Выбрать главу

Hier, und zum ersten Mal seit mehr Jahren, als an die er sich erinnern konnte, fühlte Sax sich bestens in seinem Element. Wissenschaftliche Konferenzen waren zu allen Zeiten und an allen Orten immer gleich, sogar bis hin zu der Weise, wie sich die Leute anzogen. Die Männer in konservativen, etwas schäbigen professoralen Jacken, alle in braun getönten Farben, und die Frauen, vielleicht dreißig Prozent von allen, in ungewöhnlich monotonen und strengen Businesskostümen. Viele Leute trugen noch Brillen, obwohl es kaum noch ein Sehproblem gab, das nicht chirurgisch behoben werden konnte. Die meisten hatten ihre Programmpäckchen bei sich, und alle hatten ihr Namensschild auf dem Revers. In den verdunkelten Konferenzräumen kam Sax an Vorträgen und Diskussionen vorbei, die gerade anfingen; und auch hier war alles so wie immer. Redner standen vor Videoschirmen, die ihre Graphiken, Tabellen, Molekularstrukturen und so weiter zeigten. Sie sprachen in gestelzten Kadenzen, die zeitlich auf den Rhythmus ihrer Bilder abgestimmt waren, und benutzten einen Zeigestock, um auf die wichtigen Teile überfüllter Diagramme hinzuweisen … Die Zuhörer, bestehend aus den dreißig oder vierzig Kollegen, die am meisten an der dargestellten Arbeit interessiert waren, saßen in Stuhlreihen nahe bei ihren Freunden, lauschten aufmerksam und bereiteten Fragen vor, die sie nach Ende der Darbietung stellen wollten.

Für Menschen, die diese Welt liebten, war das ein sehr erfreulicher Anblick. Sax steckte den Kopf in mehrere Räume, aber keine der Ausführungen interessierte ihn so, daß er teilnehmen wollte. Bald befand er sich in einem Flur voller Poster und schnupperte weiter.

›Auflösung polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe in monomeren und gemischten surfaktanten Medien. ‹ ›Senkung nach dem Pumpen in der südlichen Vastitas Borealis.‹ ›Epithelischer Widerstand gegen gerontologische Behandlung im dritten Stadium. ‹ ›Auftreten radialer gebrochener Wasserlager in den Rinnen von Aufprallbecken.‹ ›Schwachstrom-Elektroporation langer Vektorplasmide. ‹ ›Katabatische Winde in Echus Chasma.‹ ›Basisgenom für neue Kaktusarten.‹ ›Wiederherstellung der Oberflächen von Marsgebirgen in der Region von Amenthes und Tyrrhena.‹ › Ablagerung der Natriumnitratschichten von Nilosyrtis.‹

›Ein Verfahren zur Bestimmung beruflicher Exposition durch Chlorophenate mittels Analyse kontaminierterArbeitskleidung. ‹

Wie immer boten die Poster ein entzückendes Sammelsurium. Aus verschiedenen Gründen gab es mehr Poster als Vorträge — oft die Arbeit graduierter Studenten an der Universität in Sabishii oder über Themen am Rande der Konferenz. Aber es gab da alles und war immer sehr interessant zu schmökern. Und es hatte bei dieser Konferenz keinen ernsten Versuch gegeben, die Poster in den Gängen thematisch zu ordnen, so daß ›Verteilung von Rhizocarpon geographicum in den Ostcharitumbergen‹, was das Schicksal einer Krustenflechte in großen Höhen behandelte, die bis zu viertausend Jahren leben konnte, sich gegenüber einer ziemlich wichtigen meteorologischen Studie befand über ›Entstehung von Graupelschnee in Salzpartikeln, die in Cirrus-, Altostratus- und Altocumuluswolken in zyklonalen Wirbeln in Nordtharsis gefunden wurden‹.

Sax interessiere sich für alles, aber am längsten beschäftigten ihn die Poster, welche Aspekte des Terraformens beschrieben, die er initiiert hatte oder bei denen seine Hand im Spiel gewesen war. Eines davon, Abschätzung der kumulativen Wärme, die von den Underhill-Windmühlen freigesetzt wird‹, hielt ihn auf. Er las es zweimal durch und empfand dabei eine leichte Entmutigung.

Die mittlere Temperatur der Marsoberfläche hatte vor ihrer Ankunft etwa 220 K betragen; und es war ein allgemein angenommenes Ziel, sie auf etwas über den Gefrierpunkt des Wassers zu heben, der bei 273 K liegt.

Die Steigerung der Oberflächentemperatur eines ganzen Planeten um mehr als 53 K war eine sehr beängstigende Unternehmung, die, wie Sax ausgerechnet hatte, langfristige Zuführung von nicht weniger als 3,5 x 106 Joule pro Quadratzentimeter der Marsoberfläche erforderte. Sax hatte bei seinen Modellen immer einen Mittelwert von ungefähr 274 K angestrebt, weil damit der Planet warm genug sein würde, um einen großen Teil des Jahres eine aktive Hydrosphäre zu haben und damit eine Biosphäre. Viele Leute befürworteten eine noch stärkere Erwärmung, aber Sax sah das Bedürfnis dafür nicht ein.

Auf jeden Fall wurden alle Verfahren, dem System Wärme zuzuführen, danach beurteilt, wie stark sie die globale mittlere Temperatur gesteigert hatten. Und dieses Poster, das die Wirkung von Saxens kleinen Windmühlenerhitzern prüfte, schätzte, daß diese während mehr als sieben Jahrzehnten nicht mehr als 0,05 K beigetragen hätten. Und er konnte nichts Falsches in den verschiedenen Annahmen und Berechnungen des Posters finden. Natürlich war Erwärmung nicht der einzige Grund gewesen, weshalb er die Windmühlen verteilt hatte. Er hatte auch Wärme und Schutz für einen früh manipulierten Kryptoendolithen schaffen wollen, den er auf der Oberfläche testen wollte. Aber alle diese Organismen waren kurz nach ihrer Freisetzung gestorben oder bald danach. Somit konnte man das Projekt nicht gerade zu seinen besseren Bemühungen zählen.

Er ging weiter. ›Anwendung von chemischen niveaumanipulierten Daten bei hydrochemischem Modellieren: Dao Vallis Watershed Hellas.‹ ›Erhöhung von CO2-Toleranz bei Bienen. ‹ ›Epilimnetische Säuberung von Comptonausfall in den glazialen Seen von Marineris.‹ Beseitigung von Grus aus Reaktionsspurschienen. ‹ ›Globale Erwärmung als Folge freigesetzter Karbone.‹

Dies ließ ihn wieder innehalten. Das Poster war die Arbeit des Atmosphärenchemikers S. Simmon und einiger seiner Studenten. Seine Lektüre bewirkte, daß Sax sich erheblich besser fühlte. Als er 2042 zum Chef des Terraformungsprojekts gemacht wurde, hatte er sofort den Bau von Fabriken zur Produktion und Freisetzung in die Atmosphäre von einer besonderen Gewächshausgasmischung veranlaßt, die hauptsächlich aus Karbontetrafluorid, Hexafluoräthan und Schwefelhexafluorid bestand, neben etwas Methan und Stickoxid. Das Poster bezeichnete dieses Gemisch als ›russischenCocktail‹, wie sein Echus-Overlook-Team es in den alten Tagen genannt hatte. Die Halokarbone darin waren starke Gewächshausgase; und das Beste an ihnen war, daß sie nach außen gehende planetare Strahlung im Bereich von acht bis zwölf Mikron absorbierten, in dem sogenannten ›Fenster‹, wo weder Wasserdampf noch Kohlendioxid viel absorbierende Kraft besaßen. Dieses Fenster hatte, wenn es offen war, phantastische Wärmemengen wieder in den Weltraum entweichen lassen; und Sax hatte schon früh den Versuch befürwortet, es zu schließen, indem er genug von dem Cocktail freiließ, daß er zehn oder zwanzig Teile pro Million der Atmosphäre ausmachen würde, gemäß dem alten klassischen Modell von McKay et al. Darum wurden von 2042 an große Anstrengungen unternommen, automatisierte Produktionsstätten für Kohlenstoff, Schwefel und Fluorit zu errichten, deren Ertrag in die Atmosphäre entlassen wurde. Die hinausgepumpten Mengen waren jedes Jahr gesteigert worden, auch nachdem die zwanzig Teile pro Million erreicht waren, weil man diese Proportion in der immer dichter werdenden Atmosphäre beibehalten wollte und auch weil man die ständige Zerstörung von Halokarbonen durch UV-Strahlung ausgleichen mußte.

Und wie die Tabellen in dem Simmon-Poster verdeutlichten, hatten die Fabriken über 2061 und in den folgenden Dekaden weiter gearbeitet. Sie hielten das Niveau bei etwa sechsundzwanzig Teilen pro Million. Das Poster folgerte, daß diese Einleitung die Atmosphäre um rund 12 K erwärmt hätte.

Sax ging weiter mit einem kleinen Lächeln im Gesicht. Zwölf Grad! Nun, das war etwas — mehr als zwanzig Prozent der ganzen Wärme, die sie brauchten. Und das alles durch die frühe und ständige Freisetzung eines hübsch konzentrierten Gascocktails. Das war wirklich elegant. Einfache Physik hatte etwas so Tröstliches an sich …