»Also belohnen wir sie, indem wir sie bestehlen.«
»Du bist derjenige gewesen, der sich angeschickt hat, für Biotique zu arbeiten. Vielleicht solltest du den Job wechseln.«
»Nein.«
»Glaubst du, daß du diese Materialien von einer der Firmen Subarashiis bekommen kannst?«
»Nein.«
»Aber von Biotique ginge das.«
»Wahrscheinlich. Aber die Sicherheit ist sehr streng.«
»Aber du könntest es machen.«
»Wahrscheinlich.« Sax dachte darüber nach. »Ich will etwas als Gegenleistung haben.«
»Ja?«
»Wirst du mich nach draußen fliegen, damit ich einen Blick auf diese Brandzone der Soletta werfen kann?«
»Sicher! Ich möchte sie selbst gern wiedersehen.«
Also verließen sie am nächsten Nachmittag Burroughs mit dem Zug und fuhren die Große Böschung hinauf. In Libya, siebzig Kilometer von Burroughs entfernt, stiegen sie aus, schlüpften in den Keller und die Tür ihres Verschlages, dann den Tunnel hinunter und hinaus auf die steinige Landschaft. In einem flachen Graben fanden sie dort einen Wagen von Desmond. Und als die Nacht kam, fuhren sie entläng der Böschung nach Osten zu einem kleinen Versteck der Roten im Rand des Du-Martheray-Kraters, nahe einem Streifen von flachem Urgestein, den die Roten als Startbahn benutzten. Desmond identifizierte Sax ihren Gästen nicht. Sie wurden in einen kleinen Hangar am Rand der Klippe geführt. Dort stiegen sie in eines der alten getarnten Flugzeuge von Desmond ein, rollten auf den Felsenstreifen und starteten schlingernd nach unten. Einmal in der Luft, flogen sie langsam durch die Nacht nach Osten.
Sie flogen einige Zeit, ohne zu sprechen. Sax sah nur dreimal Lichter auf der dunklen Seite des Planeten. Einmal war es ein Bahnhof im Krater Escalante, einmal die dünne, sich bewegende Linie eines um die Welt fahrenden Zuges, und zuletzt ein nicht identifiziertes Blinken in dem rauhen Land hinter der Großen Böschung. Sax fragte: »Was denkst du, was das ist?«
»Keine Ahnung.«
Nach einigen Minuten sagte Sax: »Ich habe Phyllis getroffen.«
»Wirklich? Hat sie dich erkannt?«
»Nein.«
Desmond lachte. »Meinst du wirklich?«
»Eine Menge alter Bekannter haben mich nicht erkannt.«
»Nun ja, aber Phyllis … Ist sie immer noch Präsidentin der Ubergangsbehörde?«
»Nein. Sie schien das sowieso nicht für einen einflußreichen Posten zu halten.«
Desmond lachte wieder. »Ein verrücktes Weib. Aber sie hat jene Gruppe auf Clarke wieder in die Zivilisation zurückgebracht. Das muß ich ihr lassen. Ich habe selbst gedacht, daß sie dahin wären.«
»Weißt du mehr darüber?«
»Nun ja, ich habe mit zwei Leuten gesprochen, die dabei waren. Das war eines Abends in der Pingo-Bar. Man konnte sie darüber gar nicht zum Schweigen bringen.«
»Ist gegen Ende ihres Fluges etwas passiert?«
»Am Ende? Na ja, da ist jemand gestorben. Ich nehme an, daß eine Frau sich die Hand zerquetscht hat, als sie Clarke evakuierten. Und Phyllis war das, was einer Ärztin am nächsten kam, und hat sich deshalb während des ganzen Flugs um sie gekümmert. Sie glaubte wohl, es zu schaffen; aber ich vermute, daß ihr etwas ausging — die beiden, die mir die Geschichte erzählt haben, haben sich darüber nicht allzu deutlich geäußert. Und der Patientin ging es immer schlechter. Phyllis rief eine Gebetsversammlung für sie ein; aber sie starb doch, ein paar Tage, ehe sie in das System der Erde eintraten.«
»Ah!« sagte Sax. »Phyllis scheint jetzt aber nicht mehr so … religiös zu sein.«
Desmond knurrte. »Das ist sie nie gewesen, wenn du mich fragst. Ihre Religion war das Geschäft. Du kannst richtige Christen besuchen wie die Leute unten in Christianopolis oder Bingen, und wirst feststellen, daß sie beim Frühstück nicht über Profite sprechen und das mit jener salbungsvollen Rechtschaffenheit bewältigen, die sie besitzen. Rechtschaffenheit — mein Gott — ist bei einer Person eine höchst unerfreuliche Eigenschaft. Du weißt doch, es muß sein wie ein auf Sand gebautes Haus? Aber die Christen der Demimonde sind nicht so. Es sind Gnostiker, Quäker, Baptisten, Baha’i, Rastafarianer, was auch immer. Die angenehmsten Menschen im Untergrund, wenn du mich fragst. Und ich habe mit allen gehandelt. So hilfreich. Und ohne Prätentionen, daß sie mit Jesus die besten Freunde sind. Sie halten eng zu Hiroko und auch den Sufis. Da unten entwickelt sich eine Art von mystischem Netzwerk.« Er kicherte. »Aber jetzt Phyllis und all diese Businessfundamentalisten — sie benutzen Religion, um Wucherei zu tarnen. Das hasse ich. Ich habe Phyllis tatsächlich nach unserer Landung nie etwas Religiöses sagen hören.«
»Hattest du, nachdem wir gelandet waren, viel Gelegenheit, Phyllis sprechen zu hören?«
Wieder ein Gelächter. »Mehr, als du dir denken könntest! Ich habe in jenen Jahren mehr gesehen als du, mein lieber Labormensch! Ich hatte überall meine kleinen Verstecke.«
Sax machte ein skeptisches Geräusch, und Desmond lachte und klopfte ihn auf die Schulter. »Wer sonst könnte dir sagen, daß du und Hiroko in den Jahren von Underhill ein Thema gewesen seid?«
»Hmm.«
»O ja, ich habe viel gesehen. Natürlich konnte man diese spezielle Beobachtung bei praktisch jedem Mann in Underhill machen und im Recht sein. Diese Hexe hat uns alle als Harem benutzt.«
»Polyandrie?«
»Zweifach, zum Teufel! Oder zwanzigfach!«
»Hmm.«
Desmond lachte ihn an.
Gleich nach der Frühdämmerung erblickten sie eine weiße Rauchwolke, die die Sterne auf einem ganzen Quadranten des Himmels verdunkelte. Einige Zeit war diese dichte Wolke die einzige Anomalie, die sie in der Landschaft erkennen konnten. Als sie dann weiterflogen und der Terminator des Planeten unter ihnen dahinglitt, erschien am Osthorizont vor ihnen ein breiter Streifen hellen Bodens. Ein orangefarbener Streifen oder Trog, der ungefähr von Nordost nach Südwest über das Land lief, verdunkelt von Rauch, der einem Abschnitt davon entströmte. Der Trog unter dem Rauch war weiß und turbulent, als ob eine kleine vulkanische Eruption auf diesen Fleck beschränkt wäre. Darüber stand ein Lichtstrahl oder eher ein Strahl aus erleuchtetem Rauch, so dicht und massiv, daß er wie eine physische Säule war, die sich direkt nach oben erstreckte und weniger deutlich wurde, als die Rauchwolke dünner und schwächer wurde und dort verschwand, wo der Rauch seine größte Höhe von rund zehntausend Metern erreichte.
Zuerst gab es kein Anzeichen von dem Ursprung dieses Strahls am Himmel. Die Luftlinse befand sich immerhin mehr als vierhundert Kilometer über ihnen. Dann glaubte Sax, etwas zu sehen wie den Geist einer Wolke, die sehr weit oben aufstieg. Vielleicht war es das, vielleicht auch nicht. Desmond war sich nicht sicher.
Aber am Fuß der Lichtsäule war die Sichtbarkeit keine Frage. Die Lichtsäule hatte eine Art biblischer Präsenz, und der geschmolzene Fels unter ihr glühte wirklich in einem sehr strahlenden Weiß. Das war, was nach 5000 K aussah, wenn sie der freien Luft ausgesetzt wurden. Desmond sagte: »Wir müssen vorsichtig sein. Wenn wir in diesen Strahl fliegen, ginge es uns wie einer Motte in einer Flamme.«
»Ich bin sicher, daß der Rauch auch sehr turbulent ist.«
»Ja. Ich werde auf seiner Luvseite bleiben.«
Unten, wo die weiße Säule des beleuchteten Rauchs auf den orangefarbenen Kanal traf, wurde frischer Rauch in kräftigen Stößen ausgeworfen, der von unten her unheimlich erhellt wurde. Im Norden des weißen Flecks, wo das Gestein eine Gelegenheit hatte, sich abzukühlen, erinnerte der geschmolzene Kanal Sax an einen Film von den Ausbrüchen der Vulkane auf Hawaii. Helle gelborangefarbene Wellen stiegen in dem Kanal aus flüssigem Fels nach Norden auf, trafen gelegentlich auf Widerstand und platschten auf die dunklen Ufer des geschmolzenen Kanals. Der Kanal war ungefähr zwei Kilometer breit und verlief nach beiden Richtungen über den Horizont. Sie konnten etwa zweihundert Kilometer davon sehen. Südlich der Lichtsäule war das Kanalbett fast völlig von sich abkühlendem schwarzen Gestein bedeckt, durchzögen von dunkelorangefarbenen Rissen. Der gerade Verlauf des Kanals und die Lichtsäule selbst waren die einzigen deutlichen Anzeichen, daß es sich nicht um einen natürlichen Lavakanal handelte. Aber diese Zeichen waren mehr als genug. Außerdem hatte es auf der Oberfläche des Mars seit vielen tausend Jahren keinerlei vulkanische Tätigkeit mehr gegeben.