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Nein, man sollte sich lieber auf Homologien konzentrieren, jene strukturellen Ähnlichkeiten, die auf aktuelle physikalische Beziehungen hinwiesen und wirklich etwas erklärten. Das führte natürlich wieder in die Wissenschaft zurück. Aber nach einer Begegnung mit Phyllis war es genau das, was er wollte.

Also vertiefte er sich wieder in das Studium von Pflanzen. Viele der von ihm gefundenen Fellfieldpflanzen hatten behaarte Blätter mit sehr dicken Oberflächen, was half, die Gewächse vor der scharfen UV-Strahlung des Sonnenlichts auf dem Mars zu schützen. Diese Anpassungen konnten recht gut Beispiele für Homologien sein, bei denen Spezies mit den gleichen Vorfahren alle familiären Züge bewahrt hatten. Oder es konnten Beispiele von Konvergenz sein, bei denen Spezies aus getrennten Stämmen durch funktionale Notwendigkeit zu den gleichen Formen gekommen waren. Und in diesen Tagen konnten sie auch einfach ein biotechnisches Produkt sein, bei dem die Züchter unterschiedlichen Pflanzen die gleichen Merkmale verliehen, um die gleichen Vorteile zu erzielen. Es kam darauf an herauszufinden, worauf es ankam, um die Pflanze zu identifizieren, und dann in den Akten nachzusehen, ob sie von einem terraformenden Team geplant worden war. In Elysium gab es ein Labor von Biotique unter Leitung von Harry Whitebook, das viele der erfolgreichsten Pflanzen plante, besonders die Riedgräser; und eine Suche im Whitebook-Katalog ergab oft, daß seine Hand am Werk gewesen war. In diesem Fall beruhten die Ähnlichkeiten oft auf künstlicher Konvergenz, indem Whitebook etwa behaarte Blätter in fast jede Blattpflanze einführte, die er züchtete.

Ein interessanter Fall von Geschichte, die Evolution nachahmt. Und da sie auf dem Mars eine Biosphäre schaffen wollten in kurzer Zeit, vielleicht 107mal schneller, als es auf der Erde gedauert hatte, mußten sie ständig in den Evolutionsakt selbst eingreifen. Daher würde die Biosphäre des Mars nicht ein Fall von Phylogenie sein, der Ontogenie wiederholt, auf jeden Fall kein in Mißkredit geratener Begriff, sondern eine Geschichte, welche Evolution wiederholt. Oder vielmehr nachahmt, soweit es im Milieu des Mars möglich ist. Oder sogar leitet. Geschichte, die Evolution lenkt. Das war ein erschreckender Gedanke.

Whitebook ging mit viel Spürsinn an die Aufgabe.

Zum Beispiel hatte er preatophytische Flechtenriffe gezogen, welche die Salze aufbauten, die sie in eine feinporige Kristallstruktur einbauten, so daß die resultierenden Pflanzen olivfarbene oder dunkelgrüne Massen halbkristalliner Blöcke waren. Wenn man durch einen Fleck von ihnen ging, war es, als ob man durch ein liliputanisches Gartenlabyrinth ginge, das zerdrückt, verlassen und halb von Sand bedeckt war. Die individuellen Blöcke der Pflanzen waren zerbrochen oder gespalten und sahen geradezu von einer Krankheit befallen aus, die Pflanzen zu versteinern schien, während sie noch lebten und einen Existenzkampf führen mußten im Innern von zerbrochenen Schichten aus Malachit und Jade. Seltsam aussehend, aber sehr erfolgreich. Sax fand, daß eine ganze Anzahl dieser Flechten auf dem Grat der westlichen Moräne wuchs und in dem trockneren Regolith dahinter.

Er verbrachte einige Vormittage mit der Suche danach, und als er eines Morgens beim Überqueren des Grats über den Gletscher zurückblickte, sah er, wie sich ein sandiger Wirbelwind über dem Eis drehte, ein funkelnder kleiner rostfarbener Tornado, der sich stromabwärts bewegte. Gleich danach wurde er von einem starken Wind mit Böen von mindestens hundert und dann sogar hundertfünfzig Kilometern in der Stunde getroffen. Sax duckte sich schließlich hinter einem Flechtenriff und hob die Hand, um die Windgeschwindigkeit zu schätzen. Es war schwer, eine genaue Angabe zu versuchen, weil die dichter werdende Atmosphäre die Kraft der Winde verstärkt hatte, so daß sie kräftiger schienen und schneller, als sie in Wirklichkeit waren. Alle Schätzungen aus den Eindrücken aus den Tagen in Underhill lagen jetzt weit daneben. Die Böen, die ihn jetzt trafen, könnten sogar nur achtzig Kilometer in der Stunde langsam sein. Aber sie waren voller Sand, der gegen sein Visier prallte und die Sicht auf etwa hundert Meter verringerte. Nachdem er eine Stunde lang darauf gewartet hatte, daß der Sandsturm nachließ, gab er es auf und kehrte zur Station zurück. Er überschritt den Gletscher, indem er sich sehr vorsichtig von einer Flagge zur nächsten bewegte, um nicht die Spur zu verlieren. Das war wichtig, wenn man gefährliche Stellen mit Spalten vermeiden wollte.

Einmal über das Eis gelangt, kehrte Sax schnell zur Station zurück und dachte über den kleinen Tornado nach, der die Ankunft des Windes verkündet hatte. Das Wetter war merkwürdig. Drinnen rief er den meteorologischen Kanal und ging alle Information über das Wetter des Tages durch. Dann betrachtete er ein Satellitenfoto der Gegend. Eine Zyklonzelle kam von Tharsis herunter auf sie zu. Bei der dichter werdenden Luft waren die von Tharsis kommenden Winde wirklich kräftig. Sax fürchtete, daß der Buckel immer ein Ankerpunkt in der Klimatologie des Mars bleiben würde. Während der meisten Zeit würde sich der Strahlstrom der nördlichen Hemisphäre um sein Nordende herumwinden, wie es der Jetstrom der Erde bei den Rocky Mountains tat. Aber ab und zu würden sich Luftmassen zwischen den Vulkanen über den Tharsiskamm schieben und beim Aufsteigen ihre Flüssigkeit über dem Osthang abregnen. Dann würden diese dehydrierten Massen den Osthang hinunterrasen als Mistral des Großen Mannes oder Schirokko oder Föhn mit Winden so schnell und stark, daß sie mit zunehmender Dichte der Atmosphäre zum Problem wurden. Einige Kuppelstädte auf der freien Fläche würden so sehr gefährdet sein, daß sie sich in Krater oder Canyons zurückziehen oder mindestens nach und nach ihren Kuppelbau verstärken müßten.

Während Sax darüber nachdachte, wurde das ganze Thema des Wetters so aufregend, daß er seine botanischen Studien aufgeben und sich die ganze Zeit ihm widmen wollte. In den alten Tagen hätte er das gemacht und wäre einen Monat oder ein Jahr in die Klimatologie eingetaucht, bis seine Wißbegier befriedigt wäre und er über einen Beitrag zu allen auftretenden Problemen nachgedacht hätte.

Aber das war, wie er jetzt sah, ein recht undiszipliniertes Unterfangen gewesen, das zu einer Art Schrotschußmethode und sogar einem gewissen Dilettantismus führte. Jetzt, als Stephen Lindholm und für Ciaire und Biotique tätig, mußte er die Klimakunde aufgeben mit einem sehnsüchtigen Blick auf die Satellitenfotos und ihre suggestiv wirbelnden neuen Wolkensysteme und konnte den anderen nur von dem Wirbelwind berichten und im Labor oder beim Essen erholsam über Wetter plaudern, während seine hauptsächliche Bemühung sich wieder ihrem kleinen Ökosystem zuwandte und seinen Pflanzen und wie man ihnen weiterhelfen konnte. Und als er gerade das Empfinden hatte, er würde die Besonderheiten von Arena lernen, waren diese durch seine neue Identität erzwungenen Beschränkungen gar nicht übel. Sie bedeuteten, daß er gezwungen war, sich auf eine einzige Disziplin zu konzentrieren in einer Weise wie nie nach seiner Arbeit, die der Promotion gefolgt war. Und es wurde ihm immer klarer, welchen Lohn die Konzentration bot. Er konnte dadurch ein besserer Wissenschaftler werden.

Am nächsten Tage zum Beispiel, als die Winde bloß frisch waren, ging er wieder hinaus und fand den Fleck mit Korallenflechten, den er untersucht hatte, als der Sandsturm ausbrach. Alle Spalten der Struktur waren mit Sand gefüllt, was den größten Teil der Zeit der Fall gewesen sein mußte. Also wischte er einen Spalt sauber und sah mit der zwanzigfachen Vergrößerung seiner Sehscheibe hinein. Die Wände der Spalten waren mit sehr feinen Wimpern bedeckt, ähnlich den winzigen Härchen auf exponierten Blättern des alpinen Fingerkrauts. Es bestand offenbar keine Notwendigkeit, diese schon gut versteckten Flächen zu schützen.