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Aber die unmittelbare Ursache? Nacht für Nacht durchstöberte er Videos der 2040er und 2050er nach Spuren von Mustern. Schließlich kam er zu der Entscheidung, daß es die Langlebigkeitsbehandlung gewesen war, welche das Faß zum Überlaufen gebracht hatte. Während der 2050er hatte sich die Behandlung durch die reichen Länder ausgebreitet und damit die krasse Ungleichheit in der Welt wie einen Farbfleck unter dem Mikroskop illustriert. Und als sich die Behandlung ausbreitete, war die Lage immer gespannter geworden und auf der Leiter von Kahns Krisen emporgeklettert.

Die unmittelbare Ursache der Explosion von ’61 schien, seltsam genug, ein Gerangel um den Weltraumaufzug zu sein. Der Aufzug war von Praxis betrieben, aber nach Aufnahme seiner eigentlichen Tätigkeit im Februar 2061 von Subarashii in einem Akt offener feindlicher Übernahme okkupiert worden. Subarashii war damals eine Konglomeration der meisten japanischen Firmen gewesen, die nicht in Mitsubishi aufgegangen waren, und eine aufsteigende Macht, sehr aggressiv und ehrgeizig. Nach Erwerb des Aufzugs — einer von UNOMA gebilligten Übernahme — hatte Subarashii sofort die Einwanderungsquoten erhöht, wodurch die Lage auf dem Mars kritisch wurde. Gleichzeitig hatten die Konkurrenten von Subarashii auf der Erde sich gegen das gewandt, was praktisch eine ökonomische Eroberung des Mars war. Und obwohl Praxis seine Bedenken auf legale Aktionen gegen die unglückliche UN beschränkt hatte, war eine von Subarashiis Gefälligkeitsflaggen, nämlich Malaysia, von Singapore angegriffen worden, das eine Basis für Shellalco darstellte. Im April 2061 war schon ein großer Teil von Südasien im Krieg. Bei den meisten Kämpfen handelte es sich um schon lange bestehende Konflikte wie Kambodscha gegen Vietnam oder Pakistan gegen Indien. Aber manche waren Angriffe auf Gefälligkeitsflaggen wie in Birma und Bangladesch. Ereignisse in der Region hatten die Leiter der Eskalation mit tödlicher Geschwindigkeit erklommen, als alte Feindschaften zu den neuen transnationalen Konflikten hinzukamen. Und im Juni hatte sich der Krieg über die ganze Erde ausgedehnt und dann auf den Mars übergegriffen. Bis Oktober waren fünfzig Millionen Menschen gestorben, und weitere fünfzig Millionen sollten unter den Nachwirkungen sterben, da viele Basisdienste unterbrochen oder zerstört waren und eine frisch ausgebrochene Malaria ohne wirksame Vorbeugung oder Heilung blieb.

Sax schien das zu genügen, um trotz der Kürze die Bezeichnung als ›Weltkrieg‹ zu rechtfertigen. Es war, wie er folgerte, eine tödliche synergistische Kombination von Kämpfen unter den Transnationalen gewesen und von Revolutionen einer Fülle entrechteter Gruppen gegen die transnationale Ordnung. Aber die chaotische Gewalttätigkeit hatte die Transnationalen überzeugt, ihre Dispute zu lösen oder mindestens darzulegen. Und alle Revolutionen hatten versagt, besonders nachdem die Militärs der Gruppe der Sieben intervenierten, um die Transnationalen vor Zerstückelung in ihren Gefälligkeitsflaggen zu bewahren. Alle die gigantischen militärisch industriellen Nationen standen schließlich auf der gleichen Seite, was half, es zu einem sehr kurzen Weltkrieg zu machen gegenüber den beiden vorherigen. Kurz, aber schrecklich. 2061 waren ungefähr ebenso viele Menschen gestorben wie in den beiden anderen Weltkriegen zusammengenommen.

Der Mars war in diesem Dritten Weltkrieg nur ein Nebenschauplatz gewesen, eine Kampagne, in der einige Transnationale gegen eine flammende, aber unorganisierte Revolte überreagiert hatten. Als es vorbei war, befand sich der Mars fest im Griff der großen Transnationalen, mit dem Segen der Gruppe der Sieben und der anderen Klienten der Transnationalen. Und die Erde war weitergetaumelt, um hundert Millionen Menschen weniger.

Aber sonst hatte sich nichts geändert. Keines der Probleme war angegangen worden. Also könnte alles wieder passieren. Das war durchaus möglich. Man könnte sogar sagen, daß es wahrscheinlich wäre.

Sax schlief weiterhin schlecht. Und obwohl er die Tage in den gewöhnlichen Routinen von Arbeit und Gewohnheit verbrachte, schien es ihm, daß er einige Dinge nun anders sah als vor der Konferenz. Ein weiterer Beweis, wie er mürrisch feststellte, für die Vorstellung einer Vision als paradigmatisches Konstrukt. Aber jetzt war es so deutlich, daß die Transnationalen überall waren. Hinsichtlich Autorität gab es kaum etwas anderes. Burroughs war eine Stadt der Transnationalen, und nach dem, was Phyllis gesagt hatte, traf das auch für Sheffield zu. Es gab keine nationalen wissenschaftlichen Teams, die in den Jahren vor der Konferenz fruchtbar gewesen wären. Und mit den Ersten Hundert — tot oder versteckt — war der Mars als Forschungsobjekt erloschen. Was es an Forschung gab, diente dem Projekt der Terraformung; er hatte gesehen, was für eine Wissenschaft da entstand. Nein, es gab in diesen Tagen nur noch angewandte Forschung.

Und als er sich umsah, gab es nur noch sehr wenige andere Anzeichen der alten Nationalstaaten. Die neuen machten den Eindruck, größtenteils bankrott zu sein, sogar die Gruppe der Sieben. Und die Transnationalen waren die Gläubiger, wenn überhaupt jemand. Einige Berichte legten Sax den Gedanken nahe, daß die Transnationalen in gewisser Weise sogar kleinere Länder als Kapitalanlage betrachteten in einem neuen Arrangement, das weit über die alten Kontrakte der Gefälligkeitsflaggen hinausging.

Ein Beispiel für dieses neue Arrangement in etwas anderer Form war der Mars selbst, der effektiv im Besitz der großen Transnationalen zu sein schien. Und jetzt, da es wieder einen Aufzug gab, hatten sich der Export von Metallen und der Import von Menschen und Gütern enorm beschleunigt. Effektenkurse auf der Erde blähten sich hysterisch auf, um die Aktion zu markieren, ohne daß ein Ende abzusehen war, trotz der Tatsache, daß der Mars die Erde nur mit bestimmten Metallen in bestimmten Mengen versorgen konnte. Also war der Effektenmarkt wohl nur eine Seifenblase; und wenn er platzte, könnte alles sehr wohl wieder zusammenkrachen — oder vielleicht auch nicht. Die Ökonomie war ein höchst bizarres Gebiet, und es gab Hinweise, wonach der ganze Börsenmarkt einfach zu irreal war, um über sich hinaus Wirkung zu zeigen. Aber wer wußte, wann das geschehen würde? Sax, der durch die Straßen von Burroughs wanderte und sich die Aushänge der Börsenkurse in den Fenstern der Geschäfte ansah, behauptete bestimmt nicht, es zu wissen. Menschen waren eben nun mal keine rationalen Systeme.

Diese Grundwahrheit wurde bestätigt, als Desmond eines Abends an seiner Tür erschien. Der berühmte Cojote persönlich, der blinde Passagier, stand da ruhig und einfach im grellbunten Pullover eines Bauarbeiters, wobei diagonale Streifen von Aquamarin und Königsblau das Auge nach unten zu zitronengrünen Stiefeln eines Schutzanzuges führten. Viele Bauarbeiter in Burroughs, und es gab deren eine Menge, trugen die neuen leichten und geschmeidigen Schutzstiefel immer als eine Art modischer Aussage, und alle hatten helle Farben. Aber nur wenige erreichten die erstaunliche Qualität des fluoreszenten Grüns von Desmond.

Er grinste auf seine verrückte Art, als Sax diese Stiefel anstarrte. »Ja, sind sie nicht wunderschön? Und sehr ablenkend.«

Was auch stimmte, da seine Haarzotteln in eine weite, rot-gelb-grüne Mütze gestopft waren. Überall auf dem Mars ein ungewöhnlicher Anblick. »Komm, gehen wir einen trinken!«

Er führte Sax in eine billige Bar an der Kanalseite, die in die Flanke eines massiven entleerten Pingos eingebaut war. Die Bauarbeiter dort saßen dicht gedrängt an langen Tischen und klangen meistens australisch. An der Kanalseite selbst warf eine besonders ruppige Gruppe Eisbrocken in der Größe von Kanonenkugeln in den Kanal hinaus. Ab und zu prallte einer davon auf das Gras am anderen Ufer, was Hurragebrüll und oft eine Runde Stickoxydul für das Haus auslöste. Spaziergänger am anderen Ufer machten an dieser Stelle einen großen Bogen.