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«Waren Sie schon mal dort? Im siebten Himmel?«

Sie sah mir gerade in die Augen.»Sie meinen, ob ich weiß, wie das ist? Ja, das weiß ich. Falls Sie meinen, ob ich in Nicky verliebt war, dann lautet die Antwort nein. Er war ein netter Kerl, aber er törnte mich nicht so an wie Jenny. Und außerdem war sie es ja, die ihn anzog. So schien es zumindest«, schloß sie unsicher. Sie hielt ihre abgeleckten Finger in die Luft.»Würden Sie mir bitte mal die Schachtel mit den Papiertüchern geben, die hinter Ihnen steht?«

Ich reichte ihr die Schachtel und sah zu, wie sie sich die Finger sauberwischte. Sie hatte helle Wimpern, einen Teint, der an englische Rosen gemahnte, und ein Gesicht, das sich von aller Scheu befreit hatte. Sie war noch zu jung, als daß das Leben schon unmißverständliche Spuren darauf hinterlassen hätte, aber ihr natürlicher Ausdruck schien weitgehend frei von Zynismus oder Intoleranz zu sein. Ein nüchtern denkendes, gescheites Mädchen.

«Ich weiß eigentlich gar nicht, wo die beiden sich kennengelernt haben«, sagte sie.»Nur, daß es irgendwo hier in Oxford war. Ich kam eines Tages nach Hause, und da war er, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die beiden waren da bereits… nun ja… aneinander interessiert.«

«Haben Sie diese Wohnung, äh, von Anfang an mit Jenny geteilt?«

«Mehr oder weniger. Wir sind zusammen zur Schule gegangen… wußten Sie das nicht? Tja, und eines Tages trafen wir uns wieder, und ich erzählte ihr, daß ich für zwei Jahre nach Oxford gehen wolle, um dort eine Arbeit zu Ende zu schreiben, und sie fragte mich, ob ich schon eine Bleibe hätte, sie habe da nämlich diese Wohnung gesehen, die sie gern mit jemandem teilen würde… Und so kam ich her, wie der geölte Blitz. Wir sind im großen und ganzen auch immer gut miteinander ausgekommen.«

Ich blickte zur Schreibmaschine und den Spuren ihrer Bemühungen hinüber.»Arbeiten Sie die ganze Zeit über hier?«

«Hier oder in der Sheldonian… in der Bibliothek, meine ich… manchmal recherchiere ich auch woanders. Ich zahle Jenny Miete für mein Zimmer… und weiß überhaupt nicht, warum ich Ihnen das alles eigentlich erzähle.«

«Es hilft mir weiter.«

Sie stand auf.»Sie könnten sich das ganze Zeug im Grunde genommen ja auch selbst ansehen. Ich habe alles in sein Zimmer geräumt… Nickys Zimmer… damit ich es nicht dauernd vor Augen habe. Die Sache geht mir nämlich noch ziemlich an die Nieren.«

Wieder folgte ich ihr durch den Flur, doch diesmal weiter, einen breiten Gang entlang, der offensichtlich einmal zum Treppenflur der ersten Etage gehört hatte.»Das Zimmer dort«, sagte sie und zeigte auf eine Tür,»ist das von Jenny. Das da ist das Bad. Dort ist mein Zimmer. Und das da hinten am Ende des Ganges war das von Nicky.«

«Wann genau ist er verschwunden?«

«Genau? Wer weiß? Irgendwann am Mittwoch, Mittwoch vor vierzehn Tagen. «Sie öffnete die weißgestrichene Tür und betrat das Zimmer.»Er war zum Frühstück da, wie immer. Ich ging dann in die Bibliothek, und Jenny fuhr mit der Bahn nach London, um Einkäufe zu machen. Und als wir beide wieder nach Hause kamen, da war er fort. Einfach weg. Mit Sack und Pack. Jenny war völlig entgeistert, hat geheult wie ein Schloßhund. Aber da wußten wir natürlich noch nicht, daß er nicht nur einfach so verschwunden war, sondern auch das ganze Geld hatte mitgehen lassen.«

«Wie kam das raus?«

«Jenny ging am Freitag zur Bank, um die eingegangenen Schecks einzuzahlen und ein bißchen was für Porto und so abzuheben. Da sagten sie ihr, daß das Konto aufgelöst worden ist.«

Ich sah mich im Zimmer um. Auf dem Fußboden ein dicker Teppichboden, eine alte Kommode, ein großes, bequem aussehendes Bett, ein Sessel, hübsche Vorhänge nach Jennys Art, ein frischer, weißer Anstrich. Sechs große, braune Pappkartons standen, zu je dreien übereinandergestapelt, mitten im Zimmer, das ansonsten so aussah, als habe hier nie jemand gewohnt.

Ich ging zur Kommode und zog eine Schublade heraus. Sie war leer. Ich steckte die Hand hinein und fuhr mit den Fingern über den Boden, aber kein Stäubchen blieb an ihnen haften.

Louise nickte.»Er hat Staub gewischt. Und gesaugt. Man konnte es am Teppich sehen. Und das Bad hat er auch sauber gemacht. Alles blitzte und funkelte. Jenny fand das wahnsinnig nett von ihm… bis ihr klar wurde, warum er keine Spuren hinterlassen wollte.«

«Ich würde das eher als symbolische Handlung ansehen«, sagte ich gedankenverloren.

«Wie meinen Sie das?«

«Na ja… er hatte wohl nicht so sehr die Befürchtung, daß ihn Haare und Fingerabdrücke verraten könnten, sondern… er wollte das Gefühl haben, seine Existenz hier völlig ausgelöscht, fortgewischt zu haben. Damit er nicht das Gefühl hatte, irgend etwas von ihm sei dageblieben. Ich meine. wenn man gern an einen Ort zurückkehren möchte, läßt man ganz unbewußt Dinge dort zurück, man >vergißt< sie. Ein bekanntes Phänomen. Wenn man also bewußt oder unbewußt nicht an einen Ort zurückkehren will, dann fühlt man sich vielleicht gezwungen, sogar noch den eigenen Staub zu entfernen. «Ich brach ab.»Verzeihung, ich wollte Sie nicht langweilen.«

«Es langweilt mich durchaus nicht.«

«Wo haben die beiden geschlafen?«fragte ich in sachlichem Ton.

«Hier. «Sie sah mich forschend an und kam zu dem Ergebnis, daß sie gefahrlos fortfahren konnte.»Sie war sehr oft hier. Na ja, ich bekam das halt mit, ob ich nun wollte oder nicht. Die meisten Nächte, aber nicht immer.«

«Er ist nie zu ihr gegangen?«»Komisch, ich habe ihn nie ihr Zimmer betreten sehen, auch tags nicht. Wenn er was von ihr wollte, kam er raus auf den Flur und rief nach ihr.«

«Das paßt.«

«Noch mehr Symbolisches?«Sie trat zu dem Stapel Kartons und machte einen der oberen auf.»Das Zeug hier drin wird Ihnen mehr verraten. Ich lasse Sie damit allein, dann können Sie’s studieren… Ich kann den Anblick einfach nicht ertragen. Und im übrigen räume ich lieber noch ein bißchen auf, falls Jenny zurückkommt.«

«Sie rechnen doch nicht mit ihr, oder?«

Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite, als sie die leichte Unruhe in meiner Stimme hörte.»Haben Sie Angst vor ihr?«

«Sollte ich?«

«Sie meint, Sie seien ein Wurm. «Die Andeutung von Belustigung machte ihre Worte ein bißchen erträglicher.

«Das sieht ihr ähnlich«, sagte ich.»Nein, ich habe keine Angst vor ihr. Es ist nur so, daß sie… mich aufregt.«

Mit plötzlicher Heftigkeit sagte sie:»Jenny ist einfach super.«

Echte Freundschaft, dachte ich. Klärung der Loyalitäten. Ein winziger Anflug von Herausforderung. Aber diese Super-Jenny hatte ich schließlich einmal geheiratet.

Ich sagte ohne jede Betonung:»Ja«, und nach ein paar Sekunden drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Mit einem Seufzer machte ich mich an die Arbeit, hob die oberen Kartons herunter und war froh, daß weder Jenny noch Louise mir dabei zusahen. Die Kartons hatten eine ziemliche Größe, und obwohl zwei oder drei etwas leichter waren als die anderen, waren sie doch so sperrig, daß sie sich mit einer elektrischen Prothese nur schwer bewegen ließen.

Der erste enthielt zwei große Stapel normalen Briefpapiers, weiß, von guter Qualität und mit einem maschinengeschriebenen Text bedruckt. Der sehr umfangreiche Briefkopf mit dem eingeprägten goldfarbenen Wappen in der Mitte sah sehr eindrucksvoll aus. Ich nahm einen der Bögen heraus und fing an zu verstehen, wieso Jenny auf den Trick hatte hereinfallen können.

Liga zur Erforschung der Koronarerkrankungen stand in geprägten Buchstaben über dem Wappen und darunter Gemeinnütziger Verein. Links von dem Wappen war eine Liste von Schirmherren und Förderern aufgedruckt, die meisten aus den Reihen des Adels, und rechts eine Liste der Mitarbeiter, unter ihnen auch Jennifer Halley, Assistentin der Geschäftsführung. Unter ihrem Namen war — in winzigen Großbuchstaben — ihre Oxforder Adresse angegeben. Der Brief war ohne Datum und Anrede. Der Text füllte ungefähr zwei Drittel der Seite und lautete: