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Cojote, von Schmerzkillern vollgepumpt, ließ sein verrücktes Lachen hören. Nirgal fühlte sich physisch leicht, als ob die Schwere in seiner Brust nachgelassen hätte. Solche Extreme von Anstrengung, Besorgnis, Furcht — und jetzt Freude — machten ihm unbewußt klar, daß es Momente gab, die sich einem für immer in den Geist einprägten, wenn man von der schockierenden Gegenwart der Realität getroffen wurde, die man so selten empfand und die jetzt wie eine Rakete im Innern zündete. Und er sah die gleiche Freude in den Gesichtern all seiner Gefährten leuchten. Wilde Tiere, die geistig erglühten.

Die Roten fuhren zu ihrem Versteck in Mareotis ab. Cojote fuhr scharf nach Süden, um sich mit Maya und Michel zu treffen. Das geschah in einer trüben schokoladefarbenen Morgendämmerung weit oben auf Echus Chasma. Die Gruppe von dem Wagen der inneren Bank eilte hinüber in den Wagen von Michel und Maya, um noch einmal zu feiern. Nirgal sprang durch die Schleuse und schüttelte Spencer die Hand, einem kleinen Mann mit rundem Gesicht, dessen Hände zitterten. Nichtsdestoweniger sah er sich Nirgal genau an. Er sagte: »Schön, dich kennenzulernen. Ich habe von dir gehört.«

»Es ist alles wirklich gutgegangen«, sagte Cojote zu einem Chor lauter Proteste seitens Kasei, Art und Nirgal. Tatsächlich waren sie kaum mit dem Leben davongekommen, als sie auf der inneren Bank herumkrochen im Bemühen, den Taifun und die von Panik ergriffene Polizei in der Kuppel zu überleben und den Wagen zu finden, während Art sie zu finden suchte …

Mayas Blick machte ihrer Freude ein jähes Ende. Tatsächlich wurde, nachdem die ursprüngliche Freude des Wiedersehens vorbei war, klar, daß die Verhältnisse in ihrem Wagen nicht in Ordnung waren. Sax war gerettet worden, aber etwas zu spät. Er war gefoltert worden, wie Maya ihnen kurz mitteilte. Es war nicht klar, wieviel Schaden ihm zugefügt wurde, als er bewußtlos war.

Nirgal ging hinten in das Abteil, um nach ihm zu sehen. Er lag apathisch auf der Couch. Sein zerschmettertes Gesicht bot einen erschütternden Anblick. Michel kam zurück und setzte sich hin, benommen wie von einem Schlag auf den Kopf. Und zwischen Maya und Spencer schien ein Streit zu schwelen. Sie erklärten sich nicht, schauten sich aber nicht an und sprachen nicht miteinander. Maya war offensichtlich in übler Stimmung. Nirgal kannte den Blick schon seit seiner Kindheit, obwohl er diesmal schlimmer war. Ihre Miene war hart, und die Mundwinkel waren nach unten gezogen.

»Ich habe Phyllis getötet«, sagte sie zu Cojote.

Es trat Stille ein. Nirgal bekam kalte Hände. Plötzlich, als er sich bei den anderen umsah, merkte er, daß sie alle verlegen waren. Die einzige Frau unter ihnen hatte den Mord begangen; und für eine Sekunde hatte das etwas Seltsames an sich, was sie alle empfanden, einschließlich Maya, die sich, ihrer Feigheit bewußt, zurückhielt. Nichts davon war rational oder gar bewußt bei ihnen, wie Nirgal erkannte, als er ihre Gesichter ansah, sondern etwas Primitives, Instinktives, Biologisches. Und so starrte Maya sie desto heftiger an. Sie verachtete ihr Entsetzen und konfrontierte sie mit der fremdartigen Feindseligkeit eines Adlers.

Cojote trat an ihre Seite und hob sich auf Zehenspitzen, um ihr einen Kuß auf die Wange zu geben, wobei er ihrem Blick unerschütterlich standhielt. Er legte eine Hand auf ihren Arm und sagte: »Du hast Gutes getan. Du hast Sax gerettet.«

Maya schüttelte ihn ab und sagte: »Wir haben die Maschine gesprengt, an die sie Sax angeschlossen hatten. Ich weiß nicht, ob es uns gelungen ist, irgendwelche Aufzeichnungen zu vernichten. Wahrscheinlich nicht. Und ich weiß, daß sie ihn gehabt haben und daß jemand ihn zurückgebracht hat. Also gibt es keinen Grund zum Feiern. Sie werden hinter uns her sein mit allem, was sie bekommen haben.«

»Ich glaube nicht, daß sie so gut organisiert sind«, sagte Art.

»Du hältst den Mund!« fuhr Maya ihn an.

»Nun okay, aber schau, da sie jetzt von dir wissen, brauchst du dich nicht mehr so zu verstecken. Stimmt’s?«

»Wieder im Geschäft«, knurrte Cojote.

Sie fuhren diesen ganzen Tag weiter nach Süden, da der von dem katabatischen Sturm aufgewühlte Staub genügte, sie vor Satellitenkameras zu verstecken. Die Spannung blieb. Maya war in finsterer Wut und nicht ansprechbar. Michel behandelte sie wie eine nicht explodierte Bombe und versuchte, sich immer nur auf die praktischen Angelegenheiten des Augenblicks zu konzentrieren, damit sie die schreckliche Nacht vergäße, die sie draußen erlebt hatten. Aber das war nicht einfach, während Sax im Wohnabteil ihres Wagens auf einer Couch lag, bewußtlos und mit all seinen Verletzungen. Nirgal saß endlose Stunden bei Sax, eine Hand flach auf seine Rippen oder oben auf seinen Kopf gelegt. Etwas anderes konnte man nicht tun. Selbst ohne die schwarzen, blutunterlaufenen Augen hätte er nicht so ausgesehen wie der Sax Russell, den Nirgal als Kind gekannt hatte. Es war ein in die Eingeweide dringender Schock, an ihm die Zeichen körperlicher Mißhandlung zu sehen — ein positiver Beweis dafür, daß sie in der Welt Todfeinde hatten. Darüber hatte sich Nirgal in den letzten Jahren immer wieder gewundert, so daß der Anblick von Sax plötzlich ein häßliches und Übelkeit erregendes Faktum war. Nicht nur daß sie Feinde hatten, sondern es gab sogar Leute, die so etwas tun konnten und es im ganzen Verlauf der Geschichte getan hatten, wie die unglaublichen Erzählungen berichteten. Sie waren also doch real. Und Sax war nur eines von vielen Millionen Opfern.

Während Sax schlief, rollte sein Kopf von der einen Seite auf die andere. Michel sagte: »Ich werde ihm Pandorphin spritzen. Ihm und dann auch mir.«

»Mit seinen Lungen stimmt etwas nicht«, sagte Nirgal.

»Wirklich?« Michel legte das Ohr auf Sax’ Brust, horchte einige Zeit und pfiff. »Es ist etwas Flüssigkeit darin. Du hast recht.«

»Was haben sie mit ihm gemacht?« fragte Nirgal Spencer.

»Sie haben zu ihm gesprochen, während sie ihn in der Mangel hatten. Du weißt, sie haben verschiedene Gedächtniszentren im Hippocampus sehr genau geortet und mit Drogen und sehr feiner Ultraschallstimulation und schnellen Mikrowellen bearbeitet, um das, was sie tun, zu verfolgen … Nun, dann geben die Menschen Antworten auf alle Fragen, oft sehr ausführlich. Das haben sie mit Sax gemacht, als der Wind zuschlug und der Strom ausfiel. Das Notstromaggregat sprang sofort an, aber…« Er zeigte auf Sax. »Dabei, oder als wir ihn aus dem Apparat genommen haben … «

Das war es also, weshalb Maya Phyllis Boyle getötet hatte. Das Ende einer Kollaborateurin. Mord unter den Ersten Hundert…

»Nun«, murmelte Kasei in dem anderen Wagen vor sich hin, »es wäre nicht das erste Mal gewesen.« Es gab Leute, die Maya verdächtigten, die Ermordung von John Boone arrangiert zu haben, und Nirgal hatte von Leuten gehört, die argwöhnten, auch das Verschwinden von Frank Chalmers hätte ihr Werk sein können. Man nannte sie die Schwarze Witwe. Nirgal hatte diese Geschichten als boshaften Klatsch abgetan, der von Leuten verbreitet wurde, die Maya offenbar haßten, wie Jackie. Aber Maya sah jetzt wirklich höchst gefährlich aus, wie sie in ihrem Wagen saß und auf das Radio starrte, als ob sie daran dächte, ihr Schweigen zu brechen und dem Süden eine Nachricht zu schicken. Weißhaarig, mit einer Habichtsnase und einem Mund wie eine Wunde … Es machte Nirgal nervös, auch nur in dem gleichen Wagen zu sein wie sie, obwohl er gegen dieses Gefühl ankämpfte. Sie war immerhin eine seiner wichtigsten Lehrerinnen gewesen. Er hatte viele Stunden damit zugebracht, ihre ungeduldigen Lektionen in Mathematik, Geschichte und Russisch in sich aufzunehmen. Er hatte sie besser kennengelernt als irgendwelchen Lehrstoff und wußte recht gut, daß sie keine Mörderin sein wollte, daß unter ihren Stimmungen, die sowohl kühn wie matt, manisch und depressiv waren, eine einsame Seele litt, stolz und hungrig. Darum war in gewisser Weise dieses Unternehmen eine Katastrophe geworden, trotz des offensichtlichen Erfolgs.