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Danach war er zwei Schritte hinter allem, was geschah. Maya steckte ein Telefonkabel in Spencers Armband und zischte ihnen beiden Anweisungen zu. Ihre Stimme war hart und präzise.

Sie hoben Sax auf die Kuppelumrandung und darüber. Dann krochen sie hin und her, bis sie die eiserne Spule fanden, an der ihr Ariadnefaden saß.

Es war sofort klar, daß sie nicht in den Wind marschieren konnten. Sie mußten auf Händen und Füßen kriechen, wobei die Person in der Mitte Sax auf seinem oder ihrem Rücken tragen und die anderen beiden auf jeder Seite stützen mußten. Sie krochen immer weiter, dem Faden folgend. Ohne ihn hätten sie keinerlei Hoffnung gehabt, den Rover wiederzufinden. Mit ihm konnten sie direkt auf ihr Ziel los kriechen. Ihre Hände und Knie wurden vor Kälte taub. Michel entdeckte unter seiner Visierscheibe einen schwarzen Anflug von Staub und Sand. Irgendwann fiel ihm ein, daß die Scheibe schlimm verkratzt war.

Sie machten eine Ruhepause, als sie Sax dem nächsten Träger aufluden. Als er an der Reihe war, kniete Michel sich hin. Er japste und stützte seine Visierscheibe direkt auf den Boden, damit der Staub über ihn wegflog. Er spürte Grus auf der Zunge, bitter, salzig und schweflig — der Geschmack der Angst oder des Todes auf dem Mars — oder auch nur der seines Blutes. Das konnte er nicht sagen. Es war zu laut zum Nachdenken. Sein Hals schmerzte, er hatte Ohrensausen und rote Würmer vor Augen. Das kleine rote Volk trat endlich aus seinem peripheren Blickfeld heraus, um direkt vor ihm zu tanzen. Er merkte, daß er kurz davor stand, bewußtlos zu werden. Einmal glaubte er, sich übergeben zu müssen, was in einem Helm lebensgefährlich war. Sein ganzer Körper krampfte sich zusammen in der Bemühung, es zurückzuhalten. Ein peinigender, schweißiger arger Schmerz in allen seinen Muskeln und Zellen. Nach langem Kampf verging der Drang.

Sie krochen weiter. Es verging eine Stunde heftiger und wortloser Anstrengungen und noch eine. Michels Knie verloren ihre Taubheit zugunsten scharfer stechender Schmerzen und wurden wund. Manchmal lagen sie bloß auf dem Boden und warteten, bis eine besonders wilde Bö vorbeigezogen war. Es war frappierend, wie der Wind jetzt sogar mit orkanartigen Geschwindigkeiten in einzelnen Stößen kam. Der Wind erzeugte keinen gleichmäßigen Druck, sondern eine Reihe erschütternder Schläge. Sie mußten so lange flach daliegen und diese Hammerschläge abwarten, daß man Zeit hatte, sich zu langweilen, den Geist schweifen zu lassen und zu dösen. Es schien, als ob sie von der Morgendämmerung erwischt werden könnten. Aber dann sah er auf der Uhr in seinem Visier die Ziffern. Es war erst 3:30 früh. Sie krochen weiter.

Und dann hob sich der Faden, und sie stießen mit der Nase direkt auf die Schleusentür des Rovers, an der er befestigt war. Sie schnitten ihn ab und hievten Sax blindlings in die Schleuse. Danach kletterten sie erschöpft hinter ihm hinein. Sie schlossen die Außentür. Feiner Staub wirbelte vom Pumpengebläse herunter und trübte die grelle Luft. Michel starrte zwinkernd in die kleine Gesichtsplatte von Saxens Notkopfteil. Es war, als sähe man in eine Tauchermaske, und er bemerkte kein Anzeichen von Leben.

Als die innere Tür aufging, legten sie Helme, Stiefel und Anzüge ab, kletterten in den Innenraum und schlossen die Tür rasch vor dem Staub. Michels Gesicht war feucht; und als er es abwischte, merkte er, daß es Blut war, hellrot in dem stark erleuchteten Raum. Er hatte Nasenbluten gehabt. Trotz der hellen Lichter war seine periphere Sicht trübe, und der Raum war seltsam ruhig. Maya hatte einen üblen Schnitt über dem Schenkel, und die Haut darum war durch Erfrierungen weiß. Spencer wirkte erschöpft, unverletzt, aber sichtlich erschüttert. Er zog Sax das Kopfstück herunter und plapperte dabei: »Ihr könnt nicht einfach Leute aus diesen Sonden herausreißen. Das kann zu Hirnschäden führen. Ihr hättet warten sollen, bis ich hinzukam. Ihr wußtet nicht, was ihr tatet!«

»Wir haben nicht gewußt, ob du kommen würdest«, sagte Maya. »Du warst spät dran.«

»Nicht so sehr. Ihr hättet nicht so in Panik verfallen sollen.«

»Das sind wir nicht.«

»Warum hast du ihn dann da herausgerissen? Und warum hast du Phyllis getötet?«

»Sie war eine Peinigerin und Mörderin!«

Spencer schüttelte heftig den Kopf. »Sie war genau so eine Gefangene wie Sax.«

»Das war sie nicht.«

»Du wußtest es nicht. Du hast sie getötet, weil es so aussah. Du bist nicht besser, als sie es sind.«

»Halt den Mund! Sie sind es, die uns quälen. Du hast ihnen nicht Einhalt geboten, und darum mußten wir es tun.«

Maya fluchte auf russisch, kroch zum Fahrersitz und startete den Rover. »Schick Cojote die Nachricht!« fauchte sie Michel an.

Michel versuchte sich zu erinnern, wie er das Radio bedienen mußte. Seine Hand löste mit einem Tastendruck die komprimierte Meldung aus, daß sie Sax hätten. Dann ging er wieder zu Sax, der auf der Couch lag und schwach atmete. Er stand unter Schock. Teile seiner Kopfhaut waren rasiert worden. Seine Nase war blutig. Spencer wischte sie vorsichtig ab und schüttelte den Kopf. »Sie benutzen Infrarotstrahlen und gebündelten Ultraschall«, sagte er betrübt. »Ihn da herauszunehmen, hätte …« Er schüttelte den Kopf.

Der Puls von Sax ging schwach und unregelmäßig. Michel machte sich daran, ihm den Anzug auszuziehen. Dabei sah er, wie seine eigenen Hände sich wie schwimmende Seesterne bewegten. Sie waren von seinem Willen losgelöst. Es war, als ob er mit einem beschädigten Telemanipulator zu arbeiten versuchte. Er fühlte sich gelähmt, verletzt und schwindlig. Spencer und Maya brüllten sich wütend an und wurden richtig ärgerlich. Er konnte nicht verstehen, weshalb.

»Sie war ein Mistvieh!«

»Wenn man Menschen getötet hätte, weil sie Mistviecher waren, wärst du nie von der Ares heruntergekommen!«

»Hört auf!« sagte Michel leise zu ihnen. »Ihr beide.« Er begriff nicht ganz, was sie sagten; aber es war ganz deutlich ein Streit; und er wußte, daß er ihn schlichten müßte. Maya glühte vor Wut und Schmerz, kreischte und brüllte. Spencer brüllte zurück und zitterte am ganzen Körper. Sax lag noch im Koma. Ich werde mich wieder mit Psychotherapie beschäftigen müssen, dachte Michel und kicherte. Er arbeitete sich bis zu einem Fahrersitz durch und versuchte, die Steuerorgane zu verstehen, die unter dem schwarzen Flugstaub außerhalb der Windschutzscheibe trübe schimmerten. »Fahr los!« rief er Maya verzweifelt zu. Sie saß neben ihm und weinte heftig, beide Hände an das Lenkrad geklammert. Michel legte ihr die Hand auf die Schulter, aber sie stieß sie so heftig weg, daß er fast aus dem Sitz kippte. »Erzähle später!« sagte er. »Was geschehen ist, ist geschehen. Jetzt müssen wir nach Hause kommen.«

»Wir haben kein Zuhause«, krächzte Maya.

SECHSTER TEIL

Tariqat

Der Große Mann kam von einem großen Planeten. Er war ebenso ein Besucher auf der Durchreise wie Paul Bunyan, als er ihn entdeckte und anhielt, um sich umzuschauen. Und er war noch da, als Paul Bunyan ankam. Und darum mußten sie kämpfen. Der Große Mann gewann zuerst, wie ihr wißt. Aber nachdem Paul Bunyan und sein großes blaues Stierkalb tot waren, war niemand da, mit dem man hätte reden können; und der Mars warfür den Großen Mann so, als ob er versuchen würde, auf einem Basketball zu leben. Also wanderte er eine Weile herum, zerlegte Dinge und versuchte, sie brauchbar zu machen. Dann gab er auf und verschwand.

Danach verließen die Bakterien im Innern von Paul Bunyan und seinem Stierkalb ihre Körper und trieben sich in der Tiefe in dem warmen Wasser herum, das über dem Urgestein lag. Sie fraßen Methan und-Wasserstqffsulfid und widerstanden dem Gewicht von Milliarden Tonnen Fels, als ob sie auf einem Neutronenplaneten lebten. Ihre Chromosomen begannen sich zu teilen, eine Mutation nach der anderen; und bei der Fortpflanzungsrate von zehn Generationen am Tag dauerte es nicht lange, bis das gute alte Gesetz vom Überleben der Tüchtigsten seine natürliche Auswahl traf. Es vergingen Milliarden Jahre. Und alsbald gab es eine ganze submarine Entwicklungsgeschichte, die sich durch die Risse im Regolith und die Zwischenräume von Sandkörnern nach oben in den kalten kahlen Sonnenschein hinaufarbeitete. Alle Arten von Kreaturen, das alles breitete sich aus. Aber alles war winzig klein. Es gab Raum im Untergrund und im Meer; und sobald sie an die Oberfläche stießen, wurden gewisse Muster geprägt. Aber es gab nicht viel, das da Wachstum ermutigt hätte. So entwickelte sich eine ganze chasmoendolithische Biosphäre, in der alles klein war. Die Wale hatten die Größe von Kaulquappen, die Sequoien wie Geweihflechten und so weiter. Es war, als ob das Verhältnis von zwei Größenordnungen, wonach die Dinge auf dem Mars immer hundertmal größer waren als ihre Entsprechungen auf der Erde, sich endgültig in die andere Richtung entschieden hätte und darauf beharrte.