Sie fuhren knapp über die Sastrugi und an zähen Lavahügeln entlang, die als Straßen dienten, nach Norden am Tharsis-Vulkan vorbei, der ungefähr so groß war wie Mauna Loa, obwohl er unter dem aufragenden Ascraeus wie ein Aschenkegel wirkte. In der nächsten Nacht entfernten sie sich vom Schnee und wandten sich nach Nordosten über Echus Chasma. Am Tage versteckten sie sich unter der riesigen Ostwand von Echus, nur ein paar Kilometer nördlich des alten Hauptquartiers von Sax auf der Spitze der Klippe.
Die Ostwand von Echus Chasma war die höchste Stelle der Großen Böschung — eine drei Kilometer hohe Klippe, die tausend Kilometer schnurgerade nach Norden und Süden verlief. Die Areologen stritten sich noch über ihre Entstehung, da keine normale Kraft der Geländeformation imstande schien, sie geschaffen zu haben. Sie war einfach ein Bruch im Gewebe der Dinge, der den Boden von Echus Chasma von dem Hochplateau Lunae Planum trennte. Michel hatte in seiner Jugend Yosemite Valley besucht und erinnerte sich noch an diese hochragenden Granitklippen. Aber die Wand, die hier vor ihnen stand, war so lang wie der ganze Staat Kalifornien und auf dem größten Teil dieser Strecke drei Kilometer hoch, eine vertikale Wand, deren massive Flächen von rotem Fels kahl nach Westen blickten und bei jedem Sonnenuntergang wie die Flanke eines Kontinents erglühten.
An ihrem nördlichen Ende wurde diese unglaubliche Klippe weniger hoch, und knapp über 20° Nord wurde sie von einem tiefen breiten Kanal durchschnitten, der nach Osten durchs Lunae Plateau verlief hinab zum Chryse-Becken. Dieser große Canyon war Kasei Vallis, eine der deutlichsten Manifestationen alter Überflutungen irgendwo auf dem Mars. Ein einziger Blick auf ein Satellitenfoto machte klar, daß eine sehr große Flut einstmals Echus Chasma heruntergeströmt war, bis sie eine Bresche in seiner großen Ostwand erreichte, vielleicht einen Graben. Das Wasser hatte sich durch dieses Tal direkt nach rechts gewandt und war mit phantastischer Kraft hindurchgebrochen. Dabei hatte es den Eingang bis zu einer glatten Kurve abgetragen, war über die äußeren Ufer der Biegung geschwappt und hatte an Verbindungen des Gesteins gerüttelt, bis sie ein komplexes Gitter enger Canyons bildeten. Ein zentraler Grat im Haupttal war zu einer langen Schleife einer tropfenförmigen Insel umgestaltet worden, die so hydrodynamisch wie ein Fischrücken geformt war. Das innere Ufer des fossilen Wasserlaufs wurde von zwei Canyons zerschnitten, die größtenteils nicht von Wasser berührt worden waren, gewöhnlichen Gräben, die zeigten, wie der Hauptkanal wahrscheinlich vor der Flut ausgesehen hatte. Die späteren Meteoriteneinschläge auf dem höchsten Teil des inneren Ufers hatten die Gestaltung des Terrains abgeschlossen und frische steile Krater hinterlassen.
Vom Boden aus, wenn man langsam auf den Anstieg des äußeren Ufers hinauffuhr, war es ein rundliches Tal mit dem schleifenförmigen Grat und den runden Wällen der Krater auf dem Anstieg der inneren Bank als besonders auffälligen Merkmalen. Es war eine attraktive Landschaft, die in ihrer räumlichen Pracht an die Gegend von Burroughs erinnerte. Der große Streifen des Hauptkanals hatte eben erst begonnen, sich mit fließendem Wasser zu füllen, und würde ohne Zweifel einen seichten verzweigten Strom bilden, der über Kieseisteine lief und sich jede Woche neue Betten und Inseln grub …
Aber jetzt war es der Platz für das Gefangenenlager der Sicherheit der Transnationalen. Die beiden Krater auf dem inneren Ufer waren mit Kuppeln überspannt worden, wie auch große Teile des gitterartigen Geländes auf dem äußeren Ufer und ein Teil des Hauptkanals zu beiden Seiten der geschweiften Insel. Aber nichts davon wurde je im Fernsehen gezeigt oder in den Nachrichten erwähnt. Es war nicht einmal auf den Karten eingezeichnet.
Aber Spencer war dort seit Baubeginn gewesen, und seine unregelmäßigen Berichte nach draußen hatten ihnen mitgeteilt, wofür die neue Stadt dienen sollte. In diesen Tagen wurden fast alle Personen, die man auf dem Mars für schuldig an Verbrechen befunden hatte, zum Asteroidengürtel hinausgeschickt, um ihre Strafen in Bergbauschiffen abzuarbeiten. Aber es gab Leute in der Übergangsbehörde, die ein Gefängnis auf dem Mars selbst haben wollten, und das war Kasei Vallis.
Außerhalb des Eingangs zum Tal versteckten sie ihre Wagen in einer Ansammlung von Felsblöcken, und Cojote studierte Wetterberichte. Maya war wütend wegen der Verzögerung, aber Cojote winkte ab. Er sagte ihr strikt: »Dies wird nicht einfach werden und ist überhaupt nur unter bestimmten Umständen möglich. Wir müssen darauf warten, daß einige Verstärkungen eintreffen, und müssen auch das Wetter abwarten. Das ist etwas, das Spencer und Sax selbst mit zu planen geholfen haben und ist sehr geschickt, aber die Anfangsbedingungen müssen stimmen.«
Er ging wieder zu seinen Bildschirmen, ignorierte sie alle und sprach mit sich selbst oder dem Alchemisten des Schirms. Sein hageres dunkles Gesicht flimmerte in deren Licht. Wirklich ein Alchemist, dachte Michel, der wie über einer Retorte oder einem Tiegel bei der Arbeit zur Umwandlung des Planeten vor sich hin murmelt… eine große Kraft. Und jetzt auf das Wetter konzentriert. Offenbar hatte er einige vorherrschende Muster in dem Strahlstrom entdeckt, die an bestimmte Punkte in der Landschaft gebunden waren. »Es ist eine Frage der vertikalen Skala«, sagte er schroff zu Maya, die ihn mit all ihren Fragen allmählich wie Randolph nervte. »Dieser Planet hat von oben bis unten eine Spanne von dreißig Kilometern! Darum gibt es starke Winde.«
»Wie der Mistral«, meinte Michel.
»Ja. Katabatische Winde. Und einer der stärksten fällt hier von der Großen Böschung herunter.«
Aber die vorherrschenden Winde in der Gegend kamen aus dem Westen. Wenn diese die Echus-Klippe trafen, bildeten sich hochreichende Aufwinde; und Flieger in Echus Overlook nutzten sie sportlich und flogen jeden Tag in Segelflugzeugen oder Schwingengleitern.
Aber ziemlich häufig traten zyklonische Systeme dazu und brachten Wind aus dem Osten. Wenn das geschah, flutete kalte Luft über das von Schnee bedeckte Lunae-Plateau, vertrieb den Schnee und wurde dichter und kälter, bis sie über das ganze Drainagegelände durch Kerben im Rand der großen Klippe hinausgedrückt war und die Winde wie eine Lawine hinunterstürzten.
Cojote hatte diese katabatischen Winde schon einige Zeit studiert, und seine Berechnungen hatten ihn zu der Annahme geführt, daß bei den richtigen Bedingungen — scharfe Temperaturgegensätze, eine entwickelte Sturmbahn von Ost nach West über das Plateau — sehr leichte Eingriffe an bestimmten Stellen bewirken würden, daß die abwärts führenden Strömungen zu vertikalen Taifunen würden, die ins Echus Chasma hinabrasten und mit immenser Gewalt nach Norden und Süden fegten. Als Spencer ihnen Art und Zweck der neuen Siedlung in Kasei Vallis darlegte, hatte Cojote sofort beschlossen, die Mittel zu schaffen, um solche Eingriffe in das Wettergeschehen vorzunehmen.
»Diese Idioten haben ihr Gefängnis in einem Windkanal gebaut«, knurrte er als Antwort auf Mayas Frage. »Also bauen wir ein Gebläse. Oder vielmehr einen Schalter, um das Gebläse anzustellen. Wir vergraben einige Verteiler von Silbernitrat oben auf der Klippe. Große monströse Düsenschläuche. Dann einige Laser, um die Luft genau über der Strömungszone zu verbrennen. Das erzeugt einen ungünstigen Druckgradienten, der die normale Aufwärtsströmung so dämmt, daß sie stärker ist, wenn sie schließlich durchbricht. Und Sprengstoffe auf der ganzen Strecke von der Klippenfront herunter, die Staub in den Wind drücken und ihn schwerer machen. Schaut, Wind erwärmt sich beim Fall, und das würde ihn etwas verlangsamen, wenn er nicht so voller Schnee und Staub wäre. Ich bin fünfmal von dieser Klippe hinuntergeklettert, um das alles einzurichten. Ihr hättet das sehen sollen. Habe auch einige Gebläse angebracht. Natürlich ist die Energie des ganzen Apparates vernachlässigbar gegenüber der Gesamtenergie des Windes; aber sensitive Abhängigkeit ist der ganze Schlüssel für Wetter, und unsere Computersimulation hat die Punkte für die Ausgangsbedingungen ermittelt, die wir brauchen. So hoffen wir jedenfalls.«