Aber inzwischen war es zehn Uhr, und H. X. Borazjani, einer der besten Atmosphärenphysiker auf dem Mars, begann eine grundsätzliche Rede über die globale Erwärmung. Offenbar hatte er vor, seine Berechnungen über die Beiträge aller Versuche zur Erwärmung kundzutun, die bis 2100 gemacht worden waren, dem Jahr, ehe die Soletta in Tätigkeit getreten war. Nach der Beurteilung individueller Beiträge versuchte er herauszubekommen, ob irgendwelche synergistische Effekte abliefen. Sein Vortrag war darum einer der entscheidenden Beiträge zur Konferenz, da die Arbeit so vieler anderer Leute darin erwähnt und beurteilt werden würde.
Der Vortrag fand in einem der größten Konferenzräume statt, und der Saal war bei dieser Gelegenheit mit einigen tausend Personen dicht besetzt. Sax schlüpfte gerade zu Beginn hinein und stand im Hintergrund hinter der letzten Sitzreihe.
Borazjani war ein kleiner Mann mit dunkler Haut und weißem Haar, der mit einem Zeigestock vor einem großen Schirm sprach, der jetzt Videobilder der verschiedenen Erwärmungsmethoden zeigte, die man versucht hatte. Schwarzer Staub und Flechten an den Polen, die orbitalen Spiegel, die vom Erdmond herübergesegelt waren, die Moholes, die Fabriken für Gewächshausgase, die Eisasteroiden, welche in der Atmosphäre verbrannten, die denitrifizierenden Bakterien und alle übrigen Biota.
Sax hatte in den 2040er und 50er Jahren jeden einzelnen dieser Prozesse initiiert und betrachtete das Video mit noch mehr Interesse als das übrige Auditorium. Die einzige naheliegende Strategie zur Erwärmung, die er in den frühen Jahren vermieden hatte, war die massive Freisetzung von Kohlendioxid in die Atmosphäre. Deren Befürworter hatten einen wilden Gewächshauseffekt auslösen und eine CO2-Atmosphäre bis hin zu 2 Bar schaffen wollen mit dem Argument, daß dadurch der Planet mächtig aufgeheizt werden und UV-Strahlung abgehalten und ein rasantes Pflanzenwachstum die Folge sein würde. Das war ohne Zweifel alles wahr, aber für Menschen und andere Tiere würde es giftig sein; und obwohl Befürworter des Planes von einer zweiten Phase sprachen, die das Kohlendioxid aus der Atmosphäre hinausfegen und durch ein atembares Gas ersetzen würde, waren ihre Methoden ebenso vage wie ihre Zeitskalen, die von einhundert bis zu zwanzigtausend Jahren schwankten. Und der Himmel würde während dieser ganzen Zeit milchweiß sein.
Sax hielt das nicht für eine elegante Lösung des Problems. Er bevorzugte sein Einphasenmodell, das direkt auf das letzte Ziel hinstrebte. Es bedeutete, daß sie etwas knapp an Wärme gewesen waren; aber Sax hielt diesen Nachteil der Mühe für wert. Und er hatte sein Bestes getan, um Ersatz für die Wärme zu finden, die das Kohlendioxid zusätzlich erbracht haben würde, wie zum Beispiel die Moholes. Leider lag Borazjanis Abschätzung der von den Moholes gelieferten Wärme recht niedrig. Sie hatten alles in allem vielleicht 5 K zur mittleren Temperatur beigetragen. Nun, da konnte man nichts machen, dachte Sax, als er in seinen Computer Notizen eingab. Die einzige gute Wärmequelle war die Sonne. Darum seine aggressive Einführung der orbitalen Sonnenspiegel, die jährlich wuchsen, indem Sonnensegler von Luna kamen, wo ein sehr leistungsfähiger Produktionsprozeß sie aus lunarem Aluminium herstellte. Diese Flotten waren, wie Borazjani sagte, so groß geworden, daß sie inzwischen mehr als 8 K zur mittleren Temperatur beitrugen.
Die reduzierte Albedo, eine Bemühung, die nie sehr streng verfolgt worden war, hatte etwas mehr als 2 Grad hinzugefügt. Die etwa zweihundert Kernreaktoren rings um den Planeten hatten weitere 1,5 Grad geliefert.
Dann kam Borazjani auf den Cocktail aus Gewächshausgasen zu sprechen. Aber anstatt die Zahl von 12 K aus Simmons Poster zu benutzen, schätzte er sie auf 14 K und zitierte einen zwanzig Jahre alten Aufsatz von J. Watkins, der diese Annahme stützte. Sax hatte Berkina in der Reihe hinter ihm sitzen sehen. Jetzt rutschte er hinüber und beugte sich nach unten, bis sein Mund an Berkinas Ohr lag. Er flüsterte: »Warum benutzt er die Arbeit von Simmon?«
Berkina grinste und flüsterte zurück: »Vor ein paar Jahren hat Simmon einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er einen sehr komplexen Wert für die Wechselwirkung von UV mit Halokarbonen von Borazjani angenommen hatte. Er hat ihn leicht verändert und das jenes erste Mal Borazjani zugeschrieben. Aber als er ihn später benutzte, hat er nur seinen eigenen Artikel zitiert. Das machte Borazjani wütend, und er denkt, daß Simmons Aufsätze über dieses Thema ohnehin von Watkins abgeleitet sind. Also geht er immer, wenn er über Erwärmung spricht, auf Watkins’ Werk zurück und tut so, als ob es das Zeug von Simmon überhaupt nicht gäbe.«
»Ah!« sagte Sax. Er richtete sich auf und lächelte wider Willen über Borazjanis subtile, aber vielsagende Rache. Und Simmon saß mit einem mürrischen Gesicht im Auditorium.
Inzwischen war Borazjani zu den erwärmenden Wirkungen von Wasserdampf und Kohlendioxid übergegangen, welche in die Atmosphäre freigesetzt wurden. Er schätzte, daß das insgesamt weitere 10 K beitrüge. Er sagte: »Einen Teil davon könnte man als synergistischen Effekt bezeichnen, da die Desorption von CO2 hauptsächlich durch andere Erwärmung zustande kommt. Aber ich glaube nicht, daß wir anderweitig Synergie als einen nennenswerten Faktor bezeichnen können. Die Summe der von allen einzelnen Verfahren erzielten Erwärmung paßt sehr gut zu den Temperaturen, die ringsum vom Planeten gemeldet werden.«
Der Videoschirm zeigte seine letzte Tabelle, und Sax machte sich eine vereinfachte Notiz davon:
Von Borazjani am 14. Februar 2102:
Halokarbone: 14
H2O und CO2: 10
Moholes: 5
Vor-Soletta-Spiegeclass="underline" 5
Reduzierte Albedo: 2
Kernreaktoren: 1,5
Borazjani hatte die Windmühlenerhitzer nicht einmal berücksichtigt. Sax tat es in seiner Notiz. Alles in allem kam er auf 37,55 K, ein sehr respektabler Schritt, wie er meinte, auf ihr Ziel einer Zunahme um 53 K zu. Sie arbeiteten erst seit sechzig Jahren daran; und schon erreichten die meisten Sommertage Temperaturen über dem Gefrierpunkt, so daß arktisches und alpines Pflanzenleben gedieh, wie er es im Gebiet des Arenagletschers gesehen hatte. Und das alles noch vor Einführung der Soletta, welche die Sonneneinstrahlung um zwanzig Prozent steigerte.
Inzwischen hatte die Frageperiode begonnen, und jemand kam auf die Soletta zu sprechen. Er fragte Borazjani, ob sie notwendig wäre, da der Prozeß ja auch mit anderen Methoden zu schaffen wäre.
Borazjani zuckte die Achseln genau so, wie Sax es getan hätte. Er entgegnete: »Was heißt notwendig? Das hängt davon ab, wie warm man es haben will. Nach dem von Russell in Echus Overlook aufgestellten Standardmodell ist es wichtig, die Kohlendioxidniveaus so niedrig wie möglich zu halten. Wenn wir das tun, müssen andere Verfahren eingesetzt werden, um den Verlust an Wärme auszugleichen, den das CO2 erbracht hätte. Man könnte sich die Soletta denken als einen Ausgleich für die endliche Reduktion von Kohlendioxid auf atembare Niveaus.«
Sax nickte widerwillig.
Dann stand jemand auf und sagte: »Meinen Sie nicht, daß das Standardmodell inadäquat ist angesichts der Menge an Stickstoff, von der wir jetzt wissen, daß wir sie haben?«
»Nicht, wenn der ganze Stickstoff in die Atmosphäre gebracht wird.«
Aber das war schwerlich zu schaffen, wie der Fragende rasch darlegte. Ein erheblicher Prozentsatz vom Ganzen würde im Boden bleiben und würde dort auch wirklich für Pflanzen gebraucht. Also bestand ein Mangel an Stickstoff, wie Sax immer gewußt hatte. Und wenn sie den prozentualen Anteil an Kohlendioxid in der Luft so niedrig wie überhaupt möglich hielten, wäre der Anteil von Sauerstoff in der Luft gefährlich hoch wegen seiner Feuergefährlichkeit. Jemand stand auf und sagte, es wäre möglich, den Mangel an Stickstoff durch Einführung anderer träger Gase, hauptsächlich Argon, auszugleichen. Sax spitzte den Mund. Er hatte seit 2042 Argon in die Atmosphäre eingeführt, da er dies Problem hatte kommen sehen; und es gab auch erhebliche Mengen von Argon im Regolith. Aber die waren nicht leicht freizusetzen, wie seine Ingenieure herausgefunden hatten und andere Leute jetzt betonten. Nein, die Balance von Gasen in der Atmosphäre entwickelte sich zu einem echten Problem.