Maya verlangte eisern, daß sie alle sich sofort in die südliche Polregion begeben sollten, um dem Untergrund zu berichten, was geschehen war.
»Das ist nicht einfach«, sagte Cojote. »Sie wissen, daß wir in Kasei Vallis gewesen sind, und da sie Zeit hatten, Sax zum Reden zu bringen, wissen sie wahrscheinlich, daß wir versuchen werden, nach Süden zu gelangen. Sie können genau so gut wie wir Karten lesen und sehen, daß der Äquator praktisch blockiert ist von West-Tharsis bis hin zum Osten der Chaose.«
»Es gibt die Lücke zwischen Pavonis und Noctis«, warf Maya ein.
»Ja, aber es führen einige Pisten und Pipelines hindurch und zwei Windungen des Aufzugs. Ich habe unter denen allen Tunnels gebaut, aber wenn sie nachsehen, könnten sie einige davon finden oder unsere Wagen sehen.«
»Was schlägst du also vor?«
»Ich meine, wir sollten nördlich um Tharsis und Olympus Mons herum und dann nach Amazonis hinunter, um dort den Äquator zu überqueren.«
Maya schüttelte den Kopf. »Wir müssen schnell nach Süden kommen, um sie wissen zu lassen, daß man sie entdeckt hat.«
Cojote dachte darüber nach und sagte: »Wir können uns teilen. Ich habe ein kleines Ultraleichtflugzeug in einem Versteck nahe dem Fuß von Echus Overlook stehen. Kasei kann dich und Michel hinführen und nach Süden zurückfliegen. Wir werden über Amazonis nachfolgen.«
»Was ist mit Sax?«
»Wir werden ihn direkt zu Tharsis Tholus schaffen. Dort gibt es ein Klinikzentrum der Bogdanovisten. Das ist nur zwei Nächte entfernt.«
Maya besprach es mit Michel und Kasei, ohne Spencer auch nur anzuschauen. Michel und Kasei hatten nichts dagegen, und schließlich nickte sie. »Einverstanden. Wir gehen in den Süden. Kommt nach, so schnell ihr könnt!«
Sie fuhren bei Nacht und schliefen bei Tag in ihrer alten Routine und schafften in zwei Nächten den Weg über Echus Chasma nach Tharsis Tholus, einem Vulkankegel am Nordrand des Tharsis-Buckels.
Dort befand sich eine Kuppelstadt der NicosiaKlasse auf der kahlen Flanke ihres Namensvetters. Die Stadt war ein Teil der Demimonde. Ihre meisten Bürger führten ein geregeltes Leben im Netz der Oberfläche; aber viele von ihnen waren Bogdanovisten, die halfen, bogdanovistische Flüchtlinge in der Gegend zu unterstützen, ebenso wie Zufluchtsstätten der Roten in Mareotis und auf der Großen Böschung. Sie halfen auch anderen Leuten in der Stadt, die das Netz verlassen oder ihm nie angehört hatten. Die größte medizinische Klinik der Stadt gehörte den Bogdanovisten und diente auch vielen im Untergrund.
Also fuhren sie direkt zur Kuppel hinauf in die Garage und stiegen aus. Bald kam ein kleiner Ambulanzwagen und eilte mit Sax zur Klinik in der Nähe des Stadtzentrums. Der Rest von ihnen ging über die begrünte Hauptstraße hinterher und genoß die Geräumigkeit nach all diesen Tagen in den Wagen. Art machte große Augen über ihr Verhalten, und Nirgal erklärte ihm kurz die Demimonde, als sie zu einem Cafe gegenüber der Klinik gingen mit einigen sicheren Räumen im Obergeschoß.
In der Klinik beschäftigte man sich sofort mit Sax. Einige Stunden nach ihrer Ankunft wurde Nirgal gestattet, gründlich gereinigt sterile Kleidung anzulegen und hineinzugehen und sich zu ihm zu setzen.
Sie hatten ihn an ein Gebläse angeschlossen, das eine Flüssigkeit durch seine Lungen blies. Man konnte sie in den klaren Röhren und der sein Gesicht bedeckenden Maske erkennen. Sie sah aus wie trübes Wasser. Es war ein schrecklicher Anblick, als ob sie ihn ertränken würden. Aber die Flüssigkeit war eine Mischung auf der Basis von Perfluorkohlenstoff, die Sax dreimal soviel Sauerstoff zuführte, als es Luft getan hätte. Und sie spülte den Dreck heraus, der sich in seiner Lunge angesammelt hatte, blähte zusammengebrochene Luftwege wieder auf und war mit verschiedenen Drogen und Arzneien angereichert. Die an Sax arbeitende Ärztin erklärte Nirgal dies alles während ihrer Tätigkeit. »Er hatte ein Odem, darum ist die Behandlung etwas widersprüchlich, aber sie funktioniert.«
Und so saß Nirgal da, seine Hand auf dem Arm von Sax, und beobachtete die Flüssigkeit in der Maske, die am unteren Teil des Gesichts von Sax festgeklebt war und hinein- und heraussprudelte. »Es ist, als ob er in einem ektogenen Tank läge«, sagte Nirgal.
»Oder«, sagte die medizinische Technikerin mit einem belustigten Blick auf ihn, »in der Gebärmutter.«
»Ja. Wird wiedergeboren. Sieht nicht einmal gleich aus.«
»Halt weiter die Hand auf ihm!« riet die Technikerin und ging fort. Nirgal saß da und versuchte zu fühlen, wie es Sax ging, suchte jene Vitalität in den ihr eigenen Prozessen zu fühlen, das Wieder-zurück-Schwimmen in die Welt empor. Die Temperatur von Sax schwankte in beunruhigenden kleinen Hochs und Tiefs. Es kam weiteres ärztliches Personal, hielt Instrumente Sax an Kopf und Gesicht und sprach leise miteinander. »Einiger Schaden. Vorn links. Wir werden sehen.«
Einige Abende später, als Nirgal da war, kam dieselbe Technikerin und sagte: »Halt seinen Kopf, Nirgal! Linke Seite, ums Ohr. Gerade darüber, ja. Halt ihn dort und … ja, so. Tu jetzt, was du machst!«
»Was?«
»Du weißt schon. Schick Wärme in ihn hinein!« Und sie ging eilends fort, als ob sie über einen solchen Vorschlag selbst verwirrt wäre oder erschrocken.
Nirgal saß da und konzentrierte sich. Er lokalisierte das Feuer im Innern und versuchte, etwas davon in seine Hand und hinüber in Sax hineinströmen zu lassen. Wärme, Wärme, ein zaghafter Schuß von Weiß in das Versehrte Grün geschickt… dann wieder fühlen und der Versuch, die Wärme von Saxens Kopf zu erkennen.
Es vergingen Tage; und Nirgal verbrachte fast alle in der Klinik. Eines Nachts kam er von der Küche zurück, als die junge Technikerin über den Korridor auf ihn zugerannt kam, ihn am Arm faßte und sagte: »Los, komm!« Ehe er es sich versah, war er unten in dem Raum und hielt Sax den Kopf. Dessen Atem ging in kurzen Stößen, und alle seine Muskeln waren wie Drähte. Es waren drei Ärzte da und noch einige Techniker. Ein Doktor streckte Nirgal einen Arm entgegen, und die junge Technikerin trat zwischen sie.
Er fühlte, daß sich in Sax etwas rührte, als ob es fortginge oder wiederkäme — irgendeine Passage. Er ließ in Sax jedes bißchen Viriditas einströmen, das er aufbringen konnte, plötzlich erschrocken und berührt von Erinnerungen an die Klinik in Zygote, wo er mit Simon dagesessen hatte. Der Ausdruck von Simons Gesicht in der Nacht seines Todes. Die Flüssigkeit aus Perfluorkohlenstoff wirbelte in raschen flachen Stößen in Sax hinein und heraus. Nirgal sah zu und dachte an Simon. Seine Hand verlor ihre Wärme, und er konnte sie nicht zurückbringen. Sax würde wissen, wer das mit so warmen Händen war. Falls das etwas ausmachte. Aber das war alles, was er tun konnte … Er strengte sich an und drückte, als ob die Welt einfröre, als ob er nicht nur Sax, sondern auch Simon zurückholen könnte, wenn er heftig genug drückte. »Warum Sax?« sagte er leise in das Ohr bei seiner Hand. »Aber warum? Warum Sax? Warum nur?«
Der Perfluorkohlenstoff sprudelte. In dem übermäßig stark beleuchteten Raum summte es. Die Ärzte arbeiteten an den Maschinen und über Saxens Körper, schauten einander und Nirgal an. Das Wort warum wurde zu einem reinen Ton, einer Art von Gebet. Es verging eine Stunde und noch mehr, langsam und furchtsam, bis sie in eine Art von zeitlosem Zustand verfielen. Nirgal hätte nicht sagen können, ob es Tag oder Nacht war. Bezahlung für unsere Körper, dachte er. Wir bezahlen.