Sie rasteten den Tag über und fuhren bei Dunkelheit wieder los. Sie kamen an der Mündung eines langen Canyons vorbei, der von Ceraunius bis Jovis Tholus führte. Da er eigenartigerweise weder gerade noch gewellt war, hieß er Krummer Canyon. Als die Sonne hoch kam, waren sie auf dem Vorfeld des Kraters Qr versteckt, genau nördlich von Jovis Tholus. Dies war ein größerer Vulkan als Tharsis Tholus, ja größer als jeder Vullkan auf der Erde; aber er befand sich auf dem hohen Sattel zwischen Ascraeus Mons und Olympus Mons, die beide im Osten und Westen zu sehen waren, aufragend wie weite Plateaukontinente, im Vergleich mit denen Jovis kompakt, freundlich und verständlich schien — ein Berg, auf den man hinaufgehen konnte, wenn man dazu Lust hatte.
An diesem Tage saß Sax da und starrte stumm auf seinen Schirm, tippte versuchsweise darauf und bekam eine zufällige Folge von Texten, Karten, Diagrammen, Bildern und Gleichungen. Er wandte jedem den Kopf zu ohne ein Zeichen des Erkennens. Nirgal setzte sich neben ihn. »Sax, kannst du hören, was ich sage?«
Sax blickte ihn an.
»Kannst du meine Worte verstehen? Nicke, wenn du sie verstehst!«
Sax neigte den Kopf zur Seite. Nirgal seufzte, gepackt von diesem forschenden Blick. Sax nickte zögernd.
In dieser Nacht fuhr Cojote wieder nach Westen auf Olympus und lenkte gegen Morgen den Rover direkt auf eine Wand aus löchrigem und zermahlenem Basalt zu. Dies war der Rand eines von zahllosen gewundenen Schluchten durchschnittenen Tafellandes, wie Tractus Traction, nur in viel größerem Maßstab, so daß es ein wüstes Terrain bildete wie eine ungeheure Erweiterung des Labyrinths von Traction. Das Tafelland war ein Fächer aus zerbrochener alter Lava, das Überbleibsel eines der frühesten Ströme von Olympus Mons, und bedeckte weicheren Tuff und Asche aus noch früheren Eruptionen. Wo die vom Wind erodierten Schluchten tief genug abgetragen waren, brachen ihre Böden in die Schicht aus weicherem Tuff durch, so daß einige Spalten enge Schlitze bildeten mit Tunnels auf ihrem Grund, abgerundet durch Äonen von Wind. »Wie auf den Kopf gestellte Schlüssellöcher«, sagte Cojote, obwohl Nirgal noch nie ein Schlüsselloch gesehen hatte, das diesen Gebilden auch nur entfernt ähnelte.
Cojote fuhr den Rover direkt in eine der schwarzgrauen Tunnelschluchten hinein. Mehrere Kilometer weiter aufwärts hielt er den Wagen an neben einer Kuppelwand, die in den Tunnel wie eine Embolie eine erweiterte äußere Kurve einschnitt.
Dies war die erste verborgene Zufluchtsstätte, die Art je gesehen hatte, und er machte ein entsprechend erstauntes Gesicht. Die Kuppel war vielleicht zwanzig Meter hoch und umfaßte einen hundert Meter langen Abschnitt der Kurve. Art äußerte sich laut über die Größe, bis Nirgal lachen mußte. Cojote sagte: »Jemand benutzt das schon. Seid also eine Sekunde lang still!«
Art nickte und beugte sich über Cojotes Schulter, um zu hören, was er über das Interkom sagte. Vor der Kuppelschleuse war ein Wagen geparkt, genau so verklumpt und steinig wie der ihre. »Ah!« sagte Cojote und schob Art zurück. »Das ist Vijjika. Die werden Orangen haben und vielleicht etwas Kava. Wir werden heute morgen eine Party veranstalten.«
Sie rollten bis zur Schleuse. Eine Andockröhre trat hervor und klammerte sich um ihre vorgestreckte äußere Tür. Als alle Schleusentüren geöffnet waren, begaben sie sich in die Kuppel. Sie bückten sich und nahmen Sax durch das Rohr mit.
Drinnen empfingen sie acht große, dunkelhäutige Personen, fünf Frauen und drei Männer, eine auffällige Schar, die sich freute, Gesellschaft zu haben. Cojote stellte sie vor, obwohl Nirgal Vijjika schon von der Universität in Sabishii her kannte und fest in die Arme nahm. Sie war erfreut, ihn wiederzusehen, und führte sie alle nach hinten zu der sanften Krümmung der Klippenwand auf einen freien Platz zwischen Anhängern unter einem Oberlicht, das durch einen vertikalen Spalt in der alten Lava gebildet wurde. Unter diesem Strahl diffusen Tageslichts und dem noch diffuseren Licht aus der tiefen Schlucht außerhalb der Kuppel setzten sich die Besucher auf breite flache Kissen um niedrige Tische, während einige ihrer Gastgeber sich an rundbäuchigen Samowaren zu schaffen machten. Cojote sprach mit Bekannten und tauschte Nachrichten aus. Sax sah sich blinzelnd um, und Spencer an seiner Seite machte ein ebenso erstauntes Gesicht. Er hatte seit ’61 an der Oberflächenwelt gelebt, und sein Wissen über die Zufluchtsstätten mußte fast gänzlich aus zweiter Hand stammen. Vierzig Jahre eines doppelten Lebens. Kein Wunder, daß er überrascht war.
Cojote ging an die Samoware und verteilte aus einem freistehenden Schränkchen kleine Becher. Nirgal saß neben Vijjika, einen Arm um ihre Taille gelegt, und sog ihre Wärme und ihr Geflüster ein — und den langen Kontakt ihres Beins mit dem seinen. Art nahm auf ihrer anderen Seite Platz, sein breites Gesicht wie das eines Hundes in die Konversation getaucht. Vijjika stellte sich ihm vor und schüttelte ihm die Hand. Er nahm ihre langen zarten Finger in seine große Pranke, als ob er sie küssen wollte. »Das sind Bogdanovisten«, erklärte Nirgal Art. Er lachte über seine Miene und reichte ihm einen der kleinen irdenen Becher von Cojote. »Ihre Eltern waren vor dem Krieg Gefangene in Korolyov.«
»Ah«, sagte Art. »Wir sind weit davon entfernt, nicht wahr?«
»O ja«, sagte Vijjika, »unsere Eltern haben die Transmarineris-Fernstraße nach Norden befahren, kurz ehe sie überflutet wurde, und kamen schließlich hierher. Da, nimm dieses Tablett von Cojote und teil Becher aus und stell dich jedem vor!«
Also machte Art die Runde, und Nirgal tauschte Neuigkeiten mit Vijjika aus. Sie erzählte ihm: »Du wirst nicht glauben, was wir in einem dieser Tufftunnels gefunden haben. Wir sind ganz phantastisch reich geworden.« Jetzt hatten alle ihre Tassen; darum machten sie einen Moment Pause und taten zusammen ihre ersten Schlucke. Dann kehrten sie nach einigem Hallo und Schlürfen wieder zu ihren Gesprächen zurück. Art begab sich wieder an Nirgals Seite.
»Hier, nimm selbst eine!« sagte Nirgal zu ihm. »Jeder muß sich an dem Toast beteiligen, das ist so Sitte.«
Art nippte von seinem Becher und warf einen mißtrauischen Blick auf die Flüssigkeit, die schwärzer war als Kaffee und übel roch. Er schauderte. »Das ist wie Kaffee mit Lakritze. Giftiger Lakritze.«
Vijjika lachte und sagte: »Es ist Kavajava, eine Mischung von Kava und Kaffee. Sehr stark und riecht wie die Hölle. Und schwer zu bekommen. Gib aber nicht auf! Wenn du es schaffst, eine Tasse hinunterzubringen, wirst du finden, daß es sich lohnt.«
»Wenn du es sagst.« Mutig nahm er noch einen kräftigen Schluck und erschauerte wieder. »Schrecklich!«
»Ja, aber wir mögen es. Manche Leute extrahieren bloß das Kavain aus dem Kava, aber ich halte das nicht für richtig. Rituale sollten auch etwas Unangenehmes an sich haben, sonst weiß man sie nicht richtig zu schätzen.«
»Hmm«, machte Art. Nirgal und Vijjika beobachteten ihn. Nach einer Weile sagte er: »Ich bin in einem Refugium des Untergrundes vom Mars. Werde berauscht durch eine komische fürchterliche Droge in Gesellschaft einiger der sagenhaftesten verlorenen Mitglieder der Ersten Hundert. Und auch junger Eingeborener, von denen die Erde nie gehört hat.«
»Es wirkt schon«, bemerkte Vijjika.
Cojote sprach mit einer Frau, deren Gesicht, obwohl sie auf einem Kissen in der Lotoshaltung saß, sich eben knapp unter seiner Augenhöhe befand, als er vor ihr stand. »Sicher hätte ich gern Lauchsamen«, sagte sie. »Aber du mußt für etwas so Kostbares einen Tauschwert festsetzen.«
»So wertvoll sind sie nicht«, sagte Cojote in seiner überzeugenden Art. »Ihr gebt uns schon mehr Stickstoff, als wir verbrennen können.«