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»Die Tür!« schrie Skudder.

Und Charity verstand. Sie gab einen ungezielten Schuß in den brodelnden Qualm vor sich ab, rannte im Zickzack durch die Halle und hämmerte die Faust gegen die kleine Schalttafel neben der Tür. Zischend senkte sich eine halbstarke Panzerplatte vor dem Eingang. Charity registrierte mit einem leisen Gefühl von Verwirrung, daß sie den Mechanismus dieser Tür nicht zum ersten Mal sah, aber sie hatte keine Zeit, sich darüber zu wundern. Mit einer fast automatischen Bewegung verriegelte sie den Eingang, so daß er nun auch von außen nicht mehr zu öffnen war, hastete hinter ihre Deckung zurück und verständigte sich mit einem stummen Blick mit Skudder. Überall in der Halle loderten Brände, aber unter der Decke waren jetzt große Ventilatoren angesprungen, die den schwarzen Qualm absaugten, so daß sie ihre Umgebung wieder besser erkennen konnte.

Sie kannte diesen Raum. Sie wußte nicht mehr woher, aber sie hatte das sichere Gefühl, ihn nicht nur schon einmal gesehen zu haben, sondern schon einmal hiergewesen zu sein.

»Dort drüben!« drang Skudders Stimme in ihre Gedanken. »Rechts von dir. Ich glaube, es ist nur noch einer!«

Charity spähte vorsichtig über den Rand ihrer Deckung hinweg, und nach einigen Augenblicken entdeckte sie den Moroni. Wie Skudder und sie hatte auch er hinter einem Maschinenblock Deckung gesucht, aber sein Versteck lag in einem ungünstigen Winkel. Es schützte ihn vor Skudder, nicht aber vor ihr.

Trotzdem bewegte sich Charity mit äußerster Vorsicht weiter. Sie wußte, wie entsetzlich schnell diese Insektenkrieger reagieren konnten.

Irgend etwas prallte wuchtig von außen gegen die Tür. Charity fuhr erschrocken zusammen, und auch der Moroni wandte für einen Sekundenbruchteil den Blick und war abgelenkt.

Charity richtete sich hinter ihrer Deckung auf, zielte, drückte dreimal hintereinander ab, und die fremdartige Maschine vor ihr verwandelte sich in einen Vulkan aus weißglühendem Metall, in dem der Moroni verbrannte. Sie wartete, lauschte mit angehaltenem Atem und klopfendem Herzen. Sekunden vergingen, reihten sich zu einer Minute, dann zu einer zweiten. Nichts geschah.

Vorsichtig, jeden Nerv zum Zerreißen angespannt, richtete sich Charity wieder hinter ihrer Deckung auf und sah sich um.

Der Rauch hatte sich verzogen. Überall flackerten noch kleinere Brände, und in der Luft lag ein Gestank, der ihr das Atmen schwer machte. Aber es schien, als wäre der Kampf vorbei.

Auch Skudder tauchte jetzt hinter seiner Deckung auf und schwenkte den Lauf seines Gewehres im Halbkreis durch die Halle. Doch auch er senkte schließlich seine Waffe und entspannte sich; wenn auch nicht wirklich. Der verbissene Ausdruck auf seinem Gesicht blieb, und obwohl er sich alle Mühe gab, sie zu überspielen, sah ihm Charity seine Nervosität und Angst deutlich an, als er sich zu ihr herumdrehte, sie einen Moment lang aus großen Augen anblickte und dann zum Transmitterring zurücksah. Und zu den Toten, die davor lagen.

Leßter. Stone. Gurk. Charity und er selbst. Zweimal, dreimal, viermal.

»Was ... ist ... das?« stammelte er.

Charity ließ zitternd ihre Waffe sinken und machte einen Schritt auf einen der reglosen Körper mit ihrem eigenen Gesicht zu, aber sie ging nicht weiter. Sie konnte es nicht. »Ich weiß es nicht«, flüsterte sie. »Entweder träumen wir alle den gleichen Alptraum, oder ... oder hier geht etwas Unvorstellbares vor.«

Skudder warf ihr einen nervösen Blick zu und trat vollends hinter seiner Deckung hervor.

Und im gleichen Moment bewegte sich eine der vermeintlich toten Insektengestalten. Charity schrie auf und versuchte, ihre Waffe hochzureißen, und auch Skudder registrierte die Gefahr im allerletzten Moment und warf sich herum.

Er hatte keine Chance.

Charity und der Moroni feuerten im gleichen Sekundenbruchteil. Der Schuß aus Charitys Waffe traf den Insektenkrieger und tötete ihn. Und die grellweiße Lichtnadel aus der Waffe der Ameise durchbohrte Skudders Brust.

Der Hopi taumelte. Eine halbe Sekunde lang stand er reglos und wie erstarrt da. Dann machte er einen einzelnen, mühsamen Schritt, öffnete die Hände, so daß seine Waffe zu Boden polterte, und drehte sich zitternd zu Charity. Ein fassungsloser Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, kein Schmerz, kein Schrecken oder Angst, sondern nur ein ungläubiges Staunen, dann brach er ganz langsam in die Knie, fing seinen Sturz noch einmal mit beiden Händen auf und kippte dann wie im Zeitlupentempo zur Seite.

Charity ließ ihre Waffe fallen und war mit einem Satz bei ihm, um ihn aufzufangen. Skudder stürzte schwer gegen sie, aber sie spürte sein Gewicht kaum, sondern riß ihn hoch und versuchte ihn herumzudrehen.

Die hünenhafte Gestalt des Indianers erschlaffte in ihren Armen. Charity schrie verzweifelt immer wieder seinen Namen, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. Aber Skudder reagierte nicht mehr. Sein Kopf pendelte haltlos hin und her, und plötzlich wußte Charity, daß er tot war.

Tot. Das Wort hallte ein paarmal hinter ihrer Stirn wider, als drehe sich in ihrem Kopf eine höllische Bandschleife, und es verlor dabei nichts von seinem grausamen Klang.

Es war nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Es war nicht so wie damals bei Mike, oder in dem Moment, in dem sie ihre Eltern verloren hatte. Es war grausam, und es tat körperlich weh. Sie spürte keine Verzweiflung, keine Trauer, sondern nur einen fürchterlichen Schmerz und einen rasenden Zorn, der kein Ziel hatte und darum doppelt quälend war. Es war schlimmer als alles, was sie je erlebt hatte. Sie hatte Hunderte, Tausende von Menschen sterben sehen. Sie hatte den Untergang einer ganzen Welt miterlebt, aber nichts davon hatte sie so getroffen wie das hier.

Alles schien unwichtig zu werden. Ihr Aufstand gegen die Invasoren, ihr verzweifelter Kampf ums Überleben, alles, was sie je getan und gefühlt hatte, verblaßte angesichts des grausamen Schmerzes, den sie jetzt verspürte. Sie saß da, preßte Skudders leblosen Körper an sich und wünschte sich verzweifelt, ihr eigenes Leben geben zu können, um ihn zu retten, eine zweite Chance zu haben, oder wenigstens weinen zu können. Sie konnte nichts von alledem.

Sie wußte nicht, wieviel Zeit verging. Wahrscheinlich nur Sekunden, denn als sie aufsah, da richtete sich Gurk gerade hinter dem Maschinenblock auf, hinter den er sich in Deckung geworfen hatte, als die Ameise auf Skudder schoß, und machte einen Schritt in ihre Richtung, blieb aber stehen, als er in ihr Gesicht sah.

»Er ist tot«, flüsterte Charity.

Der Zwerg sah sie auf eine Art an, die sie noch nie zuvor an ihm beobachtete hatte. Plötzlich war nichts Lächerliches mehr an ihm. Er wirkte traurig, auf eine Art, die Charity verwirrte. »Hast du ihn geliebt?« fragte er.

»Er ist tot«, antwortete Charity nur. Sie wußte nicht einmal die Antwort auf diese Frage. Sie hatte sie sich nie gestellt, obwohl sie so lange zusammengewesen waren und soviel miteinander erlebt hatten. Hatte sie ihn geliebt? Wenn es stimmte, daß man das wahre Ausmaß der Liebe zu einem anderen Menschen erst dann wirklich begriff, wenn man ihn verloren hatte, dann ja. Aber sie war nicht sicher. Sie wollte sich selbst belügen und einfach ja sagen, aber es wäre ihr wie ein Verrat an Skudder und dem, was sie für ihn empfunden hatte, vorgekommen. Ihr Blick glitt über die reglos daliegenden Körper auf der Treppe vor dem Transmitter, über ihre eigenen und Stones und Leßters und Gurks und auch Skudders Doppelgänger, und sie fragte sich bei jedem einzelnen, ob er dasselbe empfunden haben mochte wie sie in diesem Moment. Fragte sich, ob die Frau mit ihrem Gesicht den Tod des Mannes, der wie Skudder aussah, ebenfalls miterlebt hatte und ob sie dasselbe empfunden hatte wie sie in diesem Augenblick, und sie fragte sich für eine Sekunde ganz ernsthaft, ob das, was sie jetzt erlebte, vielleicht die Hölle war.