Выбрать главу

Phyllis blieb an diesem Nachmittag bei ihm wie schon zwei oder drei Male zuvor, und sie gingen zusammen zurück. Sax versuchte zuerst, die Rolle eines naiven Führers zu spielen und zeigte auf Pflanzen, die er gerade erst in der vorigen Woche kennengelernt hatte. Aber Phyllis stellte keine Fragen danach und schien nicht einmal zuzuhören, wenn er sprach. Es schien, daß sie in ihm nur ein Publikum haben wollte, einen Zeugen für ihr Leben. Also verzichtete er auf die Pflanzen, stellte Fragen, hörte zu, und fragte weiter. Das war immerhin eine gute Gelegenheit, etwas über die derzeitige Machtstruktur auf dem Mars zu erfahren. Selbst wenn sie ihre eigene Rolle darin übertrieb, war es doch informativ. Sie sagte: »Ich war erstaunt, wie schnell Subarashii den neuen Aufzug gebaut und in Stellung gebracht hat.«

»Subarashii?«

»Sie waren der Hauptkontraktor.«

»Und wer hat über den Kontrakt entschieden, UNOMA?«

»O nein. UNOMA ist durch die Übergangsbehörde der UN ersetzt worden.«

»Als du Präsidentin der Übergangsbehörde warst, bist du also effektiv die Präsidentin des Mars gewesen.«

»Nun, die Präsidentschaft wechselt unter den Mitgliedern. Sie gewährt nicht viel mehr Macht, als die anderen Mitglieder haben. Es ist nur für die Medien und zur Veranstaltung der Konferenzen. Routinearbeit.«

»Aber dennoch… «

»Oh, ich weiß.« Sie lachte. »Es ist eine Position, die viele meiner alten Kollegen begehrten, aber nie bekommen haben. Chalmers, Bogdanov, Boone, Toitovna. Ich frage mich, was sie gedacht haben würden, wenn sie es erlebt hätten. Aber sie haben auf das falsche Pferd gesetzt.«

Sax wandte den Blick von ihr ab. »Warum also hat Subarashii den neuen Aufzug bekommen?«

»Das Lenkungskomitee der Übergangsbehörde hat dafür gestimmt. Praxis hatte sich beworben, und keiner mag Praxis.«

»Jetzt, wo der Aufzug wieder da ist, glaubst du, daß sich die Dinge wieder verändern werden?«

»Ja gewiß! Sicher! Seit den Unruhen haben viele Dinge an Einfluß gewonnen. Emigration, Bauen, Terraformen, Handel — das ist alles langsamer geworden. Wir haben es kaum geschafft, einige der zerstörten Städte wieder aufzubauen. Es ist eine Art von Kriegsrecht, natürlich notwendig, wenn man bedenkt, was geschehen ist.«

»Natürlich.«

»Aber jetzt! Alle die aufgestapelten Metalle aus den letzten vierzig Jahren sind bereit für den Markt der Erde, und das wird die ganze Ökonomie der zwei Welten unglaublich stimulieren. Wir werden jetzt mehr Produktion von der Erde erleben und mehr Investitionen hier, auch mehr Emigration. Wir sind endlich bereit, mit den Dingen fertig zu werden.«

»Wie Soletta?«

»Genau! Das ist ein perfektes Beispiel für das, was ich meine. Es gibt hier Pläne aller Art für große Investitionen.«

»Kanäle mit gläsernen Wänden«, sagte Sax. Das würde die Moholes trivial aussehen lassen.

Phyllis sagte etwas über die glänzenden Aussichten für die Erde, und er schüttelte den Kopf, um ihn von Joules pro Quadratzentimeter frei zu machen. Er sagte: »Aber ich dachte, die Erde hätte einige ernste Schwierigkeiten.«

»Oh, die Erde hat immer ernste Schwierigkeiten. Daran werden wir uns gewöhnen müssen. Nein, ich bin sehr optimistisch. Ich glaube, daß die Rezession sie da unten hart getroffen hat, besonders die kleinen Tiger und die Babytiger und natürlich die weniger entwickelten Länder. Aber der Einstrom industrieller Metalle von hier wird die Wirtschaft für jedermann anregen, einschließlich der Umweltkontrollindustrien. Und leider sieht es so aus, als ob das Baumsterben für sie eine Menge anderer Probleme lösen wird.«

Sax konzentrierte sich auf den Teil der Moräne, den sie emporstiegen. Hier hatte Solifluktion, das tägliche Schmelzen von Grundeis auf einer Neigung, bewirkt, daß das lockere Regolith in einer Reihe von Vertiefungen und Rinnen nach unten gerutscht war; und obwohl alles grau und leblos aussah, verriet ein leichtes Muster wie winzige Kacheln, daß es tatsächlich mit blaugrauen Flockenflechten bedeckt war. In den Vertiefungen gab es Klumpen von etwas, das wie graue Asche aussah. Sax blieb stehen, um eine kleine Probe zu pflücken. »Schau!« sagte er brüsk zu Phyllis, »Schneelebermoos.«

»Es sieht aus wie Schmutz.«

»Das kommt, weil ein parasitärer Schwamm darauf wächst. Die Pflanze ist eigentlich grün. Siehst du diese kleinen Blätter? Das ist ein neues Wachstum, das der Pilz noch nicht bedeckt hat.« Unter Vergrößerung sahen die neuen Blätter aus wie grünes Glas.

Aber Phyllis machte sich nicht die Mühe hinzuschauen. Sie fragte: »Wer hat das konstruiert?« Der Ton ihrer Stimme klang so, als ob der Planer schlechten Geschmack bewiesen hätte.

»Ich weiß nicht. Könnte niemand gewesen sein. Eine ganze Anzahl der Spezies hier draußen sind nicht konstruiert worden.«

»Kann Evolution so schnell arbeiten?«

»Nun, du weißt ja, es ist polyploidale Entwicklung.«

»Kenne ich nicht.«

Phyllis ging weiter, nicht sonderlich interessiert an dem kleinen grauen Exemplar. Schneeleberwurz. Wahrscheinlich sehr wenig behandelt oder sogar überhaupt nicht konstruiert. Testexemplare, die hier unter den anderen ausgesetzt waren, um zu sehen, wie es ihnen ergehen würde. Und nach Meinung von Sax somit sehr interessant.

Aber irgendwo auf der Strecke hatte Phyllis das Interesse verloren. Sie war einmal eine erstklassige Biologin gewesen, und Sax fand es hart, sich den Verlust an Neugier vorzustellen, der an der Wurzel der Wissenschaft liegt und die einen drängt, die Dinge zu verstehen. Aber sie wurden alt. Im Verlauf ihres unnatürlichen Lebens lag es nahe, daß sie alle sich verändern würden, vielleicht sogar grundlegend. Sax gefiel dieser Gedanke nicht, aber er war da. Wie alle anderen neuen Hundertjährigen hatte er immer mehr Schwierigkeiten, sich an Einzelheiten seiner Vergangenheit zu erinnern, besonders in den mittleren Jahren, an Dinge, die sich vor dem Alter von rund fünfzig ereignet hatten. So verblaßten für ihn die Jahre vor ’61 und seine meisten Jahre auf der Erde. Und ohne voll funktionierende Erinnerungen würde man sich gewiß verändern.

Als sie zur Station zurückkehrten, ging er verwirrt ins Labor. Er dachte, vielleicht wären sie polyploidal geworden, nicht als Individuen, sondern kulturell — eine internationale Anordnung, die hier auftrat und dieselben Fasern effektiv vervierfachte und so die Anpassungsfähigkeit lieferte, in diesem fremdartigen Terrain trotz aller durch Stress bewirkten Mutationen zu überleben …

Aber nein. Das war eher eine Analogie als eine Homologie. Was man in den Geisteswissenschaften ein heroisches Gleichnis oder eine Metapher nannte, falls er den Fachausdruck richtig verstand, oder eine andere Art literarischer Analogie. Und Analogien waren meistens bedeutungslos, eher eine Sache des Phänotyps als des Genotyps (um eine andere Analogie zu benutzen). Das meiste in Poesie und Literatur, tatsächlich alle Geisteswissenschaften, von den Sozialwissenschaften ganz zu schweigen, waren, soweit Sax das sehen konnte, phänotypisch. Sie gesellten sich zu einem riesigen Kompendium bedeutungsloser Analogien, die nicht halfen, Dinge zu erklären, sondern nur eine verzerrte Vorstellung von ihnen förderten. Man könnte sagen, eine ständige konzeptuelle Betrunkenheit. Sax selbst bevorzugte sehr Exaktheit und begriffliche Kraft — und warum nicht? Wenn draußen 200 Kelvin herrschten, warum sollte man das nicht so sagen, anstatt über die Titten von Hexen und dergleichen zu reden und das ganze große Gepäck der unwissenden Vergangenheit herbeizuholen, um jede Begegnung mit sensorischer Realität zu verdunkeln? Das war absurd.

Also okay, es gab keine kulturelle Polyploidie. Es gab nur eine bestimmte historische Situation, die Konsequenz von allem, was vorhergegangen war — getroffene Entscheidungen, deren Resultate sich völlig ungeordnet über den Planeten verbreiteten und sich planlos entwickelten, wenn man so sagen konnte. Planlos. In dieser Hinsicht bestand eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Geschichte und Evolution, insofern beide von Kontingenz und Zufall bestimmt wurden, aber auch Entwicklungsstrukturen bildeten. Aber die Differenzen waren besonders im Zeitmaßstab so kraß, daß Ähnlichkeit wieder nicht mehr als eine Analogie wurde.