden schaffenden Tätigkeit von Fellfields und alpinen Wiesen Nutzen zu ziehen. Baumgrenze.

Sax ging langsam durch das Amphitheater, trat auf Steine, inspizierte die Moose, Riedgräser und jeden einzelnen Baum. Die knorrigen kleinen Dinger waren verdreht, als ob sie von verrückten Bonsai-Gärtnern gezogen worden wären. »Oh, wie hübsch!« sagte er mehr als einmal laut, wenn er einen Zweig oder Stamm betrachtete oder ein Stück lameliierte Borke, die sich wie Blätterteig abschälte. »Oh, wie hübsch! Jetzt fehlen nur einige Maulwürfe, Wühlmäuse, Murmeltiere, Nerze und Füchse.«

Aber das Kohlendioxid betrug immer noch fast dreißig Prozent in der Luft, vielleicht fünfzig Millibar für sich allein. Alle Säugetiere würden in einer solchen Luft rasch sterben. Darum hatte er sich immer dem Zweistufenplan der Terraformung in einer solchen Luft widersetzt, der vor allem anderen einen massiven Zuwachs an CO2 forderte. Als ob die Erwärmung des Planeten das einzige Ziel wäre! Das Ziel waren aber Tiere auf der Oberfläche. Das war nicht nur an sich gut, sondern auch gut für die Pflanzen, von denen viele Bedarf an Tieren hatten. Die meisten dieser Fellfieldpflanzen verbreiten sich natürlich allein; und es gab einige veränderte Insekten, die Biotique freigesetzt hatte, die da draußen nach stupider Überlebensart von Insekten umherschwirrten, nur halb lebendig und nur ihre Aufgabe der Befruchtung erfüllend. Aber es gab viele andere symbiotische ökologische Funktionen, die Tiere erforderten, wie die Durchlüftung des Bodens durch Maulwürfe und Wühlmäuse, oder die Verbreitung von Samen durch Vögel, ohne die Pflanzen nicht gedeihen konnten und manche überhaupt nicht lebensfähig wären. Nein, man mußte den Kohlendioxidgehalt der Luft reduzieren, wahrscheinlich bis auf die zehn Millibar wie bei ihrer Ankunft, als es die einzige Luft gewesen war, die es gab. Darum war der Plan, den seine Kollegen erwähnt hatten, den Regolith mit einer Linse in der Luft zu schmelzen, so beunruhigend. Das könnte ihre Probleme nur verschärfen.

Inzwischen war da diese unerwartete Schönheit. Es vergingen Stunden, während er die Exemplare eines nach dem anderen inspizierte und besonders den spiraligen Stamm und die Zweige bewunderte, die flockige Borke und Verästelung der Nadeln bei einer kleinen Drehkiefer — wirklich wie das Stück einer prächtigen Skulptur. Und er hockte auf den Knien mit dem Gesicht im Ried und dem Hintern in der Luft, als Phyllis und Ciaire und eine ganze Schar in die Wiese hereinströmten, über ihn lachten und sorglos auf das lebendige Gras traten.