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Während Sax mit taub gewordenen Fingern in dem Schnee wühlte, fand er das Milieu darunter faszinierend, besonders die Anpassungen an das spektral blau gefilterte Licht, das durch drei Meter Schnee drang — wieder ein Beispiel für Rayleighstreuung. Er hätte diese Winterwelt gern alle sechs Monate der Saison selbst studiert. Es gefiel ihm unter den niedrigen dunklen Wolkenwellen auf der weißen Fläche des beschneiten Gletschers, wenn er sich gegen den Wind stemmte und durch Driften stapfte. Aber Claire wollte, daß er nach Burroughs zurückkehrte und in den dortigen Labors an einer Tundra-Tamariske arbeitete, mit der sie unter simulierten Freiland-Bedingungen kurz vor dem Erfolg standen. Und Phyllis und der Rest der Gruppe von Armscor und der Übergangsbehörde gingen auch zurück. So überließen sie eines Tages die Station einer kleinen Mannschaft von Forschern und Gärtnern, bestiegen eine Wagenkarawane und fuhren zusammen nach Süden.

Sax hatte gemurrt, als er hörte, daß Phyllis und ihre Gruppe mit ihnen zurückkehren würden. Er hatte gehofft, daß bloße physische Trennung die Beziehung mit Phyllis beenden und ihn von diesem kontrollierenden Auge entfernen würde. Da sie aber beide gemeinsam zurückgingen, sah es so aus, als sollte irgendeine Maßnahme ergriffen werden. Er müßte also Schluß machen, wenn er ein Ende wollte. Und das tat er auch. Die ganze Idee eines Verhältnisses mit ihr war von Anfang an schlecht gewesen. Reden über die Flut des Unerklärlichen! Aber die Flut war vorbei, und ihm blieb die Gesellschaft einer Person, die bestenfalls aufreizend war und schlimmstenfalls gefährlich. Und natürlich war es kein angenehmer Gedanke, daß er die ganze Zeit in falscher Überzeugung gehandelt hatte. Kein Schritt auf dem Weg war ihm mehr als nur unbedeutend erschienen, aber alle zusammen ergaben etwas ziemlich Monströses.

Als daher an ihrem ersten Abend in Burroughs sein Armband piepte und Phyllis erschien, um ihn zum Dinner herauszubitten, sagte er zu, beendete den Anruf und knurrte mürrisch vor sich hin. Es würde ungemütlich werden.

Sie gingen aus in ein Patiorestaurant, das Phyllis auf dem Ellis-Hügel kannte, westlich von Hunt Mesa. Auf Phyllis’ Wunsch hin erhielten sie einen Ecktisch mit Blick auf den hohen Distrikt zwischen Ellis und Table Mountain, wo die Haine von Princess Park von neuen Häusern umgeben waren. Gegenüber dem Park hatte Table Mountain so gläserne Wände, daß er wie ein riesiges Hotel aussah. Und die entfernteren Mesas waren nicht weniger glänzend.

Kellner und Kellnerinnen brachten eine Karaffe mit Wein und das Essen. Dadurch wurde das Geplapper von Phyllis unterbrochen, in dem es zumeist über die Neukonstruktion auf Tharsis ging. Sie schien aber sehr gern mit den Kellnern und Kellnerinnen zu plaudern.

Sie signierte Servietten für sie und fragte, woher sie kämen, wie lange sie schon auf dem Mars wären und so weiter. Sax aß ruhig und beobachtete Phyllis sowie Burroughs. Er wartete darauf, daß das Mahl ein Ende nehmen würde. Es schien stundenlang zu dauern.

Aber endlich waren sie fertig und fuhren mit dem Aufzug zum Talboden hinunter. Der Aufzug brachte Erinnerungen an ihre erste gemeinsame Nacht zurück, was Sax wirklich unangenehm war. Vielleicht fühlte Phyllis ähnlich, denn sie rückte in die andere Seite der Kabine, und die lange Fahrt nach unten verging in Schweigen.

Und dann auf dem Rasen des Boulevards küßte sie ihn flüchtig auf die Wange, drückte ihn kurz fest an sich und sagte: »Stephen, es war ein schöner Abend und auch eine schöne Zeit draußen in Arena. Ich werde nie unser kleines Abenteuer unter dem Gletscher vergessen. Aber jetzt muß ich wieder zurück nach Sheffield und mich mit allem beschäftigen, das sich da anhäuft, weißt du. Ich hoffe, du wirst mich besuchen kommen, wenn du einmal da oben bist.«

Sax bemühte sich, seine Miene zu beherrschen, und suchte sich vorzustellen, wie Stephen fühlen und was er sagen würde. Phyllis war eine eitle Frau, und es war möglich, daß sie die ganze Affäre schneller vergessen würde, wenn sie es vermied, an die Verletzung zu denken, die sie jemandem zugefügt hatte, indem sie ihn hatte fallenlassen, anstatt darüber zu grübeln, warum er so erleichtert gewirkt hatte. Also versuchte Sax, die Stimme der Minderheit in seinem Innern zu lokalisieren, die über eine solche Behandlung gekränkt war. Er spannte seine Mundwinkel und schaute zur Seite. Er sagte bloß: »Ah!«

Phyllis lachte wie ein Mädchen und nahm ihn zärtlich in die Arme. Sie mahnte ihn: »Mach schon! Es hat doch Spaß gemacht, nicht wahr? Und wir werden uns wiedersehen, wenn ich Burroughs besuche oder du einmal nach Sheffield kommst. Inzwischen — was können wir sonst tun? Sei nicht traurig!«

Sax zuckte die Achseln. Das war so einleuchtend, daß man sich kaum vorstellen konnte, daß niemand außer dem hartgesottensten Liebhaber etwas dagegen haben würde; und er hatte nie vorgegeben, ein solcher zu sein. Schließlich waren sie doch beide über hundert. »Ich weiß«, sagte er mit einem nervösen reuigen Lächeln. »Ich bin nur traurig, daß die Zeit gekommen ist.«

»Ich weiß.« Sie küßte ihn noch einmal. »Ich auch. Aber wir werden uns wieder begegnen, und dann werden wir sehen.«

Er nickte und schaute wieder nach unten. Wieder wurden ihm die Schwierigkeiten bewußt, mit denen Schauspieler konfrontiert werden. Was sollte man tun?

Aber mit einem schnellen Lebewohl war sie weg. Sax sagte den Abschied mit einem raschen Blick über die Schulter.

Er ging über den Großen Böschungsboulevard auf Hunt Mesa zu. Das wär’s also gewesen. Gewiß leichter, als er erwartet hatte. Tatsächlich sogar höchst bequem. Aber ein Teil von ihm war immer noch beunruhigt. Er blickte auf sein Spiegelbild in den Schaufenstern, an denen er in den unteren Stockwerken von Hunt vorbeikam. Ein schlampiger alter Kauz? Hübsch? Nun, was immer das bedeutete. Hübsch für manche Frauen, manchmal. Von einer aufgegriffen und einige Wochen als Bettpartner benutzt, dann beiseite gestoßen, wenn es Zeit war, weiterzuziehen. Wahrscheinlich war das im Laufe der Jahre so vielen passiert, ohne Zweifel öfters Frauen als Männern in Anbetracht der Ungleichheit von Kultur und Fortpflanzung. Aber jetzt, wo Fortpflanzung nicht mehr in Frage kam, und die Kultur in Scherben lag… Sie war wirklich ziemlich schrecklich. Aber hinwiederum hatte er kein Recht, sich zu beklagen. Er hatte ihr bedingungslos zugestimmt und sie von Anfang an belogen, nicht nur über seine Identität, sondern auch über seine Gefühle. Und jetzt war er frei davon und von allem, was damit zu tun hatte. Und von allem, das es bedrohte.

Er fühlte eine Art Stimmungsaufschwung durch Stickoxydul und ging über die große Treppe in der Vorhalle von Hunt zu seiner Etage und in sein kleines Apartment.

Spät in diesem Winter, während ein paar Wochen im Februar, fand in Burroughs die alljährliche Konferenz über das Terraformungsprojekt statt. Es war die zehnte derartige Konferenz, von den Veranstaltern als ›M-38‹ bezeichnet, und es ging über neue Ergebnisse und neue Richtlinien. Es würden Wissenschaftler vom ganzen Mars teilnehmen, insgesamt fast dreitausend Personen. Die Zusammenkünfte fanden in dem großen Konferenzzentrum in Table Mountain statt, während die teilnehmenden Forscher in Hotels der ganzen Stadt wohnten.

Jedermann in Biotique Burroughs ging zu den Versammlungen. Wer Experimente laufen hatte, um die er sich kümmern mußte, lief zwischendurch nach Hunt Mesa. Sax war verständlicherweise an jedem Aspekt der Konferenz höchst interessiert und ging an ihrem ersten Morgen zu Canal Park, kaufte sich Kaffee und Gebäck und ging dann zum Konferenzzentrum hinauf, wo er fast der erste am Tisch für die Einschreibung war. Er empfing sein Päckchen an Programm information, steckte sich sein Namensschild an die Jacke und ging durch die Gänge außerhalb der Konferenzräume, nippte an seinem Kaffee, las das Programm dieses Morgens und schaute auf die an bestimmten Stellen der Gänge angeschlagenen Poster.